02.04.2017
Die Heirat in Ägypten - ein Passierschein zum Leben!
In Ägypten gilt die Ehe als der Weg in ein besseres Leben voll Freiheit und Unabhängigkeit, doch diese Erwartungen werden nur selten erfüllt. (Foto: hope4happiness/Flickr)
In Ägypten gilt die Ehe als der Weg in ein besseres Leben voll Freiheit und Unabhängigkeit, doch diese Erwartungen werden nur selten erfüllt. (Foto: hope4happiness/Flickr)

In Ägypten werden Töchter oft als Last behandelt, von der man sich mittels Heirat befreien kann. Für viele ägyptische Frauen stellt die Ehe daher eine Farce dar, die sie auf sich nehmen. Alaa Ahmed al-Kasabany erzählt die Geschichten dreier Frauen und ihrem Umgang mit der Ehe. 

Dieser Text erschien zuerst auf Masralarabia. Hier geht es zum Originaltext.

1) „Wir sind sie losgeworden“

Sie stand zwischen Gästen, die klatschten und tanzten. Sie sah mich traurig an, ich lächelte und versuchte, mein Lächeln nicht so nichtssagend erscheinen zu lassen. Auch winkte ich ihr zu, um sie unter all diesen tanzenden Menschen zu beruhigen. Sie versuchte, aus dem Kreis der Menschen zu fliehen, doch je mehr sie es versuchte, desto enger wurde der Kreis um sie herum. Sie schien verunsichert und nervös, als ob der Kreis sie ersticke und sie nicht atmen könne.

Sie kam aus dem Kreis heraus und begann zu weinen. Ich umarmte sie und fragte, „Warum weinst du?“ – Sie antwortete weinend und ironisch: „Warum ich weine? Vor Glück, meine Liebe!“

Es schien den anderen gleich zu sein. Sie tanzten zur Musik, als tanzten sie zu ihrer Traurigkeit. Niemand bemerkte ihre Tränen und sie wischte sie schnell weg, damit niemand sie sah. Selbst ihr Vater nicht, ihr liebster Mensch, der sie allein nach dem Tod ihrer Mutter aufgezogen hatte.

Die Gäste nahmen ihre Hand nochmals, um mit ihr zusammen im selben Kreis zu tanzen. Sie trennten uns voneinander. Als ich zurücktrat, traf ich ihren Onkel. Er sagte lachend: „Gott sei Dank! Sie ist verheiratet, wir können uns jetzt alle beruhigt zurücklehnen. Wir sind sie losgeworden!“. „Zurücklehnen!“ –  dieses Wort tat mir weh. Es war, als sei ihnen ein Stein vom Herzen gefallen.

Ich nahm meine Tasche, verabschiedete mich und ging. Ich hatte hier – so fühlte ich – auf dieser „Beerdigung“, die wie eine Hochzeit aussah, nichts zu suchen. Ich stieg in den ersten Bus und fuhr weg.

Am nächsten Tag sah ich sie wieder. Ihre Augen waren vom Weinen geschwollen. Ich sagte „Hallo“. Da bemerkte ich, dass sie ihren Ehering nicht trug. Traurig sah ich ihr in die Augen, woraufhin sie sagte: „Vater ist glücklich, das ist das Wichtigste!

2) „Ich habe einen Passierschein erhalten"

Sie rauchte wie ein Schlot und sah alle fünf Minuten auf ihre Uhr. Ich fragte sie, ob sie etwas Wichtiges zu tun habe oder auf jemanden warte.

Sie antwortete, dass ihr Mann sie allein zu Hause gelassen habe, um seine Freunde im Café zu treffen. Als sie ihm sagte, dass heute ihr Geburtstag sei, meinte er, er hätte es seinen Freunden versprochen und müsse gehen. Aber er würde nach einer Stunde zurückkommen, um mit ihr auszugehen und ihren Geburtstag zu feiern. Sie zog ihr schönstes Kleid an, schminkte sich und wartete.

Drei Stunden vergingen, aber er meldete sich nicht. Da rief sie mich an, um sich in ihrem Lieblingscafé zu treffen. Sie sagte ihrem Mann, dass sie mich treffen würde. Er sagte schnell: „O.K., aber komm‘ nicht zu spät“, und entschuldigte sich, dass er nicht gekommen sei. Er habe die Zeit vergessen, während er Playstation spielte.

Sie sagte ironisch lächelnd: „Kennst du das Beste an der Ehe für mich? Ich kann jetzt rauchen, ohne dass es meinem Ansehen schadet. Ich bin jetzt eine verheiratete Frau – das bedeutet, ich habe einen Passierschein erhalten.“

3) „Wenn du heiratest“

Es war nicht das erste Mal, dass sie mit mir über ihre Familie und die Ehe sprach. Sie hat viele Male darüber gesprochen, doch jedes Mal gab es etwas Neues. Bei jedem Mal lehnte sie einen neuen Mann als Bräutigam ab, sagte ihrer Familie, dass sie Gottes Segnungen ablehne und dass sie am Ende lieber alleine bleiben würde, denn sie sei undankbar vor Gott.

