24.11.2014
Omans ungewisse Zukunft – dem Sultanat droht eine Nachfolgekrise
Sultan Qaboos (links) 2010 bei einem Staatsbesuch in Bahrain. Bild: Bahrain MoFA / Flickr (CC BY 2.0)
Sultan Qaboos (links) 2010 bei einem Staatsbesuch in Bahrain. Bild: Bahrain MoFA / Flickr (CC BY 2.0)

Sultan Qaboos bin Said, der absolute Herrscher des Omans, könnte schon bald an einem Krebsleiden versterben. Seine ungeregelte Nachfolge birgt die Gefahr eines Machtvakuums im Land, das Auswirkungen auf die Stabilität des Sultanats, das Machtgefüge auf der Arabischen Halbinsel und die aktuellen Atomverhandlungen zwischen Iran und den USA haben könnte. Von Maria Debre

Als sich Sultan Qaboos bin Said Anfang November das erste Mal seit Monaten in einer Fernsehansprache seinem Volk zeigte, hielt das ganze Land den Atem an. Der 73-jährige befindet sich seit Juli aus medizinischen Gründen in Deutschland, verpasste bereits das Eid-Fest im Oktober und kündigte nun an, auch für den Nationalfeiertag am 18. November nicht zurückkehren zu können: „Es erfüllt uns mit Freude, euch zu diesem freudigen Anlass Glückwünsche zu senden – zu welchem wir nicht im geliebten Land sein können, (…) aus Gründen, die ihr alle kennt!“

Auch wenn offizielle Kanäle in den vergangenen Monaten wiederholt betonten, dass Qaboos bei bester Gesundheit sei, verbreiteten sich rasch Gerüchte, er leide an unheilbarem Darmkrebs oder sei bereits verstorben. Seine Ansprache wird kaum dazu beigetragen haben, die Furcht der Omanis vor einem baldigen Tod ihres Herrschers zu mindern: Der Sultan wirkt schmal und zerbrechlich, sein Gesicht ist eingefallen, er spricht langsam und beschwerlich. Auf Social Media-Kanälen wünschen die Omanis ihrem „Vater“ eine baldige Genesung und ein langes erfülltes Leben. Am Abend berichteten nationale Medien sogar über spontane Straßenfeiern und Autokorsos zu Ehren des Sultans. Dennoch scheint sich langsam das Bewusstsein durchzusetzen, dass Qaboos Auftritt eher eine Abschiedsrede als ein Grund zum Feiern ist.

Ungeregelte Nachfolge

Der Tod des Sultans birgt die Gefahr einer Nachfolgekrise für den Golfstaat. Anders als die Emire und Könige der Nachbarstaaten herrscht Qaboos alleine. Während deren Legitimität vor allem auf dynastischer Herrschaft beruht und damit effektiv eine Familie das ganze Land regiert, ist der Oman nur aufgrund der charismatischen Herrschaft und großen Popularität des Sultans so stabil. Ein adäquater Nachfolger ist jedoch nicht in Sicht. Der ewige Junggeselle Qaboos hinterlässt keine Kinder, er hat keine Brüder und es gibt keinen offiziell benannten Kronprinzen.

Qaboos ist der Oman – politisch und gesellschaftlich. Der Sultan hält alle Schlüsselpositionen im Land, er ist Premierminister, Außenminister, Verteidigungsminister, Finanzminister und oberster Befehlshaber der Streitkräfte. Er ist omnipräsent in allen nationalen Medien, nach ihm sind die große Moschee, die Universität, der Hafen und das Sportstadion benannt, sein Gesicht ziert jedes öffentliche Gebäude in Übergröße. Jedes Jahr zieht der Herrscher mit einer großen Karawane für mehrere Wochen durch das Land, um allen Bürgern die Möglichkeit zu geben, ihren Sultan zu treffen und ihm ihre Sorgen und Wünsche anzuvertrauen – eine perfekt organisierte PR-Tour, um sich als Vater und Patron der omanischen Nation zu stilisieren.

