26.02.2020
Das Paradox der Friedensökonomie
Raga Makawi, Jamie Allinson und Georg Layr (v.l.n.r.) Foto: Georg Layr
Raga Makawi, Jamie Allinson und Georg Layr (v.l.n.r.) Foto: Georg Layr

Der Begriff Kriegsökonomie impliziert, dass wirtschaftliches Handeln innerhalb kriegerischer Konflikte eindeutig von der Friedensökonomie zu trennen ist. Doch das Verhältnis von Frieden, Krieg und Ökonomie ist komplexer als es scheint.

Alle mussten zusammenrücken und weitere Stühle wurden herbeigetragen, damit die vielen Interessierten einen Sitzplatz finden konnten – so gut besucht war die erste von sechs Podiumsdiskussionen der Veranstaltungsreihe „Zeitgenössische Kriegsökonomien zwischen Konflikt und Kapitalismus“. Organisiert wird sie von dis:orient in Kooperation mit dem Bildungswerk Berlin der Heinrich-Böll-Stiftung.

Ökonomie, Friedensökonomie, Kriegsökonomie – ist eine Unterscheidung möglich?

Allinson rief zu Beginn grundlegende Ökonomie-Theorien von Karl Marx bis zu Paul Collier in Erinnerung. Wegweisend ist für ihn dabei der Diskurs über die Herkunft des Wortes Ökonomie und seinen Bedeutungswandel im 20. Jahrhundert, als aus einer konkreten Handlung, nämlich etwas zu be- oder erwirtschaften, „die Ökonomie“, als ein abstraktes, technokratisches Objekt hervorging. Denn der aus dem griechischen stammende Begriff (οικονομικά = Hauswirtschaft) war vor dem Aufstieg der kapitalistischen Produktion auf das Wirtschaften innerhalb eines Haushalts bezogen. Diese Wirtschaftskraft und Produktion machten sich Staaten mittels gewaltsamer Prozesse zu eigen: „Krieg schafft also die Ökonomie erst“, bilanziert Allinson.

Dadurch entstand eine technokratische Idee von „der Ökonomie“, die die in ihr existierenden menschlichen Beziehungen verschleiert. „Ökonomie wird als technisches Werkzeug betrachtet, doch es ist ein mit sozialen Produktionsprozessen verflochtener Prozess, der von einem gewaltsamen Staat gemanagt wird“, bekräftigte Makawi. Allision fügte hinzu: „Wie ein Installateur wird versucht, die Ökonomie auf Knopfdruck ein- oder auszuschalten.“ Doch so leicht sei Ordnung nicht wiederherzustellen und die Messmethoden des liberalen Diskurses hinfällig: Ein hohes Bruttoinlandsprodukt liest sich gut, sei aber nicht mit einer gerechten Einkommensverteilung gleichzusetzen.

Für die Referent*innen vergrößerten (neo-)liberale Reformen genau jenes soziale Ungleichgewicht, das häufig Hauptgrund für Konflikte ist, die nicht selten in Kriegen enden. Ein Drücken des „Ökonomie-Knopfs“, führe oft zu einem Wiedererstarken jener wirtschaftlichen Prozesse, die vor dem Krieg den Nährboden für Konflikte geschaffen haben.

Kann es also überhaupt ein „Friedensökonomie“-Konzept geben, das in Zeiten des Wiederaufbaus die im Krieg vorherrschende Form von Ökonomie in ein friedliches Pendant überträgt und so der „Kriegsökonomie“ gegenübersteht?

Dass dieser, auch in der Entwicklungs- und humanitären Hilfe, weitverbreitete Ansatz der Friedensökonomie nicht nur stark bezweifelt werden kann, sondern auch muss, um nachhaltigen Frieden zu ermöglichen, machten beide Referent*innen deutlich.

Sudan – wen unterstützt Deutschland da eigentlich?

