01.07.2020
„Der Kampf gegen den Terror ist das stärkste Argument“
Illustration: Milad Nemati
Illustration: Milad Nemati

Seit Jahren gehört Deutschland zu den fünf größten Rüstungsexporteuren weltweit. Markus Bickel, Autor des Buchs „Profiteure des Terrors“, erklärt, wie diese Exporte Kriege begünstigen und warum die Bundesregierung kaum Konsequenzen daraus zieht.

Ihr Buch über Rüstungsexporte aus Deutschland nach WANA haben Sie 2017 veröffentlicht. Welche Ereignisse haben die deutsche Rüstungsexportpolitik seitdem besonders geprägt?

Das war vor allem die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul im Oktober 2018. Seitdem gilt ein Ausfuhrstopp von einem Großteil der Güter an Saudi-Arabien. Rüstungsgegner fordern das seit Jahren, unter anderem wegen des Jemen-Kriegs. Trotzdem war Saudi-Arabien immer unter den Top-Zehn- oder gar Top-Drei-Empfängern deutscher Rüstungsgüter gewesen.

Was bedeutet das für Saudi-Arabien, wenn es keine Waffen mehr von Deutschland bekommt? Endet der Krieg im Jemen dann?

Die Rüstungsbefürworter sagen ja immer, wenn wir aussteigen, verkaufen andere. Damit haben sie Recht, aber für mich ist es kein Argument zu sagen: Weil andere verkaufen, müssen wir auch verkaufen. Beim Atomausstieg ist Deutschland auch mit gutem Beispiel vorangegangen. Zwar sind bisher keine anderen Länder gefolgt, aber das macht den Atomausstieg doch nicht schlechter. Dass Deutschland fast keine Rüstung mehr an Saudi-Arabien liefert, wird den Krieg im Jemen nicht beenden, aber kann schon für Probleme bei den Saudis sorgen, wenn zum Beispiel bestimmte Ersatzteile oder Modernisierungstechnologien für Kampfflieger fehlen.

Dieser Text ist Teil des Dossiers „Deutsche Außenpolitik in WANA“. Alle Texte des Dossiers finden sich hier. Das Projekt wurde durch das Grow-Stipendium von Netzwerk Recherche e.V. und der Schöpflin Stiftung gefördert. 

Entsteht für Deutschland ein Nachteil aus so einem Exportstopp?

Oft sind Rüstungsexporte ein Mittel, um auch in anderen Bereichen im Geschäft zu bleiben. Wenn man gute Beziehungen mit Abdel Fattah al-Sisi unterhält, dann liegt das nicht nur daran, dass man U-Boote an Ägypten verkaufen will, sondern auch Fernseher und Kühlschränke. Bis 2018 waren Saudi-Arabien, die Emirate und Ägypten die wichtigsten Empfängerländer in der Arabischen Welt, und zwar sowohl für Rüstungsgüter als auch für zivile. Länder wie Saudi-Arabien drohen damit, sich auch aus anderen Wirtschaftsbereichen zurückzuziehen, wenn Deutschland keine Rüstungsgüter liefert.

Im ersten Quartal 2020 hat die deutsche Regierung dreimal so viele Exporte in sogenannte Entwicklungsländer (Nicht-Mitglieder der EU oder NATO oder gleichgestellte Staaten) genehmigt wie im Vorjahreszeitraum. Dabei sehen die Rüstungsexportrichtlinien sehr zurückhaltende Exporte in diese Länder und eine strenge Kontrolle hinsichtlich der Menschenrechtslage vor. Wie passt das zusammen?

Die Richtlinien sind keine Gesetze, sondern nur Empfehlungen. Es gibt keine Sanktionen, wenn man sie nicht einhält. Die Opposition fordert daher schon lange ein Rüstungsexportgesetz, mit dem Verstöße geahndet werden können. Aber bislang entscheidet der Bundessicherheitsrat im Geheimen darüber, welche Exporte genehmigt werden, und meistens entscheidet er zugunsten der deutschen Rüstungswirtschaft.

Die Richtlinien sehen außerdem eine Endverbleibskontrolle vor, um sicherzustellen, dass Waffen nicht unerlaubt an Dritte weitergegeben werden.

Es ist unmöglich den Verbleib der Waffen zu kontrollieren, nachdem sie erst einmal geliefert wurden. Die G3-Schnellfeuergewehre von Heckler und Koch (H&K), die an die Peschmerga im Nordirak geliefert wurden, sind auf dem Schwarzmarkt gelandet. Die G3, die mit Lizenz von H&K in Saudi-Arabien produziert wurden, sind im Jemen abgeworfen worden und bei den Huthis oder ihren Gegnern gelandet. Deutschland verkauft an so viele Länder Waffen, da können sie nicht überall Leute hinschicken, die den Guerilleros über die Schulter gucken.

Besonders schwierig ist es den Endverbleib von Kleinwaffen zu kontrollieren. 2019 wurde die Ausfuhr von Maschinengewehren, Pistolen und ähnlichen Waffen für 69,49 Millionen Euro erlaubt, so viele wie schon seit 2013 nicht mehr. Was ist daran problematisch?

