11.11.2013
Besuch in Gaza - Aufstand an Arafats Todestag?
Protest am 15. März 2011 in Gaza. Werden auch heute wieder Demonstranten auf den Straßen sein? Foto: CC Flickr/ Il Naso Precario
Protest am 15. März 2011 in Gaza. Werden auch heute wieder Demonstranten auf den Straßen sein? Foto: CC Flickr/ Il Naso Precario

Die Tamarod-Bewegung im Gaza-Streifen hat für heute zu Demonstrationen und letztlich dem Sturz der Hamas aufgerufen. Denn die gilt mittlerweile als genauso korrupt wie die Fatah. Der Lebensstandard sinkt, die Bevölkerung ist enttäuscht. Ein Stimmungsbericht.

Vor neun Jahren, am 11. November 2004, starb der damalige PLO-Chef und Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Jassir Arafat. Das Datum ist nicht nur wegen der andauernden Diskussionen und Verschwörungstheorien relevant, ob Arafat vielleicht doch vergiftet wurde. Denn für den heutigen 11. November 2013 hat die Tamarod-Bewegung in Gaza zu Demonstrationen und dem Sturz der Hamas aufgerufen. Der Tag ist clever gewählt, denn welche palästinensische Regierung möchte Demonstrationen zur Erinnerung an die Legende Abu Amar, so Arafats Kampfname, verbieten?

Doch die Meinungen in Gaza gehen auseinander. Es wird viel über Tamarod Gaza gesprochen, was auf Deutsch „Rebell“ oder „Rebellion“ bedeutet. Doch wie sich die Menschen verhalten werden ist unklar. Das Vertrauen untereinander ist am Boden. Die Tamarod-Mitglieder, die sich von der ägyptischen Bewegung inspirieren lassen, die bis Ende Juni Millionen an Unterschriften zur Absetzung von Ex-Präsident Mohamed Mursi gesammelt hat, wollen das Vertrauen wieder aufbauen. Es geht für viele Familien ums Überleben: Kinderreichtum ist ein Fluch, wenn es keine Arbeit gibt. Die Hamas hat zahlreiche Informanten, um die eigene Gesellschaft zu kontrollieren. Je nach politischer Zugehörigkeit zeigen sich selbst Familienmitglieder untereinander an – für den kleinen Vorteil.

„Die Frage,“ erklärt ein altgedienter Aktivist und Intifada-Kämpfer, „die sich hier in Gaza viele stellen ist, wie sich die Hamas verhalten wird: Wird sie auf die Demonstranten schießen, oder nicht?“

Die Hamas-Polizei ist kaum zu sehen. „Sie haben Angst vor den israelischen Flugzeugen“, heißt es dazu. Aber grüne Hamas-Fahnen säumen die Plätze; auch schwarz, die Farbe des Islamischen Dschihad ist gut sichtbar, während die gelben Fatah-Fahnen nur vereinzelt an den Häusern hängen. Doch nachts stehen die vermummten Kämpfer der Qassam-Brigaden, dem bewaffneten Arm der Hamas, Wache an den strategisch wichtigen Punkten der Städte.

Gegen die Enttäuschungen der Menschen im Gaza-Streifen kann die Hamas kaum etwas ausrichten. Die vermeintlichen Saubermänner gelten als genauso korrupt wie ehedem Arafats Fatah. Der Machterhalt scheint wichtiger als das Gemeinwesen. Alle sehen es: Der Lebensstandard sinkt von Jahr zu Jahr. Darüber kann auch der blankgeputzte Mercedes älterer Bauart nicht hinwegtäuschen - beim Preis von 6,50 NIS (~1,25€) pro Liter Sprit bleibt er ohnehin die meiste Zeit am Straßenrand stehen. Die Arbeit im Baugewerbe ist zum Erliegen gekommen, weil keine Baumaterialien mehr aus Israel oder Ägypten kommen. Ganz zu schweigen vom Traum vieler Menschen in Gaza, wieder einer Beschäftigung nachgehen zu können, die genug Einkommen bietet – das scheint nur möglich beim vermeintlichen Feind in Israel.

Es ist daher die von der Hamas-Regierung mit zu verantwortende Not, die die Gaza-Jugend auf die Straße treibt. Die jungen Menschen in Gaza stellen mehr als die Hälfte der Bevölkerung, und sie haben nicht viel zu verlieren.

Es sind verlorene Jahre im Gaza-Streifen. Für die Zukunft mag daher entscheidend sein: Welche Farbe weht heute, am 11. November 2013? Man darf gespannt sein, ob und was man davon außerhalb des Gaza-Streifens mitbekommen wird, denn Journalisten gehörten zu den ersten, die von der Hamas verhört und eingesperrt wurden.