09.06.2015
„Besser spät als nie"? Zur Annäherung zwischen Michel Aoun und Samir Geagea
Gemütliches Plaudern über die gute alte Zeit - so zumindest der Eindruck. Tatsächlich gingen dem Treffen von Samir Geagea (links) und Michel Aoun monatelange geheime Verhandlungen voraus - und eine fast 30 Jahre währende Feindschaft, die Tausende das Leben kostete. Foto: Twitter-Account von Michel Aoun (General_Aoun).
Gemütliches Plaudern über die gute alte Zeit - so zumindest der Eindruck. Tatsächlich gingen dem Treffen von Samir Geagea (links) und Michel Aoun monatelange geheime Verhandlungen voraus - und eine fast 30 Jahre währende Feindschaft, die Tausende das Leben kostete. Foto: Twitter-Account von Michel Aoun (General_Aoun).

Ist ein Ende der politischen Krise im Libanon in Sicht? Zumindest verkündeten mit Michel Aoun und Samir Geagea die Hauptkontrahenten um das seit einem Jahr unbesetzte Präsidentenamt eine gemeinsame Absichtserklärung. Das Treffen könnte zugleich die seit Bürgerkriegszeiten bestehende Polarisierung innerhalb der christlichen Gemeinschaft zwischen Anhängern Geageas und Aouns aufweichen.

Das Treffen war historisch: Samir Geagea und Michel Aoun, deren brutaler Machtkampf während des Bürgerkriegs tausenden Menschen das Leben gekostet hatte und deren Feindschaft bis in die Gegenwart die Christen im Libanon spaltet, traten gemeinsam vor die Presse. „Ich wünschte, das Treffen hätte schon vor 30 Jahren stattgefunden, doch besser spät als nie!“, kommentierte der ehemalige Warlord Geagea. Sein langjähriger Widersacher Aoun, der Geagea in seiner Residenz in Rabieh empfing, bezeichnetete den gemeinsamen Auftritt als „Geschenk für die Christen“. Es sei jedoch „erst der Anfang“.

Samir Geagea hatte als Anführer der Lebanese Forces während des Bürgerkriegs einen selbstverwalteten christlich-maronitischen Distrikt im Herzen des Zedernstaates etabliert. Ebendiese Kantonisierung des Libanon entlang konfessioneller Linien hatte Aoun als Armeeoberhaupt und als Ministerpräsident aufs Schärfste bekämpft. Die Rivalität der beiden Maroniten gründete dabei zudem auf dem konkurrierenden Führungsanspruch, den sowohl Aoun als auch Geagea hinsichtlich der Christen im Land hegten – und hegen.

In der Nach-Bürgerkriegs-Ordnung des Libanon waren sowohl Geagea als auch Aoun zunächst außen vor: Aoun musste ins französische Exil flüchten, nachdem er sich gegen die anbahnende syrische Hegemonie im Libanon aufgelehnt hatte. Geagea wurde 1994 als einziger der berüchtigten Warlords wegen Verbrechen während des Bürgerkriegs inhaftiert. Auch er hatte die zunehmende Oberherrschaft Syriens und seiner Verbündeten im Libanon scharf kritisiert.

Nach 2005 flammte die alte Rivalität bald wieder auf

Erst 2005 kehrten Aoun und Geagea im Zuge der so genannten Zedernrevolution und dem damit verbunden Rückzug der syrischen Armee auf die politische Bühne des Libanon zurück – und setzten sich an die Spitze konkurrierender christlicher Bewegungen. Die alte Rivalität flammte bald auf, als sich die beiden Veteranen verfeindeten Bündnissen anschlossen: Während sich Aouns Freie Patriotische Bewegung (FPM) 2006 der schiitischen Partei und Miliz Hizbollah annäherte, formten Geageas Lebanese Forces (LF) mit der sunnitischen Future-Bewegung um Saad Hariri eine Allianz. Während Sunniten und Schiiten jeweils vergleichsweise homogene politische Blöcke bildeten, waren die Christen aufgrund von Aouns und Geageas persönlicher Feindschaft und Bündnispolitik gespalten.

