Mit der Vereinbarung in Schweden und einer verabschiedeten UN-Resolution gibt es zum ersten Mal seit Ausbruch des Krieges ernsthafte Versuche, ihn zu lösen. Doch diese stehen noch an ihrem Anfang – und werden enorme Herausforderungen überwinden müssen, um den Jemen in Richtung Frieden zu bewegen. Von Parham Kouloubandi
Es mutet tragisch an, dass ausgerechnet die Ermordung von Jamal Khashogghi und Bilder von ausgehungerten Kindern auf Titelseiten weltweit ein Momentum erzeugt haben, das den diplomatischen Stillstand im Jemen brach und die erste Initiative seit drei Jahren ins Rollen brachte, den dortigen Bürgerkrieg zu lösen. Gespräche in Schweden zwischen Delegierten der jemenitischen Regierung und den Houthi-Rebellen, die ersten seit 2016, führten vergangene Woche zu einer Vereinbarung, die kurz darauf vom UN-Sicherheitsrat in einer Resolution, die erste seit 2015, bekräftigt wurde.
Obwohl die sogenannte Stockholm-Vereinbarung explizit keine politischen Punkte beinhaltet, sondern sich auf humanitäre Maßnahmen beschränkt, ist sie ein Durchbruch. Zunächst, da der Jemen sie absolut benötigt: Das Land befindet sich an der Schwelle zur Hungersnot. 22 Millionen Jemenit*innen sind auf externe Hilfe zum Überleben angewiesen, darunter über fünf Millionen Kinder, die akut mangelernährt sind. Die UN warnte deswegen vor einem beispiellosen humanitären Desaster, sollte sich die Lage vor Ort nicht ändern. Nun ermöglicht die vereinbarte Waffenruhe um die Stadt al-Houdeida und die Entmilitarisierung ihres Hafens, wo zwei Drittel aller Hilfslieferungen ins Land umgeschlagen werden, eine Katastrophe abzuwenden.
Darüber hinaus liegt der Durchbruch der Stockholm-Vereinbarung in seiner indirekten politischen Dimension: Die Tatsache, dass Regierung und Houthis eine Einigung erzielten, so unpolitisch diese auch sein mag, ist ein enormer Erfolg für die Vermittlungsversuche der UN-Mission um Martin Griffiths, die seit März 2018 darauf hingearbeitet hat. Sie belebt einen an sich gestorbenen Dialog und die UN als Mediator. Schließlich wurde Griffiths‘ Vorgänger noch der Parteilichkeit beschuldigt und Houthi-Kämpfer griffen 2017 seinen Konvoi an, während sein erster Versuch, Houthis und Regierung in Genf zusammenzubringen, im September 2018 noch kläglich scheiterte. Vor diesem Hintergrund ist die geschlossene Vereinbarung ein bemerkenswerter Erfolg, aber der eventuell letzte Versuch für eine Lösung des Krieges.
Doch ist damit nur ein erster, kleiner Schritt gegangen worden, während die verbleibenden Herausforderungen immens sind. Auf die UN-Mission wartet eine gigantische Aufgabe, wenn sie mit dem jetzigen Momentum den Friedensprozess wiederbeleben will. Einerseits, da im Jemen staatliche Strukturen nahezu komplett erodiert sind, und zweitens, weil die jemenitischen Akteure kaum noch auf eine politische Lösung vertrauen.
Erosion und Fragmentierung
Obwohl es nie eine zentrale Staatsgewalt gab, die den Jemen eigenständig kontrollierte, und Herrscher für ihren Machterhalt seit jeher auf Stämme zurückgreifen mussten, hat der Bürgerkrieg das Land in einer Art zerrissen, dass selbst das vagste Konzept von Autorität kaum noch gültig ist. Die traditionelle Verteilung von Macht statt ihrer Zentralisierung hat zum Zerfall des Staates beigetragen, weshalb die jemenitische Regierung, trotz ihrer internationalen Legitimation, allenfalls begrenzte Kontrolle besitzt und um Autorität konkurrieren muss.