Sie erklärte immer wieder, aus welchen Gründen sie den Mann abgelehnt hatte. Die Familie warf ihr vor, an jedem Mann etwas auszusetzen zu haben. Sie fragten sie, ob sie einen anderen Mann liebe. Als sie verneinte, wurde sie geschlagen, damit sie die Wahrheit sagte. Schließlich, als sie darauf bestand, dass sie auf niemanden warte, glaubten sie ihr. Mit einem neuen Mann begann ein neues Drama.

Sie sagte mir weinend, das sei nicht das Schlimmste daran. Vielmehr leide sie unter zahlreichen Einschränkungen, weil sie unverheiratet sei. Sie könne nicht reisen oder nach 20 Uhr außer Haus bleiben. Sogar Haarfärbemittel seien verboten! Jedes Mal, wenn sie so etwas machen wolle, wurde ihr gesagt: „Sobald du heiratest“, so als ob die Ehe der Passierschein zu einem besseren Leben sei.

Sie erklärte: „Meine Träume sind einfach. Ich möchte nur die Welt sehen, ich möchte diesen Käfig verlassen. Mir ist klar, dass eine Ehe keinen dieser Träume verwirklichen wird. Im Gegenteil: Ich werde aus einem Käfig herauskommen, um in einen anderen zu gehen. Alles, was ich will, ist atmen.“

Ehe in Ägypten: Warten auf den Märchenprinz

Die Ehe in Ägypten ist eine Farce, besonders für Frauen. Frauen werden oft als eine Last behandelt, die sich die Familie so schnell wie möglich vom Hals schaffen muss.

Gleichzeitig akzeptiert es die Familie nicht, wenn Frauen selbstständig leben oder sich auf eine andere Art beweisen wollen. Aus Sicht der Gesellschaft sollen sie mit jemand Stärkerem verbunden sein. Als Anhängsel des Mannes, nicht als seine Partnerin.

Die Ehe in Ägypten gilt als ein Passierschein für Frauen in ein besseres Leben. Die Ehe wird mit Parolen von Freiheit und Unabhängigkeit geschmückt.

Die Träume der Frauen werden dabei völlig außer Acht gelassen, nach dem Motto, „mach das, nachdem du verheiratet bist.“ Die Frauen verschieben ihre Träume, bis der Märchenprinz kommt und alle ihre Träume verwirklicht, egal was für Träume es sind. Dann schließlich sind sie enttäuscht, denn diese Erwartungen werden nur selten erfüllt.

Sie merken, dass sie nicht unabhängig sein können und fühlen, dass sie getäuscht wurden. Sie neigen dazu, sich zu verweigern und versuchen auf eine zahme Art, ihre Unabhängigkeit zu gewinnen. Dies führt zur Scheidung oder zu weiteren Zwängen. Das Resultat? Viele Frauen sind verunsichert und werden ihrer eigenen Persönlichkeit beraubt.

„Wir möchten dich gern als Braut sehen und uns keine Sorgen mehr um dich machen“ – sie soll heiraten, ohne ihren Lebenspartner wirklich zu kennen, obwohl sie alleine mit ihm leben würde. Sie soll heiraten, ohne sich mit dem Partner wirklich zu verstehen.

Wenn emotionale Erpressung nicht funktioniert, wendet die Familie eine andere Strategie an – wenn die Tochter einen bestimmten Mann ablehnt, darf sie keinen anderen wählen oder muss auf ihr Studium verzichten.

Dies wird teilweise mit körperlicher Gewalt wie Schlägen oder Einsperrung durchgesetzt. Manche glauben, dass das im 21. Jahrhundert nicht mehr passiert. Aber ich behaupte, dass es heute immer noch geschieht, denn ich kenne viele weitere Geschichten darüber. Doch ich habe keine Genehmigung erhalten, diese weiterzugeben.

Frauen in Ägypten glauben, die Heirat sei der „Passierschein zu einem besseren Leben“ – doch das ist nicht immer so.

 

Alaa Ahmed El-Kasabany ist eine ägyptische Feministin und arbeitet als freie Autorin und Journalistin. Sie studierte Politikwissenschaft an der Universität Kairo und ist heute Doktorandin an der Fakultät der Politikwissenschaft und Wirtschaft der Universität Alexandria. Sie schreibt für verschiedene arabischsprachige Medien, unter anderem Masralarabia, Huffingtonpost Arabia und za2eed18.  

Artikel von Alaa Ahmed al-Kasabany
Übersetzt von Sara Osman (aus dem Arabischen)