23.02.2015
Interview mit Sadegh Sibakalam: Irans patriotischer Querulant
Sadegh Sibakalam ist einer der prominentesten Kritiker des Atomprogramms im Iran. Foto: privat.
Sadegh Sibakalam ist einer der prominentesten Kritiker des Atomprogramms im Iran. Foto: privat.

Sadegh Sibakalam, 66, ist Dozent für Politikwissenschaft an der Uni Teheran – und ist einer der wenigen prominenten Kritiker des iranischen Atomprogramms im Land. Seine Kritik hat ihm die Wut der Hardliner eingebracht, erst kürzlich ist er wieder angeklagt worden. Ein Interview von Mareike Enghusen

Alsharq: Herr Sibakalam, vor kurzem haben Sie sich während einer Konferenz an der Universität Teheran kritisch über Irans Atomprogramm geäußert; viele iranische Medien berichteten anschließend darüber. Was war so außergewöhnlich an Ihrer Kritik?

Sadegh Sibakalam: Diese Debatte war die erste Veranstaltung ihrer Art – zum ersten Mal in den zehn Jahren, die die Atomkrise andauert, wurde Kritik öffentlich geäußert. Bis dahin war jede Konferenz zum Atomprogramm entweder von der Regierung organisiert oder von Personen, die das Programm in jeder Hinsicht unterstützen. Ich und die beiden anderen Sprecher, die anwesend waren, haben eine einfache Frage gestellt: Welchen Nutzen hat das Atomprogramm dem Iran gebracht?

Die Regierung hat das Atomprogamm zu einem nationalistischen Symbol gemacht. Sie schärft den Iranern ein, der Westen lehne das Atomprogramm bloß deshalb ab, weil er den Iran am technischen Fortschritt hindern will. Auf der Konferenz habe ich diese Deutung in Frage gestellt und argumentiert: Der Westen hat nur mit jenen Komponenten des Programms ein Problem, die zu militärischen Zwecken genutzt werden können – auch deshalb, weil der Iran gedroht hat, den Staat Israel zu zerstören.

Welche Reaktionen haben Sie bekommen?

Hardliner haben mich als Verräter beschimpft, als Lakaien der USA, als Agenten britischer Kolonialisten – alle erdenklichen Beleidigungen. Manche haben sogar den Staatsanwalt gedrängt, gegen mich vorzugehen. Aber ich bin kein Verräter, ich liebe die Islamische Republik Iran! Genau deshalb kritisiere ich ja das Atomprogramm: Ich sehe, dass wir einen sehr hohen Preis dafür zahlen – und nicht allein wegen der Sanktionen: Hätten wir all das Geld, das ins Atomprogramm geflossen ist, stattdessen in Infrastruktur gesteckt, würde es dem Land heute nicht besser gehen? Ich habe diese Frage vor einigen Monaten auch Abbas Araghchi gestellt [dem Vize-Außenminister und Kopf des iranischen Verhandlungsteams, Anm. d. Red.]. Er ist mir eine Antwort schuldig geblieben.

Ganz ungefährlich scheinen solche öffentlich geäußerten Einwände nicht zu sein: Sie wurden dafür schon einmal vors Gericht zitiert.

Letztes Jahr nach dem Abkommen von Genf schrieb ich einen offenen Brief an den Chefredakteur einer bekannten Hardliner-Zeitung, in dem ich den Nutzen des Atomprogramms in Frage stellte. Dafür wurde ich zu zwölf Monaten Gefängnis verurteilt; angeblich hätte ich den Iran in einem kritischen Moment, nämlich während der Verhandlungen, auf der internationalen Bühne geschwächt. Aber in der Revision wurde das Urteil in eine Geldstrafe umgewandelt.

Fühlen Sie sich sicher?

Oh ja, ich gehe Tag und Nacht allein durch die Straßen, ich fürchte mich nicht. Ich erhalte Drohungen, aber ich nehme sie nicht sehr ernst. In gewissem Sinne nütze ich den Hardlinern ja sogar: Sie laden mich zu Konferenzen ein, und dann liefern sie sich hitzige Debatten mit mir.

Manche westlichen Beobachter zweifeln an den guten Absichten der iranischen Unterhändler; sie fürchten, sie würden nur auf Zeit spielen, damit Irans Atomwissenschaftler heimlich das Programm vorantreiben können. Was glauben Sie?

Die iranischen Unterhändler wollen die Verhandlungen nicht missbrauchen, um Zeit zu schinden. Es kann sein, dass so etwas früher vorgekommen ist, unter Präsident Ahmadinedschad. Aber Rohanis Unterhändler meinen es ernst – der Präsident selbst meint es ernst. Er will die Atomkrise lösen. Er sieht, was für einen hohen Preis der Iran zahlen muss.

Die wahre Macht im Iran hält jedoch nicht der Präsident, sondern das religiös-politische Staatsoberhaupt Ali Chamenei. Haben die iranischen Unterhändler seine Unterstützung?

