1995 ermordet ein Attentäter Israels Premier Jitzhak Rabin aus Hass gegen dessen Friedenskurs. 19 Jahre später setzt sich sein Sohn Juval Rabin, 59, für die „Israeli Peace Initiative“ ein und wirbt weiter für die Zwei-Staaten-Lösung. Ein Interview von Mareike Enghusen
Alsharq: Warum braucht Israel die Israeli Peace Initiative?
Juval Rabin: Unsere Initiative soll ein Gegenvorschlag zur Arabischen Friedensinitiative von 2002 sein. Entscheidend ist das Wort „Initiative“: Seit der Ermordung meines Vaters vor 19 Jahren ist Israel in der diplomatischen Arena ständig in einer defensiven Position, anstatt zu agieren. Das wollen wir ändern. Und auch wenn die arabische Initiative aus unserer Sicht nicht ideal ist, enthält sie relevante Punkte: das Ende jedes Konflikts, Normalisierung der Beziehungen mit der gesamten islamischen Welt. Und wir haben ja potentielle Partner in der Region! Ägypten geht gegen die Hamas vor; die Emirate, Saudi Arabien, Jordanien, all diese Länder sind mit den selben Bedrohungen konfrontiert wie wir, etwa dem „Islamischen Staat“. Ich bin überzeugt: Ohne den Prozess zu regionalisieren, kommen wir nicht weiter. Die bilateralen Verhandlungen zwischen uns und den Palästinensern sind zum Scheitern verurteilt.
Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Vor allem am totalen Misstrauen zwischen beiden Seiten. Die Israelis vertrauen nicht mehr darauf, dass die andere Seite bereit ist, ihre Versprechen einzuhalten, und ich vermute, den Palästinensern geht es genauso. Der zweite Punkt: Beide Seiten müssen wesentliche Zugeständnisse machen, was beispielsweise Jerusalem angeht und die Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge. Ich glaube, kein palästinensischer Anführer hat die Autorität, solche Zugeständnisse zu beschließen, ohne die Unterstützung der wichtigsten islamischen Staaten, etwa Saudi Arabiens.
Warum hat Israel bisher nicht auf die arabische Initiative geantwortet?
Ich möchte mich nicht in Spekulationen verlieren. Für uns ist jetzt entscheidend, die Israelis mit der Israeli Peace Initiative vertraut zu machen. Traurigerweise wissen nur wenige, dass seit zwölf Jahren eine arabische Friedensinitiative auf dem Tisch liegt. Wir rufen die israelische Bevölkerung auf, eine solche regionale Initiative einzufordern. Denn Israel kann diesen Kreislauf der sogenannten Operationen nicht ewig durchhalten. Und selbst wenn wir all die technischen Tricks entwickeln, um jede Rakete, jeden Angriff abzufangen, leben wir doch in einer sehr kleinen Region. Umwelt, Krankheiten, Grundwasserreserven – diese Dinge betreffen alle Länder der Region gemeinsam. Nur ein regionales Abkommen kann unsere Lebensfähigkeit hier auf Dauer garantieren.
Aber auch für ein solches Abkommen müsste sich Israel mit den Palästinensern einigen – vorher würden doch die arabischen Staaten keinen Frieden schließen.
Natürlich, ohne eine Einigung mit den Palästinensern gibt es keinen Fortschritt. Nur wenige Israelis wissen heute noch, dass wir keinen Friedensvertrag mit Ägypten hätten, hätten wir nicht das palästinensische Kapitel in das Camp-David-Abkommen aufgenommen. Der damalige Premierminister Menachem Begin vollzog eine entscheidende Wende, indem er anerkannte, dass es ein palästinensisches Volk gibt.
Für eine große diplomatische Initiative bräuchte jede israelische Regierung wesentliche Unterstützung aus der Bevölkerung. Umfragen zeigen aber, dass die israelische Gesellschaft sich seit der Regierungszeit Ihres Vaters nach rechts gewandt hat. Viele lehnen heute das Oslo-Abkommen ab, das Ihr Vater unterzeichnete.
Es stimmt, die meisten sind heute gegen das Oslo-Abkommen. Aber ich glaube, der wichtigste Grund dafür ist Ignoranz. Manchmal frage ich Oslo-Gegner: Können Sie mir nur zwei Dinge nennen, die in dem Abkommen stehen? Die meisten haben keine Ahnung.
Umso schwerer müsste es doch für heutige Regierungen sein, die nötige Unterstützung für schmerzhafte Kompromisse zu erreichen. Beunruhigt Sie das nicht?
Überhaupt nicht. Wir haben eine Umfrage gemacht und festgestellt, dass ein regionaler Friedensplan für 65-70 Prozent aller Israelis akzeptabel wäre. Würden Sie mich jetzt fragen, ob ich bereit bin, die Golan-Höhlen abzugeben, würde ich wahrscheinlich sagen: nicht wirklich. Aber würde ein Premierminister einen Plan vorlegen, der jeden Konflikt mit der arabischen Welt beendet, der Sicherheitsabkommen enthält und die Normalisierung der Beziehungen, und im Gegenzug müsste Israel die Golanhöhlen aufgeben – dann fiele die Antwort ganz anders aus. Hätte jemand eine Umfrage gemacht, bevor Sadat (der damalige ägyptische Präsident, Anm. d. Red.) nach Israel kam, und gefragt: Sind Sie bereit, den gesamten Sinai an Ägypten zurückzugeben? – dann hätten vermutlich 80 Prozent „Nein“ gesagt. Doch als ein Anführer wie Begin sagte: „Wir tauschen Land gegen Frieden“, unterstützte ihn eine große Mehrheit.
Was würde Ihr Vater wohl in der heutigen Lage tun?
Ich spekuliere nicht gern. Aber soviel kann ich sagen: Mein Vater hat sehr, sehr anders agiert als heutige Politiker. Innerhalb von drei Jahren hat er zwölf Mal Ägypten besucht, er hat sich eng mit dem ägyptischen Präsidenten abgesprochen, es gab Vertrauen. Sogar mit Arafat hatte er eine gewisse Vertrauensbasis aufgebaut. Heute dagegen herrscht totales Misstrauen. Den israelischen Premierminister und den palästinensischen Präsidenten trennen nur 15 Kilometer – und trotzdem sprechen sie nicht miteinander.
Was ist das Wichtigste, das Sie von Ihrem Vater gelernt haben?
Mit sich selbst in Frieden zu leben. Sicher zu sein, alle Aspekte überprüft und die richtige Entscheidung getroffen zu haben, was immer es ist.
Vielen Dank für das Gespräch.
Mareike Enghusen ist freie Journalistin und lebt in Jerusalem. Weitere Artikel von ihr finden sich auf www.mareike-enghusen.de.