Die Entwicklungen der letzten Wochen zeigen jedoch, dass dieser Eindruck täuscht. Am Freitag demonstrierten bei der größten Kundgebung seit Monaten in dem Golfstaat etwa 20.000 Oppositionsanhänger gegen das Regime. Die Wut der Protestierenden entzündet sich am Tod eines 14-jährigen Jungen in der vergangenen Woche. Ali Jawad Ahmad starb zum Ende des Ramadan am 31. August nachdem er während einer Demonstration gegen das Regime in Sitra von einem Tränengas-Kanister getroffen wurde, den Sicherheitskräfte offenbar aus großer Nähe abgefeuert hatten. Die Polizei wies die Verantwortung für den Tod des Jugendlichen von sich, versprach aber eine Aufklärung des Falles. Das Innenministerium setzte umgerechnet knapp 19.000 Euro Belohnung für Information zu den Umständen des Todes aus.
Um den Zorn der Opposition zu dämpfen hatte das Regime am Mittwoch zwanzig Ärzte, Krankenpfleger und Krankenwagenfahrer gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt. Ihr Vergehen: Sie hatten während der Proteste im Februar und März verwundete Demonstranten behandelt. Die meisten von ihnen arbeiteten im Salmaniya-Krankenhaus in der Hauptstadt Manama. Die Staatsanwaltschaft wirft insgesamt 47 Medizinern vor, die Proteste gegen die Herrscherfamilie angestachelt zu haben. Am 29. September will das „Nationale Sicherheitsgericht“ seine Urteile gegen die Angeklagten verkünden.
Vor der vorübergehenden Freilassung der Krankenhaus-Mitarbeiter waren nach Angaben der Opposition insgesamt 100 politische Gefangene in den Hungerstreik getreten. 17 von ihnen sollen inzwischen medizinisch behandelt werden. Unklar ist, wie viele Protestler derzeit noch inhaftiert sind. Die Behörden geben ihre Zahl mit 93 an, die Opposition geht von weit mehr politischen Häftlingen aus. Viele andere Regimegegner mussten das Land verlassen und ins Exil gehen, darunter auch unser Kontaktmann, der uns während der Proteste mehrfach auf dem Laufenden hielt.
Doch nicht nur die andauernde Verfolgung von Oppositionellen und Foltervorwürfe gegen die Sicherheitskräfte heizen die Wut auf das Regime in Manama weiter an. Ähnlich wie in Jemen und Syrien erweisen sich die versprochenen Reformen und ein vom Herrscherhaus initiierter Nationaler Dialog als Illusion. Die größte Oppositionsbewegung al-Wefaq darf lediglich 5 der 300 Teilnehmer an den Dialogveranstaltungen stellen, obwohl sie bei den letzten Parlamentswahlen 2010 knapp 45 Prozent der Stimmen erhielt. Insgesamt werden nur etwa 10 Prozent der Delegierten der Opposition zugerechnet.
Wichtige Forderungen der Opposition wie eine stärkere Repräsentation der schiitischen Mehrheit im Parlament durch eine Änderung das Wahlgesetzes oder die Schaffung einer Regierung, die vom Volk gewählt wird, schafften es erst gar nicht auf die Tagesordnung. Die Treffen des Nationalen Dialogs gerieten dadurch schnell zu Schauveranstaltungen mit denen das angeschlagene Königshaus den Schein der Reformbereitschaft wahren wollte. Parallel zum Nationalen Dialog wurden führende Vertreter der Opposition zudem zu langen Haftstrafen verurteilt.
Gleichzeitig erklärte der Leiter einer von der Regierung eingesetzten, angeblich unabhängigen Untersuchungskommission, er habe keine Hinweise auf Folterungen oder Misshandlungen in bahrainischen Gefängnissen gefunden und nahm damit die für den 30.Oktober geplante Veröffentlichung ihres Abschlussberichts vorweg. Die vier Häftlinge, die in Gewahrsam ums Leben kamen, seien eines natürlichen Todes gestorben. Auch das Versprechen, dass angebliche Oppositionsanhänger, die aus dem Staatsdienst und staatsnahen Unternehmen entlassen wurden, wieder eingestellt würden, wurde nur teilweise erfüllt.
Diese Entwicklungen führten dazu, dass sich die Opposition schon Mitte Juli aus dem Nationalen Dialog zurückzog. Damit spitzt sich die Polarisierung der konfessionell gemischten Gesellschaft des kleinen Inselstaats weiter zu. Mäßigende Stimmen, die auf einen Ausgleich zwischen Regierung und Opposition hoffen, haben es immer schwerer gehört zu werden. Für die Regimegegner wird immer klarer, dass das Herrscherhaus nicht gewillt ist, Teile der Macht abzugeben. Die Royalisten hingegen sehen in der schiitischen Opposition unverändert die Fünfte Kolonne Teherans am Werk, die iranische Interessen am Golf vertrete. Das Zwergland von der Größe Hamburgs, in dem viele Familien über Verwandtschafts- und Geschäftsbeziehungen eng miteinander verwoben sind, steht damit über kurz oder lang vor der Zerreißprobe, je länger sich der Konflikt hinzieht und weiter tiefe Gräben in die Gesellschaft reißt.
Derzeit profitiert die Herrscherfamilie Khalifa davon, dass sich die internationale Aufmerksamkeit auf Libyen, Ägypten und Syrien fokussiert. Das muss jedoch nicht dauerhaft so bleiben. Spätestens im Frühjahr 2012 werden sich die Augen der Welt wieder auf den kleinen Inselstaat richten. Am 22. April soll in Bahrain wieder ein Rennen der Formel-1-Weltmeisterschaft stattfinden.