12.03.2015
Die Rückkehr des Wunderministers Kachlon
Mosche Kachlon: Der "neue" alte Königsmacher in Israel? Photo: Wikipedia (CC BY 2.0)
Mosche Kachlon: Der "neue" alte Königsmacher in Israel? Photo: Wikipedia (CC BY 2.0)

Mosche Kachlon ist ein Macher. Ein Problemlöser. Einer, der von weit unten kommt und nach ganz oben will. Ein gutes Stück dieses Weges hat der 54-Jährige bereits zurückgelegt: Er ist der beliebteste Politiker Israels und seine Kulanu-Partei („Wir Alle“) könnte nach den Wahlen vom 17. März zum Königsmacher werden. Von Jakob Farah

 Tobias Pietsch

Seine Popularität verdankt der Mann mit der silbermelierten Kurzhaarfrisur vor allem seinem Erfolg als Kommunikationsminister zwischen 2009 und 2013, damals noch als Likud-Mitglied. In dieser Zeit liberalisierte er den Telekommunikationssektor und initiierte die israelische „Telefon-Revolution“: Kachlon brach die verkrustete Oligopol-Struktur der drei führenden Telekommunikationsunternehmen Cellcom, Orange und Pelephon auf und öffnete den Markt für neue Anbieter. Das Resultat: Die Telefonrechnungen der Israelis sind seither um rund 90 Prozent gesunken. Heute bekommt man in Israel einen Monatsvertrag mit unlimitiertem Netzzugang zum Preis einer Pizza. Kein Wunder, dass Kachlon von vielen als Held gefeiert wird.

Der Sohn sephardischer Einwanderer aus Libyen wuchs in Givat Olga an der Mittelmeerküste nördlich von Tel Aviv auf. Bereits mit 14 Jahren arbeitete er als Fischer, um seinen Vater bei der Ernährung der neunköpfigen Familie zu unterstützen. Nach seinem Armeedienst engagierte sich Kachlon in der Lokalpolitik und begann seinen steilen Aufstieg im Likud. 2003 wurde er das erste Mal in die Knesset gewählt und stand 2006 bereits auf Platz drei der Likud-Wahlliste.

Zu erfolgreich für Netanjahu

Nach seiner überaus erfolgreichen Zeit als Minister unter Netanjahu gab er unmittelbar vor den Parlamentswahlen 2013 überraschend seinen Rückzug bekannt: Er brauche „eine Pause“ und werde nicht mehr für den Likud kandidieren. Der tatsächliche Grund für Kachlons Rückzug war jedoch der Bruch mit Netanjahu. Der junge Wunderminister war seinem Chef zu erfolgreich geworden. Als sich Netanjahu weigerte, das Finanzministerium für Kachlon zu reservieren, nahm dieser seinen Hut. Dass er in die Politik zurückkehren würde, bezweifelte indes niemand. Die Frage war nur, wann und wie. Nach seiner Auszeit, die er für ein Wirtschaftsstudium in Harvard nutzte, verkündete Kachlon im April 2014 seine Rückkehr in die israelische Politik.

Seine Partei Kulanu, die Kachlon erst im Dezember 2014 offiziell registrieren ließ, ist stark auf ihren Vorsitzenden zugeschnitten. Neben Kachlon an der Spitze findet sich kein politisches Schwergewicht auf der Kulanu-Wahlliste. Auf Platz zwei steht der ehemalige Armeegeneral Yoav Galant, gefolgt von Eli Alallouf, dem ehemaligen Vorsitzenden des israelischen Anti-Armuts-Kommittees und Michael Oren, einem vormaligen israelischen Botschafter in den USA. Platz fünf belegt Rachel Azaria, eine stellvertretende Bürgermeisterin von Jerusalem, die vor allem für ihr feministisches Engagement bekannt ist. Kachlon wollte auch den bekannten israelische Ökonom Manuel Trajtenberg ins Boot holen, der nach den Zeltprotesten von 2011 als Vorsitzender einer Kommission Lösungen für die sozialen Probleme erarbeiten sollte. Doch Trajtenberg entschied sich für eine Kandidatur auf der Liste der „Zionistischen Union“.

Im Wahlkampf setzt Kachlon nicht auf das Thema Sicherheit, Außenpolitik oder die „existentielle Bedrohung“ durch den Iran. Der Kulanu-Chef verlässt nur selten sein angestammtes innenpolitisches Territorium. Mittlerweile ist er zu einem der schärfsten Kritiker der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Netanjahu-Regierung geworden. Er verurteilt die hohen Lebenshaltungskosten, die fehlende Transparenz im öffentlichen Sektor und vor allem die katastrophale Situation auf dem Wohnungsmarkt. In den vergangenen fünf Jahren sind die Immobilienpreise um 55 Prozent, die Mietpreise um 30 Prozent gestiegen. In urbanen Zentren wie Tel Aviv oder Haifa liegen die Zahlen weit höher. Ein Bericht des staatlichen Rechnungsprüfers vom Februar kam zu dem Schluss, die Netanjahu-Regierung habe ein Jahr untätig zugesehen, bevor sie Maßnahmen zur Bekämpfung der Wohnungskrise ergriffen habe.