Helmut Schmidt hat einmal gesagt, dass durch Kleinwaffen mehr Menschen ums Leben gekommen sind als durch Atombomben. Das liegt daran, dass sie sehr langlebig sind und auch nach vierzig Jahren noch schießen und Menschen umbringen. Gewehre von H&K müssen nicht sonderlich gewartet werden wie ein Panzer oder ein Flugzeug, das auf Ersatzteile angewiesen ist. So ein Gewehr muss ein bisschen geputzt und geschraubt werden. In Iran fing die Lizenzproduktion von H&K in den 1970er-Jahren an – zwanzig Jahre später fanden sich Gewehre aus dieser Produktion im Sudan wieder.

Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat den Internationalen Strafgerichtshofaufgefordert, europäische Rüstungskonzerne wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen in Jemen anzuklagen. Worum geht es dabei?

Dieser Schritt basierte unter anderem auf einer Recherche von Human Rights Watch, die beweisen konnte, dass eine MK80-Bombe über einem Wohngebiet im Jemen abgeworfen wurde und dass diese in Sardinien von der italienischen Rheinmetall-Tochter produziert worden war. Wenn man das vor Gericht bringen kann, ist das ein großer Erfolg. Die Symbolkraft hinter solchen Prozessen ist enorm wichtig. Zwar hat die Rüstungsindustrie Rechtsabteilungen, die größer sind als ganze Ministerien, aber immerhin müssen sie sich damit befassen. Je mehr solcher Verfahren es gibt, umso mehr muss sich die Industrie überlegen, ob sie ihre dreckigen Geschäfte weiterführt. Die Zusammenarbeit von Presse, NGOs und juristischen Organisationen kann also durchaus etwas bewirken.

Ägypten war im ersten Quartal 2020 Hauptempfänger deutscher Kriegswaffen. Das Land ist zwar nicht direkt an einem Krieg beteiligt, verstößt aber im Inneren massiv gegen Menschenrechte. Zehntausende politische Gefangene sitzen im Gefängnis, von Meinungs- oder Versammlungsfreiheit keine Spur. Sollten auch solche Probleme Grund für einen Rüstungsexportstopp von Seiten Deutschlands sein?

Ja, definitiv. Es geht ja nicht nur darum, nicht in Kriegs- und Krisengebiete zu exportieren, sondern auch darum, nicht an Diktaturen oder autoritäre Staaten zu exportieren. Außerdem führt Ägypten einen Krieg auf dem Sinai, was auch gegen weitere Lieferungen sprechen würde. Aber autoritären Regimen wie dem von Sisi ist es gelungen, den Westen davon zu überzeugen, dass der Feind Al-Qaida oder IS heißt. Seit 9/11 gilt der islamistische Terrorismus als gemeinsamer Feind. Auch autoritäre Regime werden beliefert, wenn sie vorgeben den Terrorismus zu bekämpfen. Diese Logik gilt es zu durchbrechen, doch sie ist leider nicht neu. Auch der damalige SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat Panzer an Saudi-Arabien geliefert, weil es als Stabilitätsanker in der Region galt. Dabei war schon vor dem Jemen-Krieg klar, dass Waffenlieferungen an Regime wie die in Ägypten, Algerien oder Saudi-Arabien zur Destabilisierung der Region beitragen.

Der 11. September und der damit ausgelöste „Krieg gegen den Terror“ haben der deutschen Rüstungsexportindustrie ein unheimliches Wachstum beschert. Zehn Jahre später gab es mit den Protesten des sogenannten Arabischen Frühlings eine weitere Zäsur. Was hat sich dadurch geändert?

Nach 2011 gab es ein kurzes Innehalten und den Gedanken, dass man nicht weiterhin an autoritäre Regime wie Syrien oder Ägypten Waffen exportieren könne. Aber zehn Jahre später ist das Narrativ wieder das alte: Der Kampf gegen den Terror ist das stärkste Überzeugungsargument, warum westliche Demokratien autokratische arabische Regime unterstützen. Es geht um Stabilität, und stabile Staaten sind dieser Logik nach nicht menschenrechtlich astrein, sondern das kleinere Übel. Dahinter steckt die Vorstellung, dass Araber keine Demokratie können und deswegen ein Sisi immer noch besser ist als die Muslimbrüder oder ein Mohammed bin Salman besser als die Religionsgelehrten.

Abgesehen von Schusswaffen, Panzern oder Bomben zählt auch Technologie zur Rüstungsindustrie. Welche Entwicklung beobachten Sie dort?

Einerseits gibt es Überwachungssoftware, mit der Dissidenten bespitzelt werden. In diesem Bereich herrschen aber tatsächlich sehr viel strengere Exportrichtlinien und das ist gut. Voll im Trend aber liegen Satelliten, Drohnen und Technologien, die zur Grenzkontrolle dienen. Da war das Schlüsseljahr 2015 mit der Massenflucht übers Mittelmeer ausschlaggebend. Airbus stand damals kurz davor eine ganze Sparte an Satellitenüberwachung auszulagern, hat sie dann aber doch lieber behalten. Damit wird sich in den nächsten Jahren viel Geld machen lassen.

Hannah El-Hitami, Jahrgang 1991, ist freie Journalistin in Berlin und schreibt vor allem über arabische Länder, Migration und koloniales Unrecht. Sie studierte Arabische Literatur und Kultur in Marburg und war Volontärin des Amnesty Journals. www.hannahelhitami.com/  
Redigiert von Christopher Resch, Daniel Marwecki