Der Machtkampf zwischen Aoun und Geagea gipfelte im rivalisierenden Anspruch, das im Proporzsystem des Libanon einem maronitischen Christen vorbehaltene Präsidentenamt zu übernehmen. Bei den Präsidentschaftswahlen im April 2014 gelang es jedoch keinem der Kandidaten auch nur annähernd die notwendige Zweidrittelmehrheit zu erreichen. Seitdem ist der Libanon ohne Staatsoberhaupt.

Ein zäh ausgehandelter 16-Punkte-Plan

Umso größere Hoffnungen nährt das Treffen zwischen Aoun und Geagea nun, die politische Krise des Libanon könnte überwunden werden. Wie dies geschehen soll, skizzierte Geagea und Aoun in einem 16-Punkte-Plan (hier in englischer Übersetzung zum Download), den Unterhändler der FPM und der LF monatelang ausgehandelt hatten. Neben christlich-konservativen Positionen – die Betonung der Unabhängikeit des Landes vor äußeren Einflüssen, die Forderung nach Nicht-Einbürgerung von Palästinenser_innen und nach einem Wahlrecht, das den Christen mehr Einfluss gibt – enthält das Dokument Punkte, die erst nach zähem Ringen Aufnahme in den Katalog fanden: So ist die Betonung des Gewaltmonopols der Armee als Zugeständnis Aouns an Geagea einzustufen, der die militärische Dominanz der Hizbollah wiederholt scharf kritisiert hatte. Gerüchten, dass die FPM das Bündnis mit der Hizbollah nun aufkündigen werde, erteilte Aoun jedoch eine Absage.

Einigung auf „starken Präsidenten“ – aber auf wen?

Nicht zuletzt sieht der 16 Punkte-Plan die Wahl eines „starken Präsidenten“ vor, der die Interessen der Christen vertritt und gleichzeitig von den nicht-christlichen Konfessionen unterstützt wird. Wer das sein könnte, bleibt indes unklar. Geagea genießt aufgrund der blutigen Bürgerkriegsvergangenheit und seiner christlich-nationalistischen Rhetorik wenig Unterstützung außerhalb der eigenen Änhängerschaft. Der mittlerweile 80-jährige Aoun ist ebenso eine streitbare Figur und insbesondere für die Anhänger Geageas ein rotes Tuch. Die Möglichkeit eines dritten Kandidaten von Aouns und Geagea Gnaden scheint nicht unwahrscheinlich. Vorstellbar wäre auch, dass sich Aoun und Geagea eine Amtsperiode teilen. Momentan sind dies jedoch nur Spekulationen.

Zumindest kommt etwas Bewegung in den politischen Stillstand des Zedernstaates. Ob die Krise überwunden werden kann, ist noch nicht absehbar. Schließlich sind die FPM und die LF in ihren politischen Bündnissen weiterhin verfangen und grundlegende Streitfragen wie das Waffenmonopol der Hizbollah bleiben ungelöst. Doch momentan überwiegt die Hoffnung: „Wenn sich diese Streithähne zusammenraufen können, dann kann vielleicht auch der Libanon wieder zur Einheit finden“, frohlockt ein libanesischer Christ aus Zahleh.

Eine Aktivistin aus Beirut schlägt dagegen weniger optimistische Töne an: „Warum sollte sich nun etwas ändern? Weil zwei alte Männer mit Blut an den Händen sich versöhnen? Sie sind Teil des Problems, nicht der Lösung! Wir müssen die Generation der Patriarchen und der Seilschaften überwinden, um voranzukommen.“

 

 

Bei unserer Fachtagung in Bad Boll zwischen dem 3. und 5. Juli werden wir uns unter anderem der aktuellen Situation im Libanon widmen. Ebenso werden wir auf unserer politischen Studienreise im Libanon im September Fragestellungen dieses Artikels ausführlich thematisieren. Zuletzt sei auf die wissenschaftliche Arbeit „Libanons Christen zwischen Integration und Abgrenzung: Christliche Interessenpolitik nach dem Bürgerkrieg an den Beispielen Michel Aoun und Samir Geagea" des Autoren hingewiesen.

Christoph ist studierter Islam-, Politik- und Geschichtswissenschaftler mit Fokus auf Westasien. Der Mitgründer von Alsharq - heute dis:orient - war zwischen 2011 und 2014 bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem tätig. In Berlin arbeitet er als Geschäftsführer für Alsharq REISE. Christoph hält regelmäßig...