18.03.2007
Besuch in Qana - Auf den Spuren der Massaker

Qana ist eigentlich ein ziemlich unbedeutender Ort irgendwo im Sueden des Libanon, kaum mehr als ein grosses Dorf mit ein paar tausend Einwohnern, malerisch auf einer Huegelkuppe gelegen. Nur etwa 12 Kilometer zur israelischen Grenze entfernt machte der Ort innerhalb von nur 10 Jahren jedoch gleich zwei Mal traurige Schlagzeilen.

Am 18.April 1996 beschoss die israelische Armee den UN-Stuetzpunkt im Ort, in dem etwa 800 Zivilisten Zuflucht vor den Kaempfen zwischen der Hizbollah und den Israelis gesucht hatten. An jenem Tag feuerte die libanesische Miliz Rakten und Moersergranaten von zwei Stellungen in mehreren hundert Metern Entfernung zu dem Stuetzpunkt ab. Daraufhin nahm die israelische Armee den mit Soldaten aus Fiji besetzten UNIFIL-Posten unter Beschuss, 106 Menschen verloren dabei ihr Leben.

Die israelische Seite bezeichnete den Beschuss als Versehen. Zum Zeitpunkt des Angriffs auf den UN-Posten waren jedoch zwei israelische Helikopter und eine Drohne ueber dem Gebiet in der Luft und beobachteten das Zielgebiet. Im UN-Untersuchungsbericht zu den Vorfaellen heisst es: "Obwohl die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden kann, ist es unwahrscheinlich, dass der Granatbeschuß des UN-Postens das Ergebnis von groben technischen und/oder Ausführungsfehlern war". Vieles spricht also dafuer, dass der UNIFIL-Stuetzpunkt 1996 vorsaetzlich angegriffen wurde.

Heute steht noch immer das Metallgerippe einer Baracke auf dem Gelaende des mittlerweile verlassenen Postens. In dem Gebaeude mit den Ausmassen von etwa 15 mal 8 Metern hatten damals 54 Fluechtlinge Zuflucht gesucht und den Tod gefunden. Unser Erklaerer, der uns gestern ueber das Gelaende am Ortsausgang von Qana fuehrt, zeigt ein Album mit Fotos, die unvorstellbare Verstuemmelungen bei den Opfern zeigen. Um die Erinnerung an das Massaker zu tilgen, habe Israel waehrend des juengsten Krieges im vergangenen Sommer versucht, die Ueberreste des Stuetzpunkts zu zerstoeren, erklaert er uns, ist mit diesem Vorhaben aber offenbar gescheitert.

Ein paar Meter abseits des Militaergelaendes befinden sich die Graeber der Opfer, die in marmornen Sarkophagen ihre letzte Ruhe gefunden haben. Unter einem Mahnmal sind die Namen der Toten aufgefuehrt, die meisten Opfer waren Kinder, viele haben ihren 10.Geburtstag nicht erlebt. Jedem Namen ist die Bezeichnung "Maertyrer" vorangestellt.

Wir verlassen den Platz und laufen durch den Ort. Die gruenen Flaggen der schiitischen Amal-Bewegung dominieren das Strassenbild, an einem Haus haengt eine schwarz-rot-goldene Fahne, offenbar ein Ueberbleibsel der Fussball-WM. Viele Haeuser entlang der Hauptdurchgangsstrasse die weiter in Richtung Sueden fuehrt, zeigen Kriegsschaeden. Wir fragen einen jungen Mann, der in seinem Laden Raubkopien aller aktuellen Musikalben und Filme vertreibt, nach dem "Ort des zweiten Massakers". Er tritt ein paar Schritte aus seinem Laden und zeigt zu einem kleinen Dorf etwa 500 Meter ausserhalb Qanas.

Wir machen uns auf den Weg in die angegebene Richtung in das Dorf al-Khuraybah, kaum mehr als eine Handvoll Haueser die sich auf einer Anhoehe um eine Moschee scharen, das Gotteshaus wurde im Sommer jedoch fast vollkommen zerstoert. Gleich am Dorfeingang stand jenes Haus, in dem am 30.Juli 2006 29 Menschen ums Leben kamen und das kleine Qana erneut auf die Titelseiten aller Tageszeitungen brachte. Die israelische Armee hatte den Ort beschossen, angeblich weil die Hizbollah aus der Naehe in Richtung Israel gefeuert hatte. Die Opfer seien von der Miliz als menschliche Schutzschilde missbraucht worden, so ein israelischer Armeesprecher kurz nach dem Angriff.

Bis heute hat das israelische Militaer keine Beweise dafuer vorlegen koennen, das in den Tagen vor dem Angriff auf das Gebaeude aus dessen Naehe Raketen von der Hizbollah abgefeuert wurden. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch besuchte den Ort am Tag nach dem Angriff und hat keine zerstoerte Militaerausruestung in der Umgebung des Ortes gefunden. Ebensowenig haetten sich Hizbollah-Kaempfer in der Naehe befunden, auch unter den Opfern seien ausschliesslich Zivilisten gewesen.

Von einem grossen Foto-Plakat am Ortseingang blicken uns ein grimmiger Hassan Nasrallah und die Opfer des Bombenangriffs entgegen. Die meisten Portraets zeigen Kinder im Grundschulalter, 16 Tote waren 18 Jahre oder juenger, ein Baby wurde nur neun Monate alt. Die Nachmittagssonne taucht die marmornen Grabplatten, die in drei Neunerreihen angeordnet sind, in ein mildes Orange. Die Grabstaette, die nur etwa 500 Meter von jener Stelle entfernt liegt, in der Jesus Wasser zu Wein verwandelt haben soll, beeindruckt durch ihre Schlichtheit, Blumen sucht man vergebens, die lachenden Gesichter der Kinder auf den Fotos wirken bedrueckend und im Kontrast zu den Graebern gespenstisch.

Auf jedem Grabstein steht ganz oben die Formel: "Maertyrer der Operation 'Die Erfuellung des Versprechens'". Mit diesem Titel bezeichnet die Hizbollah die Gefangennahme der beiden israelischen Soldaten und den anschliessenden Krieg gegen Israel. Dann folgen Name und Geburtsdatum des Toten, dann steht der Satz: "Zum Maertyrer geworden durch die zionistische Agression gegen Qana am 30.Juli 2006."

Wir verharren einige Minuten als eine junge Frau, sie ist vielleicht Mitte Zwanzig, herbeigelaufen kommt. Sie kniet an drei Graebern nieder, legt ihre rechte Hand auf die Grabplatten und spricht leise einige Gebete. Auf den drei Graebern steht ueberall der gleiche Nachname, die Toten im Alter von 25, 16 und 8 Jahren koennen ihre Geschwister gewesen sein.