Auch Chamenei hat verstanden, wie sehr das Land wirtschaftlich unter den Sanktionen leidet, deshalb glaube ich, das Verhandlungsteam hat seinen Segen. Aber natürlich kann der Iran das Atomprogramm nicht komplett aufgeben, wir brauchen einen Kompromiss. Es besteht die Gefahr, dass der Westen zuviel verlangt und damit einen Rückschlag provoziert. Dann werden Chamenei und andere sagen: „Wir haben unser Bestes getan und versucht, zu verhandeln, aber der Westen wollte uns zwingen, in jedem einzelnen Punkt zu kapitulieren.“ Ich hoffe nicht, dass es dazu kommt.

Sie sagten einmal, der Iran pflege in seinem Umgang mit der Außenwelt eine sonderbare „Superman-Attitüde“. Welche Rolle spielt Ideologie Ihrer Meinung nach in der iranischen Außenpolitik?

Unter Mahmud Ahmadinedschad war Ideologie definitiv der wichtigste Antrieb der Außenpolitik. Aber die Situation hat sich geändert. Präsident Rohani sagte kürzlich im Fernsehen, der Iran dürfe andere Staaten nicht als Feinde betrachten, sondern müsse Freundschaft mit ihnen schließen – damit hat er sich indirekt von Ahmadinedschads Politik distanziert.

Anfang des vergangenen Jahres sorgten Sie im Iran schon einmal für Schlagzeilen: Damals verkündeten Sie, den Staat Israel anzuerkennen. Wie kam es dazu?

Das war während einer Debatte mit Hardlinern an einer Universität: Ein Student stand auf und fragte mich, ob ich den Staat Israel anerkenne, und ich antwortete: „Ja, ich erkenne den Staat Israel innerhalb der Grenzen von 1948 an, als wie er von der UN-Generalversammlung ins Leben gerufen wurde.“ Ich habe dafür viel Drohungen und Anschuldigungen einstecken müssen.

Wie erklären Sie sich, dass Israel im politischen Diskus in Iran überhaupt so eine zentrale Rolle spielt, obwohl die beiden Staaten keinen direkten Konflikt miteinander austragen?

Während derselben Debatte fragte ich: „Wer hat der Islamischen Republik Iran eigentlich die Pflicht auferlegt, den israelischen Staat zu zerstören? Die Araber? Die Palästinenser? Die Vereinten Nationen?“ Die Hardliner antworteten: „Gott hat uns diese Pflicht auferlegt.“ Daraufhin fragte ich: „Will die iranische Bevölkerung überhaupt, dass Israel zerstört wird?“ Und sie antworteten, oh ja, gewiss, nicht nur die Mehrheit der Iraner, sondern auch die Mehrheit aller friedliebenden Menschen auf der Welt wünsche sich das. Ich sagte: „Warum führen Sie keine Umfrage durch, um zu prüfen, wie viele Iraner das tatsächlich wollen?“ Ich bin sicher, es sind in Wahrheit sehr wenige.

Sie haben sogar ein Buch über Israel geschrieben. Worum geht es darin?

Das Buch heißt „Die Geburt Israels“. Die Idee dazu kam mir folgenermaßen: An der politikwissenschaftlichen Fakultät meiner Universität sollte ich einen Kurs namens „Der arabisch-israelische Konflikt“ unterrichten, und natürlich sind wir Dozenten angehalten, den Studenten zu erklären, dass Israel durch eine britisch-zionistische Verschwörung ins Leben gerufen wurde. Aber ich habe den offiziellen Stundenplan nicht angerührt und stattdessen gelehrt, wie das Judentum entstand, wie die Juden nach Europa kamen, was sie dort im Mittelalter erleiden mussten, was während des Holocausts geschah und wie Israel 1948 gegründet wurde. Nicht nur Studenten aus meiner eigenen Fakultät besuchten die Vorlesung, sondern auch Studenten fremder Fächer, Medizin und Ingenieurwissenschaften etwa. Da dachte ich mir: Wenn das Interesse so groß ist, dann sollte ich ein Buch über dieses Thema schreiben.

Wie sah die öffentliche Reaktion aus?

Das Buch ist bis heute nicht veröffentlicht. Vor drei Jahren habe ich es beendet und, wie vorgeschrieben, an das Ministerium für Islamische Führung geschickt – aber das Ministerium verweigert bis heute die Druckerlaubnis. Ich verstehe das sogar: Mein Buch stellt schließlich all das in Frage, was die Islamische Republik über Israel und seine Entstehungsgeschichte verbreitet! Ich habe schon zwei Briefe an das Ministerium geschrieben, aber keine Antwort bekommen. Dabei hatte ich gehofft, dass ich unter der neuen Regierung eine bessere Chance hätte. Demnächst werde ich einen dritten schreiben und erklären: Wenn ich das Buch nicht bald im Iran veröffentlichen darf, dann lasse ich es eben im Ausland drucken.

Vor seiner Wahl hatte Hassan Rohani Reformen und größere soziale Freiheiten versprochen. Hat er sein Versprechen gehalten?

Die politische Atmosphäre hat sich verbessert im Vergleich zu den Bedingungen, die unter Herrn Ahmadinedschad herrschten, ja. Es gibt mehr Raum für abweichende Meinungen, mehr politische Freiheit an den Universitäten. Aber natürlich ist nicht alles rosig. Wahre Meinungsfreiheit gibt es nicht. Sie im Westen, Sie sollten Ihre Meinungsfreiheit wertschätzen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Artikel von Mareike Enghusen