Kachlon hat die Probleme im Wohnungssektor daher ins Zentrum seines Wahlkampfs gerückt: „Bei den nächsten Wahlen stehen sich nicht die Rechten und die Linken gegenüber, sondern diejenigen, die die Wohnungskrise lösen können, und die, die es nicht können,“ sagte er der Zeitung Times of Israel. Und der Kulanu-Chef ist glaubwürdig: Laut einer Umfrage des Senders Channel 2 halten die Israelis Kachlon für den geeignetsten Kandidaten, um die Wohnungskrise zu bekämpfen. Auch auf die Frage, wen sie für den besten zukünftigen Finanzminister halten, antworteten die meisten Israelis: Kachlon.

Primat der Innenpolitik?

Wenn er sich doch einmal zu sicherheitspolitischen Themen äußert, wird jedoch schnell klar, dass Kachlon hier eher nach rechts als nach links tendiert. So sagte er auf einer Likud-Veranstaltung 2011: „Am selben Tag, an dem die Palästinenser unilateral einen Staat ausrufen, sollten wir die gesamte Westbank annektieren“. In einem Interview mit dem Knesset-Sender gab Kachlon außerdem zu Protokoll, er sehe keinen Zusammenhang zwischen der Siedlungspolitik und der sozio-ökonomischen Situation in Israel. Damit widersprach er einem gängigen Argument der israelischen Linken gegen die wachsenden staatlichen Ausgaben für den Siedlungsbau.

Auch die Nummer der Zwei der Kulanu, Yoav Galant, lässt keinen Zweifel an der sicherheitspolitischen Ausrichtung der Partei. Für einen Friedensvertrag mit den Palästinensern solle Israel den Rückzug aus Siedlungen außerhalb der großen Blöcke akzeptieren – gleichzeitig aber den Ausbau der größeren Siedlungsblöcke vorantreiben. Ein Rückkehrrecht für die Palästinenser oder eine Aufgabe Ost-Jerusalems komme für ihn nicht in Frage.

Die große Frage daher ist: Wird es Kachlon gelingen, die wirtschaftlichen Probleme und sozialen Fragen ins Zentrum des Wahlkampfs zu rücken und damit einen Gegenpol zu Netanjahus Sicherheitsrhetorik aufzubauen? Seine Chancen stehen nicht schlecht. Jüngste Umfragen sagen der Kulanu Partei acht Knesset-Sitze voraus. Das ist weniger als der „Vereinigten Liste“ der arabisch geprägten Parteien oder Naftali Bennetts Habayit Hayehudi vorausgesagt werden.

Rache, zweiter Streich?

Und trotzdem könnte der Kulanu-Partei nach den Wahlen die zentrale Rolle des Königsmachers zukommen. Denn die mitte-links Parteien werden ohne ihn keine Regierung bilden können. Und auch das rechte Lager wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht ohne ihn auskommen. Darum verwundert es nicht, dass sowohl Netanjahu als auch das Tandem Herzog/Livni Kachlon umschwärmen und ihn zu einer Koalitionsaussage drängen. Bisher hat er alle Deals vor den Wahlen abgelehnt. Doch für viele Beobachter ist sicher, dass der nächste Finanzminister Israels Mosche Kachlon heißen wird. Denn das ist der Mindestpreis, den er für einen Koalitionsbeitritt verlangen wird.

Wird der neue „Messias Israels“, wie ihn die Zeitung Haaretz bezeichnete, als Teil einer zukünftigen Regierung in der Lage sein, seinen Erfolg als Kommunikationsminister zu wiederholen? Oder wird er sich als Wiedergänger Yair Lapids entpuppen? Dessen Yesh Atid-Partei trat bei der letzten Wahl 2013 mit ähnlichen Themen an und wurde mit 19 Sitzen zweitstärkste Kraft in der Knesset. Als Finanzminister hat Lapid jedoch viele Hoffnungen enttäuscht.

Im Gegensatz zu Lapid 2013 ist Kachlon allerdings kein politischer Frischling. Das zeigt sich auch daran, dass er immer wieder seine Nähe zum „wahren Likud“ betont. Kachlon weiß, dass viele seiner potentiellen Wähler von der Netanjahu-Partei kommen könnten. Deswegen trennt er klar zwischen dem Parteichef und der Partei. Als Netanjahu ihm Anfang des Jahres den Finanzministerposten anbot, als Gegenleistung für eine gemeinsame Wahlliste aus Likud und Kulanu, lehnte Kachlon geradeheraus ab. Das war seine erste Rache. Ob eine zweite hinzukommt, werden wir nach dem 17. März wissen.

 

Jakob Farah ist Journalist und Redakteur der deutschen Ausgabe der Le Monde diplomatique

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