Per Service-Taxi wollen wir am Mittwoch die Grenze in den Libanon überqueren. Die Straße zum Grenzübergang Masnaa haben wir fast für uns alleine, kaum ein Auto macht sich auf den Weg in Syriens westliches Nachbarland. Die Ausreise verläuft ohne Probleme, gelangweilt drückt der syrische Grenzbeamte seinen Stempel in unsere Pässe.
Auf libanesischer Seite ist es uns nicht möglich ein 3-6-Monatsvisum zu bekommen, länger als einen Monat will man uns zunächst nicht dulden. Die Laune der Soldaten liegt irgendwo zwischen gelangweilt und gereizt, die Ereignisse der letzten Tage scheinen ihre Spuren hinterlassen zu haben. Nach Waffen für die Hizbollah werden wir nicht durchsucht.
Das Service-Taxi bringt uns ins Dorf Jib Janin am östlichen Rand des Bekaa-Tals. Von hier wollen wir die restlichen Kilometer zu unserem Reiseziel in der Dunkelheit zu Fuß zurücklegen. Glücklicherweise kommt ein kurdischer Bauer mit seinem Pick-Up des Wegs und nimmt uns mit. “Wir Kurden lieben Deutschland. Wir sind Arier wie ihr.”, erklärt der gebürtige Aleppiner freudig.
Mit unserem christlichen Gastgeber entwickelt sich im Laufe des Abend eine spannende Diskussion über die politische Lage im Libanon. Der Mittzwanziger, nennen wir ihn George, ist Anhänger Michel Aouns und der Opposition. Er wirft Premierminister Fuad Siniora eine verfehlte Politik vor und beklagt besonders die jüngste Mehrwertsteuererhöhung.
Als Einziger in seiner Familie findet George lobende Worte für die Hizbollah und ihren Anführer Hassan Nasrallah. Sie führten eine legitimen Kampf fuer die Rückeroberung der Shebaa-Farmen. So lange Israel diese nicht aufgebe, habe die Hizbollah jedes Recht Waffen zu tragen. Der Krieg im Sommer habe die Notwendigkeit einer militärisch gut ausgerüsteten Hisbollah bewiesen.
Heute Mittag setzen wir dann unsere Reise in Richtung Beirut fort. Der Weg führt durch schneebedeckte Berge und an der teilweise von israelischen Bombern zerstörten Autobahnbrücke vorbei. Der Highway ist gesäumt von Plakaten der Opposition, auf denen der Regierung Versagen vorgeworfen wird. Der Fahrer unterhält uns mit der jüngsten Nasrallah-Rede
Wir nehmen Quartier in einem Vorort oberhalb der Stadt. In einem evangelischen Institut für Straßenkinder empfängt uns ein kommunistischer Schiit im Che-Guevara T-Shirt, der für Libanons politische Eliten wenig übrig hat und uns in die Feinheiten libanesischer Hochschulpolitik einweist.
Am Nachmitag machen wir uns auf den Weg ins Stadtzentrum. Im Viertel Haret Hreik haben Hizbollah und Amal bereits für das am Montag bevorstehende Ashura-Fest geflaggt, das in Erinnerung an den Julikrieg diesmal unter dem Motto “Der Sieg der Unterdrückten” steht.
Zu Fuß laufen wir nun weiter in Richtung Beirut Downtown. Im Westen der Stadt sehen wir eine Rauchsäule aufsteigen, in der Ferne sind Schüsse zu hoeren. Passanten berichten von Zusammenstößen zwischen Schiiten und Anhängern der Mustaqbal-Bewegung Saad Hariris. Zwar sind an nahezu jeder Kreuzung Schützenpanzer der libanesischen Armee postiert, große Hektik bricht in der Stadt jedoch nicht aus.
Scharen syrischer Gastarbeiter kommen uns von den Baustellen im Zentrum entgegen und zwängen sich in Minibusse.
Nach einigen Kilometern erreichen wir schließlich den Maertyrerplatz, dessen Umgebung seit Dezember als Zeltstadt der Oppositionsbewegung dient. Anhänger Aouns, der Hizbollah und Amal-Bewegungen, syrische Nationalisten, Kommunisten, Sozialisten, Armenier und viele mehr sind hier vertreten. Die Stimmung unter den Aktivisten ist angespannt, nach 6 Wochen Zeltlager unter Brücken und im Straßenstaub wäre aber wohl auch der sanftmütigste Charakter gereizt.
Auffällig ist die hohe Dichte an Holz- und Eisenstangen in den Händen meist bärtiger Halbstarker. Wir werden höflich aber bestimmt darauf hingewiesen, dass es für unsere Gesundheit dienlich wäre den Platz umgehend zu verlassen. Auch Fotos sind nicht erwünscht. Wir haben verstanden und machen uns entlang der Green Line, die in den Jahren des Bürgerkriegs die Grenze zwischen christlichem Ostbeirut und dem muslimischen Westen markierte, auf den Weg zum Nationalmuseum. Von hier wollen wir per Mikrobus zurück in den Vorort. Inzwischen haben wir erfahren, dass sich die Zusammenstöße an der Arabischen Universität Beirut ereigneten und wohl auch auf umliegende Straßen übergriffen.
Die Rückkehr gestaltet sich schwieriger als erwartet, jedenfalls müssen wir einige Kilometer zu Fuß zurücklegen, während sich die Armeepräsenz weiter zu verstärken scheint. Schließlich finden wir doch noch ein “Service” und erreichen um Viertel nach Acht unser Ziel.
Keine Minute zu früh, wie wir hier erfahren. Im Fernsehen wird berichtet, dass die Regierung für Beirut und Umgebung eine Ausgangssperre verhängt hat, die von heute 20 Uhr 30 bis morgen 6 Uhr gilt. Schule und Uni fallen morgen für die Beirutis aus. Über der Stadt liegt jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, eine gespenstische Ruhe, da in der Tat kaum ein Auto unterwegs ist.
Die Situation hier ist schwierig einzuschätzen. Bisher haben wir uns überall sehr sicher gefühlt, gleichwohl kann niemand sagen wie sich die Dinge in den kommenden Tagen entwickeln werden. Alle Seiten betonen kein Interesse an einer Eskalation zu haben, gleichzeitig scheinen jedoch weder Regierung noch Opposition gewillt zu sein, zurückzustecken oder den Verhandlungsweg zu beschreiten.