Qaboos kam vor fast 44 Jahren durch eine Palastrevolte gegen seinen Vater an die Macht. Mit Hilfe der Briten gewann er den darauf folgenden Bürgerkrieg gegen die abtrünnige Region Dhofar und transformierte das Sultanat in eine moderne, Öl-exportierende und vereinte Nation, selbst wenn das Land bis heute im Vergleich zu den reichen Nachbaremiraten noch eher verschlafen wirkt. Doch die Omanis schätzen Qaboos gerade für diesen bedächtigen Entwicklungspfad. Auch durch die Unruhen des Arabischen Frühlings steuerte der Sultan souverän und konnte die wenigen protestierenden Omanis mit mehreren Kabinettsumbildungen, kleineren Gesetzesänderungen, Investitionsprogrammen, Geldgeschenken und einer Zehn Milliarden Dollar-Finanzspritze aus dem  saudischen „Marshall-Plan“ beruhigen.

Trotz der Weitsicht, mit der es Qaboos zum am längsten regierenden Herrscher des Nahen Ostens gebracht hat, baute er keinen politisch erfahrenen Nachfolger auf, sondern behielt die Zügel selbst während seiner Krankheit fest in der Hand. Stattdessen überlässt er seine Nachfolge einer von ihm kreierten Legende:  Vor vielen Jahren habe er die Namen zweier geeigneter Nachfolger in versiegelten Umschlägen in zwei unterschiedlichen Regionen Omans versteckt; einer der beiden solle nach seinem Tod zum neuen Sultan ernannt werden.

Der Arabische Frühling zwang Qaboos zumindest, genauere Regeln für die Ernennung des Nachfolgers zu spezifizieren. Gemäß dem königlichen Dekret muss sich ein amtierender Familienrat innerhalb von drei Tagen auf einen Nachfolger aus den Reihen der Al Said-Familie einigen, ansonsten werde einer der beiden von Qaboos benannten Kandidaten von Vertretern der höchsten politischen Gremien und der beiden Parlamentskammern bestimmt. Die drei wahrscheinlichsten Kandidaten sind Qaboos Cousins Assad, Haitham und Chihab, wirtschaftlich sehr erfolgreich, jedoch ohne langjährige politische Erfahrung oder Popularität bei der Bevölkerung.

Eine ungewisse Zukunft

Die größte Angst der Omanis scheint die Ernennung eines unfähigen oder korrupten Nachfolgers zu sein, der den nationalen Herausforderungen nicht gewachsen ist und das Land in Zeiten regionaler Unruhen und Spannung unbestimmt und richtungslos regiert. Ebenso sehr ist die Furcht verbreitet, ein junger Sultan könnte den Oman vom bisherigen moderaten Entwicklungskurs abbringen und das Land nach dem Modell der Nachbaremirate zu einem touristischen und wirtschaftlichen Hotspot ausbauen.

Die Herausforderungen für einen neuen Sultan sind in jedem Fall gewaltig. Die Ölressourcen des Sultanats sind wesentlich geringer als die seiner Nachbarn und werden bald versiegen, machen jedoch immer noch geschätzte 75 Prozent des Staatshaushaltes aus. Die Diversifizierung von Staatseinnahmen und die Etablierung einer produktiven Wirtschaft genauso wie die Sicherung von Energieressourcen aus dem Ausland sollten deshalb oberste Priorität auf der To-do-Liste des neuen Herrschers haben. Ebenso muss die Omanisierung der Arbeiterschaft – die Ersetzung von Gastarbeitern mit omanischen Staatsbürgern – und die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit vorangetrieben werden. Beide Punkte waren Hauptauslöser für die Proteste des Arabischen Frühlings 2011, da sie sich zu einem Teufelskreis vereinen: Junge, gut ausgebildete Omanis bevorzugen die bequeme Beamtenkarriere, während sie die unbeliebten Tätigkeiten in der Privatwirtschaft von Gastarbeitern verrichtet lassen. Der omanische Staatsapparat kann jedoch die steigende Anzahl qualifizierter Absolventen nicht länger absorbieren, was hohe Arbeitslosenquoten und wachsenden Unmut der jungen Generation zur Folge hat.