Ihre größten Widersacher, die Houthi-Rebellen, saßen zwar am Verhandlungstisch in Schweden, doch sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich im Krieg mehrere Akteure gegenüberstehen und nicht nur Houthis und Regierung. Diese komplexe Gemengelage muss ein Friedensprozess berücksichtigen, um erfolgreich zu sein, was allerdings aufgrund der Vielzahl der Akteure eine schwierige Aufgabe ist. Im Norden hat mit den Houthis eine relativ zentralisierte Miliz das Sagen, die neben der Hauptstadt Sanaa‘ ein großes Gebiet kontrolliert und dort mit Unterdrückung und Zwang Ordnung herstellte, aber weder die Interessen der breiten Bevölkerung vertritt, noch gewählt wurde. Sie als alleinige Repräsentanten des Nordens zu behandeln birgt insofern Probleme.
Im Süden wiederum hat sich durch die dortige historische Heterogenität, wo mehrere Sultanate kleine Territorien beherrschten, eine breite Mischung an lokalen Milizen gebildet, die wenig miteinander eint, außer der vage Wunsch nach Sezession. Wahhabitisch ausgerichtete Gruppen, Islamisten der Islah-Partei sowie Überbleibsel jener Sozialisten, die den Südjemen von 1967 bis 1990 beherrschten, führen zu einem komplexen Amalgam aus einzelnen, teils konkurrierenden Gebieten des heutigen Süden. Anders als im Norden, wo eine Gruppe die Macht gegen den Willen der Mehrheit hält, existiert so gut wie keine Form der Kontrolle. Nominell unterstehen diese Gebiete der Regierung, die diese auch in den Schweden-Verhandlungen vertreten hat, aber faktisch sind es dutzende Warlords diverser ideologischer Ausrichtung, die den Ton angeben und ebenso wie die Houthis auf brutale Repression zurückgreifen.
Während zumindest Regierung und Houthis die 1990 vollzogene Einigung Nord- und Südjemens bekräftigen, wünschen sich mehrere der Süd-Milizen die Abspaltung, was zu der kontroversen Situation führt, dass sie in offiziellen Gesprächen von einer Regierung vertreten werden, die sie nicht akzeptieren und bereits bekämpften. Das war einer der Gründe, warum die Waffenruhe in al-Houdeida in den ersten Tagen nach ihrer Ankündigung gebrochen wurde: Es sind nicht Regierungssoldaten, die die Offensive um die Hafenstadt anführen, sondern einzelne Milizen, von denen nicht klar ist, auf welche Befehle sie eigentlich hören, auch wenn die Kämpfe nun gestoppt wurden.
Fehlendes Vertrauen
Das Problem der multiplen Autoritäten im Land wird dadurch verstärkt, dass alle jemenitischen Akteure von außen unterstützt werden: die Houthis aus Iran, die Regierung aus Saudi-Arabien, einige Milizen im Süden aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Dabei sind letztere auch militärisch aktiv und setzen eine Totalblockade des Jemen um, die einen hohen Anteil an der humanitären Krise hat, da sie den Fluss von Waren behindert. Nichtsdestotrotz ist der Konflikt im Jemen ein interner, der von Jemeniten ausgefochten wird und von außen befeuert. So problematisch das auch sein mag, da dadurch Milizen Zugang zu schweren Waffen haben und effektiver, das heißt blutiger, Krieg führen können, diese Konstellation erleichtert potenziell eine Friedensfindung. Denn die externen Unterstützer können Druck auf ihre Partner ausüben, Konzessionen zu machen, Zusicherungen geben und dadurch ein Haupthindernis lösen: fehlendes Vertrauen der Jemenit*innen in einen politischen Prozess.
Dennim Kern des heutigen Krieges stehen die Massenproteste von 2011, die zum Rücktritt des amtierenden Präsidenten Ali Abdullah Saleh führten. Es war allerdings keine Reaktion auf die Forderungen der Menschen nach Demokratie und Reformen, sondern wurde hauptsächlich von Saudi-Arabien eingefädelt und berücksichtigte nur die Interessen der Eliten, die Armee, Stämme und Wirtschaft dominierten. Mit dem Ziel, Jemens Stabilität zu erhalten, wurde Saleh mit seinem Vizepräsidenten, Abd Rabo Mansour al-Hadi ersetzt. Dieser war im alten System vernetzt, weswegen davon auszugehen war, er den Status Quo nicht zu sehr ändern würde. Doch dass es nach den Massenprotesten Reformen geben musste, war letztlich auch Hadi bewusst, weswegen er 2013 die Konferenz des Nationalen Dialogs (KND) lancierte, die durch Dialoge ein neues politisches System erarbeiten sollte. Saleh allerdings, zusammen mit den Eliten, sabotierte den Prozess, um die eigenen Privilegien nicht zu verlieren. Die KND scheiterte daraufhin.
