Hier die Fortsetzung des Reiseberichts aus Palästina dessen erster Teil gestern erschien.
In Gesprächsrunden mit jungen Palästinensern musste ich entsetzt feststellen, dass sich die Vorstellungen hinsichtlich des Umgangs mit Israel radikalisiert haben. Bis zur Errichtung des „Apartheidsinstruments“(vielfache palästinensische Bezeichnung für den Sicherheitszaun) hätten viele einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 akzeptiert, doch durch diese erneute „Kriegserklärung“ würde die Mehrheit nun die „Vernichtung Israels“ befürworten.
Einige Palästinenser mit denen ich sprach gingen sogar so weit, den Holocaust zu leugnen oder zumindest Opferzahlen herunter zu korrigieren. Besonders als Deutscher fühlt man sich berufen diesen Behauptungen historische Fakten entgegen zu setzen. Beunruhigend sind solche Meinungen gerade bei der jungen Generation der Palästinenser, auf der die Hoffnung vieler für die Schaffung eines eigenen Staates beruht. Doch wenn man die tagtäglichen Repressionen der israelischen Armee und Polizei beobachtet, so lässt sich zumindest eine der Quellen des Hasses lokalisieren.
Die Bandbreite der Schikanen reicht von willkürlichen Abweisungen an Grenzübergangsstellen zur Westbank und zum Gazastreifen, der eingeschränkten Möglichkeit zu Auslandsreisen auf Grund eines fehlenden Passes, spontanen Grenzschließungen, der Inkaufnahme kilometerlanger Umwege für Passanten durch den Sperrzaun, erschwerten Zugängen zu schulischen und medizinischen Einrichtungen, Arbeitsverboten bis zu Hauszerstörungen. Die Beendigung solcher Maßnahmen ist nach meiner Einschätzung eine der wichtigsten Vorbedingungen für einen dauerhaften Frieden. Entgegen der allgemeinen Vorstellung sympathisiert eben nicht jeder Palästinenser mit den terroristischen Mitteln der radikalen Gruppierungen. Die Motivation eines Terroristen ist nicht erblich bedingt, sie resultiert aus den persönlichen Rahmenbedingungen. Und diese sind für die breite Masse alles andere als gut. Unterhaltungen mit Israelis in Tel Aviv oder Mitgliedern von Friedensorganisationen zeigten mir, dass die erniedrigende Art des Umgangs mit den Palästinensern nicht von allen Israelis befürwortet wird, was einen kleinen Anlass zur Hoffnung gibt.
In die Zeit meines Aufenthaltes fiel auch die Räumung des Gazastreifens. Aus diesem Grund wimmelte es im Land von Journalisten, die Interessantes zu berichten hatten. Die meisten rieten dringend von einer Fahrt dorthin ab, weil die palästinensischen Sicherheitskräfte die Lage nicht im Griff hätten und niemand für Sicherheit garantieren könne. An diese Empfehlung hielt ich mich auch. Von dem Einfluss der Hamas konnte ich mich dennoch während eines Besuches der Stadt Nablus überzeugen. Anlässlich der militärischen Räumung organisierte man dort eine große Demonstration. Da unser palästinensischer Begleiter den Checkpoint bei Nablus nicht passieren durfte machte sich eine kleine Gruppe der Campmitglieder allein auf den Weg. Bis auf ein europäisches Kamerateam der AFP hatte ich den Eindruck, dass wir die einzigen Westler in der ganzen Stadt waren. Ursprünglich wollten wir nur eine Stadterkundung machen, von der geplanten Großdemo erfuhren wir erst, als wir die grün geschmückten Straßenzüge und die riesigen Poster mit den Porträts von Scheich Ahmad Yassin und Abd al-Aziz ar-Rantizi an den Hauswänden bemerkten. Europäische Besucher bei Hamas-Veranstaltungen scheinen eher die Ausnahme zu sein. Die ebenfalls in grün geschmückten Einwohner von Nablus waren augenscheinlich etwas irritiert, aber gerne bereit zu Auskünften.
Wir hatten keine Vorstellung was wir zu erwarten hatten, als sich in der Ferne schon ein riesiger Demonstrationszug mit AK-47 Salven ankündigte. Die unterschiedlichen Abteilungen des Zuges, darunter auch eine Kinderbrigade in Kampfanzügen und eine Fahnen schwenkende Frauengruppe, erinnerten an die Bilder sowjetischer Militärparaden. Der Gedanke, dass unter den schwarzen Masken mit grünen Stirnbändern, meist Jugendliche steckten, die wohl keinerlei Ausbildung im Umgang mit Waffen hatten, beunruhigte mich etwas. Doch ging von diesem Schauspiel eine gewisse Faszination aus. Einer der umstehenden Beteiligten führte uns in die Nähe des Propaganda-LKW, von wo aus wir den Worten der Hamasführung im Westjordanland folgen konnten. Meine Arabischkenntnisse ließen mich zumindest verstehen, dass der israelische Abzug aus dem Gazastreifen aus Sicht der Hamas nur ein kleiner Schritt zur Verwirklichung palästinensischer Ziele sei. Die Hetze auf die westliche Kultur im Allgemeinen und die amerikanische im Besonderen wurde durch einige NIKE-Sportschuh tragende „Gotteskrieger“ jedoch ad absurdum geführt. Der Höhepunkt der Demo war das Verbrennen israelischer Papppanzer und Fahnen. Dieses Erlebnis war eines der aufregendsten der gesamten Reise und gab mir einen kurzen Einblick in die Vorstellungswelt einer Organisation, die Bombenanschläge als legitimes Handlungsinstrument betrachtet.
Abgerundet wurde mein Aufenthalt durch eine einwöchige Fahrt quer durch Nordisrael, in Begleitung eines chinesischen Journalisten aus Hong Kong, bevor es von Amman zurück in die Heimat ging. Bei weitem konnte ich nicht alles niederschreiben, was ich in den 4 Wochen erlebt habe. Erhofft hatte ich vor Reiseantritt, dass ich mir danach einige Fragen zum Nahost-Konflikt beantworten könnte, doch musste ich feststellen, dass zu den gewonnenen Antworten mindestens ebenso viele neue Fragen getreten sind. Eine der wichtigsten Erkenntnisse war die Bestätigung der journalistischen Weisheit, dass sich die eigene Anschauung vor Ort durch nichts ersetzen lasse. Die Wahrheit erschließt sich eben nicht immer auf den ersten Blick.
An dieser Stelle sei noch einmal auf einen weiteren Erfahrungsbericht eines Kommilitonen verwiesen, in dem dieser von seiner Reise von Jordanien nach Israel berichtet.:
Teil 1