13.09.2024
Bericht: Sommerfest 5 Jahre dis:orient am 24.8.2024 im ACUD, Berlin
Das Sommerfest kann loslegen. Foto; Dominik Winkler
Das Sommerfest kann loslegen. Foto; Dominik Winkler

Fünf Jahre dis:orient! Das musste gefeiert werden – mit großem Wiedersehen, journalistischen Einblicken, beißender Satire und Tanz.

Der Hof des ACUD füllte sich an dem sonnigen Samstag Ende August ab 17 Uhr schnell: Das Essen von Fatima lockte die Besucher:innen mindestens genauso an, wie unsere blauen Luftballons und das volle Abendprogramm. Viele Umarmungen, Wiedersehen und Kennenlernen erfüllten die Luft und bei den Rate-, Glücks- und Ausmalspielen für Groß und Klein konnten die ersten schon ihr Wissen zu Westasien und Nordafrika (WANA) testen und dis:orient-Merchandise gewinnen. Fast zu schön, um ins Studio zu gehen – doch dort wurde es dann gegen 19 Uhr richtig voll.

Bei der Paneldiskussion „Revolution, Migration, Staatsräson – Deutscher Journalismus zu Westasien“, moderiert von der freien Journalistin und unserer ehemaligen Magazinkoordinatorin Anna-Theresa Bachmann, waren Platz – und Luft – knapp. Zwei weitere bekannte Gesichter bei dis:orient: Lea Frehse, ZEIT-Korrespondentin und ehemalige Vorstandsvorsitzende von Al-Sharq, einem der Vorgängervereine, aus dem dis:orient vor fünf Jahren entstanden ist, und der ehemalige dis:orient-Kolumnist Omid Rezaee. Extra aus München angereist war außerdem Dunja Ramadan, Redakteurin bei der Süddeutschen Zeitung. 

Vom deutschen Diskurs und journalistischen Standards

Im Fokus des Gesprächs stand die Berichterstattung zum 7. Oktober und dem Krieg in Gaza sowie das Berichten über die revolutionäre Bewegung in Iran seit September 2022. Anna-Theresa Bachmann richtete das Augenmerk darauf, dem Publikum Einblicke in die Praxis und Herausforderungen journalistischen Arbeitens zur Region zu ermöglichen. Gleichzeitig war Raum, um die Fragen zu stellen, die Vielen von uns auf der Seele brennen.

Lea Frehse teilte ihre persönlichen Erinnerungen an die Tage unmittelbar nach dem 7. Oktober, als sie in Südisrael an den Orten des Überfalls der Hamas an israelischen Zivilist:innen recherchierte, und wie sich bereits hier abgezeichnet hatte, dass die militärische Antwort Israels gegen Gaza die aus vergangenen Jahren bekannten Ausmaße weit übersteigen würde. Als die Recherchearbeit abgeschlossen war, wurde Lea vom deutschen Diskurs überrascht: Bei der Veröffentlichung einer langen Reportage zum Überfall der Hamas musste sie darum kämpfen, dass auch die bereits zu dem Zeitpunkt zu beklagenden Opfer in Gaza in zwei Sätzen erwähnt wurden.  

Dunja Ramadan bestätigte diesen Eindruck mit ihrer Recherche zu einer in Gaza getöteten deutsch-palästinensischen Familie, in der der übliche öffentliche Aufschrei bei im Krieg getöteten deutschen Staatsangehörigen ausblieb. Äußerst kritisch blickte sie zudem auf die Praxis deutschsprachiger Redaktionen seit dem 7. Oktober, Kriegsparteien unhinterfragt als Quelle zu zitieren, was gegen journalistische Standards verstößt. Die Aushandlungen in den Redaktionen seien hier oft schwierig, beispielsweise auch über Begriffe, die unkritisch übernommen werden, wobei als Ergebnis in der Berichterstattung Opfer auf der einen Seite des Kriegs „getötet werden“ und andere einfach „sterben“. 

Die Unterscheidung zwischen Journalist:innen und Aktivist:innen

Der kritische Umgang mit Quellen beschäftigte auch die Diskussion rund um die Iranberichterstattung. Omid Rezaee wies darauf hin, dass deutsche Redaktionen hier oft nicht zwischen Aktivist:innen und Journalist:innen unterscheiden. Am Beispiel der Vergiftungen an iranischen Mädchenschulen, über die im Frühjahr 2023 in deutschen Medien berichtet wurde, erklärt Omid: „Wenn es um Länder wie Iran geht, neigt die deutsche Berichterstattung dazu, Ereignisse zu sensationalisieren und sich eher auf den Krimi-Aspekt zu konzentrieren, anstatt den politischen und gesellschaftlichen Hintergrund angemessen zu behandeln“. Auf der anderen Seite wird Omids Arbeit in den Redaktionen aufgrund seiner iranischen Herkunft oft missverstanden: „Viele erwarten von mir, das Sprachrohr der iranischen Community zu sein, doch das ist nicht mein Anspruch - ich bin Journalist“, sagte er.