Die Houthis, die schon seit 2004 gegen Diskriminierung und Ausgrenzung kämpften, reagierten und setzten die unbeliebte Hadi-Regierung unter dem Vorwand einer populären Revolution im März 2015 ab, was den Krieg auslöste. Allerdings waren nicht nur sie von der KND enttäuscht: es waren auch die Südjemeniten, die bereits 2014 ihre Demonstrationen wiederaufnahmen. Er scheiterte letztlich krachend darin, die vielen tiefgreifenden Probleme des Jemen zu lösen, etwa die schlechte Wirtschaftslage, fehlende politische Repräsentation oder die Frage des Föderalismus.
Hinter dem Griff zu den Waffen stand sowohl für die Houthis, als auch für die Milizen im Süden die Überzeugung, so die strukturellen Dysfunktionalitäten im Land lösen zu können – zumindest für den eigenen Vorteil. Ein Frieden muss daher nicht nur die Interessen all jener Milizen und die der breiten Bevölkerung berücksichtigen und zusammenbringen, sondern insbesondere das Vertrauen in einen zuvor gescheiterten politischen Prozess herstellen. Zudem braucht er Vorschläge, um ebenjene Probleme, die den Jemen seit Jahrzehnten plagen, gegen den Widerstand der Eliten und vor allem der bewaffneten Akteure zu lösen. Eine Mammutaufgabe. Druck der externen Unterstützer könnte es allerdings ein Stück weit erleichtert, zusammen mit der Tatsache, dass die alten Eliten einen Großteil ihrer Macht verloren haben und Jemens politische Landschaft mit der von 2013 nicht mehr viel zu tun hat.
Ein Zeichen dafür gab es bei den Schweden-Gesprächen: Laut Beobachtern der Crisis-Group drohten die Verhandlungen zu scheitern, da die Regierung in einigen Punkten nicht bereit war, auf die Houthis zuzugehen. Druck von US-Offiziellen löste die Situation. In dem Fall hat der Aufruhr nach Khashogghis Tod zumindest etwas Positives bewirkt und ermöglicht, im komplexen und unüberblickbaren jemenitischen Bürgerkrieg einen ersten, kleinen Schritt zu machen – und der muss nun von einem zweiten, riesigen Schritt gefolgt werden.
Als Teil der Stockholm-Vereinbarung wurde ein UN-Beobachterteam nach al-Houdeida geschickt, um die Waffenruhe zu beobachten und insbesondere dafür zu sorgen, dass der Hafen weiterhin Hilfsgüter aufnehmen kann. Das wird zumindest die große Katastrophe, vor der gewarnt wurde, abwenden. Aber um Frieden zu bringen und über reine Nothilfe hinauszugehen, statt conflict management conflict resolution, wird die UN-Mission Vertrauen aufbauen müssen. Dazu sollten letztlich verschiedene Akteure an den Tisch kommen, über Houthis und Regierung hinaus.
Wenn die Waffenruhe hält und der Gefangenenaustausch der Stockholm-Vereinbarung reibungslos abläuft, wird man im Januar 2019 erneut zusammenkommen, um dann über humanitäre Hilfe hinaus auch politische Aspekte zu behandeln. Das wäre dann der zweite Schritt, wofür der erste gelingen muss.
Sollten die UN-Beobachter von einer Miliz aufgehalten oder beschossen werden, oder Kämpfe in al-Houdeida neu aufflammen, wird es nahezu unvorstellbar werden, Jemens Krieg noch diplomatisch zu beenden und dadurch den Staat zu retten. Wahrscheinlich wäre dann eine Art Somalia-Szenario, mit dutzenden Milizen, die einzelne Territorien beherrschen. Martin Griffiths ist immerhin schon der dritte UN-Gesandte seit 2011, während keine Seite stark genug ist, die anderen zu besiegen. Die Folgen eines Scheiterns wären daher fatal. Ein Houthi-Politiker drückte es gegenüber einem Journalisten so aus: Es ist ein Krieg des Knochenbrechens - entweder wir brechen sie oder sie uns.