Zu welchen absurden Projekten dies sonst führen kann, macht Deutschlands – zumindest indirekte - Kooperation mit der RSF-Miliz (Rapid Support Forces) deutlich. Deutschland steckt Millionen (Deutschland zahlte 160 Mio. Euro in einen 4,5-Milliarden-Euro-Fonds zur Migrationskontrolle und Bekämpfung von Fluchtursachen in Afrika) in Projekte, bei denen unter anderem deutsche Polizist*innen sudanesische Grenzschützer*innen ausbilden. Die RSF ist eine jener Gruppen, die für den Grenzschutz zuständig ist. Laut Amnesty International ist sie ein zentraler Akteur, der an den Kriegsverbrechen in Darfur beteiligt war. Makawi berichtet wie die RSF mithilfe von Goldexporten und Söldnertum ein merkantiles Imperium in Dafur aufgebaut hat. Zudem war die RSF mutmaßlich für die Ermordung Protestierender während der sudanesischen Revolution im Juni 2019 verantwortlich. Damit unterstütze deutsche Entwicklungshilfe also genau diejenigen repressiven Strukturen, die die Revolution erst bedingten.

Wiederaufbau in Syrien = Wiederaufbau verursachender Strukturen?

Jamie Allinson sprach in Bezug auf Syrien beispielhaft das Gesetz Nr. 10 (über die „Einrichtung von Entwicklungszonen in Verwaltungseinheiten“) an: Entworfen 2007 im Rahmen des damals für den Großraum Damaskus geplanten Projekts eines „Beiruts Syriens“, um Einwohner*innen zügig aus Ihren Häusern vertreiben zu können, wird es nun unter dem Deckmantel des Wiederaufbaus für ähnliche Zwecke angewandt.

Ist eine Region zu einer sogenannten „Entwicklungszone“ geworden, dann können nicht-registrierte Immobilien, Grundstücke oder auch Agrarflächen den Eigentümern entzogen werden. Und da „70 Prozent der syrischen Geflüchteten […] gar keine Dokumente [haben], mit denen sie ihren Besitz belegen könnten“, so Sara Kayyali, Syrien-Expertin im Beiruter Büro von Human Rights Watch im Gespräch mit Le Monde, setzt Präsident Al-Assad das Gesetz bewusst ein, um nicht-regiemetreue Haus- und Wohnungseigentümer*innen zu enteignen.

Erst Frieden, dann Gerechtigkeit?

Im Anschluss an den Input von Makawi und Allinson hakte Layr noch einmal nach: „Ist es nicht sinnvoll, zunächst ein Ende der Gewalt zu erreichen und sich dann um soziale und ökonomische Gerechtigkeit zu kümmern?“. Die Antworten der Referent*innen verstärkten abschließend nochmals das Argument, dass Krieg und Frieden nicht als voneinander getrennt gedacht werden können: „Es gibt keinen Zeitpunkt, zu dem man sagen könnte‚ dieser Krieg ist vorbei und jetzt hat der Wiederaufbau begonnen.‘“, sagte Allison: „Der Konflikt auf dem Schlachtfeld mag zwar vorbei sein, doch die Gewalt und die Konflikte gehen einfach anderswo weiter und nehmen sogar zu. Das Ende eines Bürgerkrieges ist nicht gleichzusetzen mit Frieden.“ Und dauerhafter Frieden wird nach Allinson von einer Ökonomie, die ihrerseits Gewalt verkörpert, verhindert.

Auf die Rolle Deutschlands und der EU hinsichtlich eines friedlichen Wandels im Sudan angesprochen, die Entwicklungshilfe an Grenzkontrollen knüpfen, entgegnete Makawi abschließend: „In einem Land wie Sudan ist das erste, was Deutschland einfällt, in das Militär zu investieren?“ die Veranstaltung ab.

Kommende Veranstaltungen

Wer zu Auftaktveranstaltung nicht dabei sein konnte, kann sich den Inhalt in Kürze ausführlich im Videomitschnitt aus der Seite der Heinrich-Böll-Stiftung ansehen.

Die kommenden Veranstaltungen werden sich mit Irak, Kurdistan, Sudan, Syrien und weiteren Ländern in WANA beschäftigen.

Los geht es am 17. März mit dem Thema „Kriegsökonomien im Irak und Irakisch-Kurdistan“.

 

 

Artikel von Marianne Sievers
Redigiert von Anna-Theresa Bachmann, Lissy Kleer, Georg Layr