In den Fragen aus dem Publikum kam auch die Rolle von Nachrichtenagenturen wie der Deutschen Presse-Agentur (dpa) zur Sprache, deren teilweise unkritische Ticker-Meldungen auch bei etablierten Medien nicht nur als Grundlage der Berichterstattung dienen, sondern mitunter ohne ausreichende Überprüfung übernommen werden. „Haben wir als Branche versagt?“, fragt Anna-Theresa ihre Gesprächspartner:innen angesichts der großen Kritik an der Berichterstattung nach dem 7. Oktober, die deutsche Redaktionen erreichte. Lea bestätigte, dass das Aufgreifen der Kritik und Anpassen der Berichterstattung zu spät kam: „Viele hatten zu diesem Zeitpunkt den deutschsprachigen Medien den Rücken gekehrt, weil der Graben zwischen dem, was sie erwartet hatten und der Berichterstattung in den Monaten nach dem 7. Oktober zu groß war“. Dunja fügte hinzu: „Viele lesen mittlerweile kritische israelische Medien, wie die Tageszeitung Haaretz oder das Magazin +972“. Langfristige Folgen dieses Vertrauensverlusts in die deutsche Medienlandschaft sind zu befürchten. 

Talibæs: Keine Comedy, sondern Satire

Nach einer kurzen Pause ging es weiter mit den Talibæs, einer Politsatire von Mina Khan und Saboura Naqshband. Die Inspiration für den Namen kam, erzählte Mina Khan, vom Instagram-Account einer Frau aus Bayern, die nach Afghanistan gereist war, dort mit Taliban posierte und von deren Männlichkeit schwärmte. Gefundenes Fressen für die Talibæs, die bei dis:orient ihre Premiere feierten. Das Publikum wurde Zeuge eines improvisierten Gesprächs, das viele Lacher produzierte, aber explizit nicht dazu gedacht war, zu unterhalten. 

Von Sylt über die feministische Außenpolitik und das eigene Coming-out ging es kreuz und quer durch deutsche und deutsch-diasporische Diskurse, bei dem kräftig in alle Richtungen ausgeteilt wurde. Ob unsere Panelist:innen oder assimilierte „Kokosnüsse“, alle bekamen ihr Fett weg. An einigen Stellen wurde Mina dennoch ernst: „Bis heute sind die Schulen in Afghanistan für alle Mädchen ab der 7. Klasse geschlossen“, erinnerte sie die Zuhörenden eindringlich. Auch die toxische deutsche „Remigrations“- und Abschiebedebatte – auch nach Afghanistan – kam zur Sprache, sowie die Angriffe auf Personen in Deutschland, die den Hijab tragen. 

Ein großer Dank an alle!

Das Sommerfest war endlich wieder ein Anlass, mit den verschiedenen Generationen an aktiven dis:orient-Mitgliedern zusammenzukommen und gemeinsam mit unseren Freund:innen, Familienmitgliedern und Kolleg:innen zu feiern – aber auch, um neue Gesichter bei uns begrüßen zu können. Besonders schön sind die Momente, in denen dis:orient als Rahmen dienen kann, in dem sich Menschen kennenlernen – diesmal zum Beispiel unser ehemaliger Kolumnist Omid und sein Nachfolger Mohammad Nowroozi.

Zu den Beats der drei wunderbaren DJs Zuher (xanax_attax), Moe und Youn3s wurde gemeinsam getanzt, während andere auf dem Balkon und im gemütlichen Innenhof des ACUD bis spät in die Nacht saßen.

Ein großer Dank geht an Lea Frehse, Dunja Ramadan und Omid Rezaee auf dem Podium, an Anna-Theresa Bachmann für die Panelmoderation, an Mina Khan und Saboura Naqshband für ihren unvergesslichen Auftritt und die DJs für die tolle Musik. 

Aus dem dis:orient-Team danken wir Magda für den wunderbaren Rückblick auf fünf Jahre dis:orient, Lissy für die Moderation durch den Abend und an unser liebes Orga-Team – vor allem Charlotte, Georg, Eva G. und Eva H.!

Ganz herzlichen Dank an alle, die dabei waren und mit uns zugehört, diskutiert und gefeiert haben! Und ein letzter großer Dank an alle, die unsere Arbeit bei dis:orient unterstützen – ganz besonders unsere Fördermitglieder, von denen wir bei unserem Fest einige dazu gewinnen konnten. Falls ihr das noch nachholen wollt, geht das hier

 

 

dis:orient – das sind viele Menschen. Manchmal posten wir aber auch als Team – meist in eigener Sache.