Omans Verhältnis zu Saudi-Arabien ist angespannt

Eine viel größere Gefahr stellt jedoch das unmittelbare Machtvakuum nach Qaboos Tod dar. Blutige Palastrevolten haben fast Tradition im Sultanat und könnten sich auch in einem inzwischen modernisierten Oman wiederholen. Immerhin ist die absolute Macht der Herrscherposition eine große Verlockung für jeden der möglichen Nachfolger aus den Reihen der zwischen 50 und 60 männlichen Mitglieder zählenden Al Said-Familie. Doch selbst wenn es innerhalb der Familie zu einem reibungslosen Übergang kommen sollte, so wird die Unerfahrenheit des neuen Herrschers sowohl mächtige Stammesführer als auch militärische Generäle und Beamte auf den Plan rufen, ihren Einfluss im Königshaus zu erweitern und die Legitimität des neuen Sultans in Frage zu stellen. Auch alte Stammesdifferenzen und ethnisch-konfessionelle Spaltungen könnten aufbrechen und sogar gewalttätige Auseinandersetzungen mit dem südlichen Dhofar  bedingen. Dessen Bevölkerung sieht sich bis heute nicht als dem Oman zugehörig und zeigt sich lediglich gegenüber Qaboos loyal.

Auch der Einfluss religiöser Gruppen könnte sich verstärken. Die Mehrheit der Omanis sind Ibaditen, eine dritte Strömung des Islams neben der sunnitischen und schiitischen Glaubenslehre. Einige der Stammesführer könnten die Wiedereinführung des 1957 von Qaboos Vater besiegten ibadischen Imamats anstreben, um eine authentisch omanische Herrschaftsform mit einem gewählten Imam zu etablieren. Dies würde vor allem die außenpolitischen Beziehungen zu Saudi-Arabien weiter beschweren, dessen wahabitisches Establishment die Ibaditen als Ungläubige ansieht.

Das Verhältnis zum regionalen Hegemon Saudi-Arabien ist ohnehin angespannt. Auch wenn Oman ein Mitglied des 1981 gegründeten Golfkooperationsrates ist, der vor allem ein sunnitisch-monarchisches Gegengewicht zum schiitischen Iran bilden sollte, so suchte Qaboos dennoch wiederholt die Nähe zum „Erzfeind“. Noch im März dieses Jahres unterzeichneten die beiden Länder ein langfristiges Abkommen zum Export von iranischem Erdgas und dem Bau einer Pipeline durch die Straße von Hormoz. Für diese engen Beziehungen zu Iran ist Qaboos wiederholt im Golfkooperationsrat kritisiert worden, die saudische Angst vor einer Untergrabung der sunnitisch-monarchischen Einheit sitzt tief. Qaboos hat bisher im Rat alle saudischen Initiativen für eine Vertiefung der Union verhindert, wohl vor allem aus Angst vor einer noch größeren saudischen Dominanz der Region. Ein neuer Sultan könnte dem Druck der Saudis nachgeben und vermehrte Einmischungen in die nationale Politik zulassen. Saudi-Arabien ist vor allem besorgt, dass sich ein instabiler Oman zu einem zweiten Jemen entwickeln und zu einem Rückzugsgebiet für islamistische Terroristen werden könnte.

 Screenshot des OmanTV Youtube-Kanals) Sultan Qaboos während seiner Rede zum Nationalfeiertag (Quelle: Screenshot des OmanTV Youtube-Kanals)

Qaboos' Politik war von Erfahrung geprägt

Eine Abkehr vom grundsätzlichen außenpolitischen Kurs dürfte jedoch eher unwahrscheinlich sein. Qaboos unterhält nicht nur gute Beziehungen zu Iran, sondern auch zu den USA und Großbritannien. Zudem hat er in den vergangenen Jahren die Wirtschaftsbeziehungen mit asiatischen Großmächten wie China, Indien und Pakistan ausgebaut und sich als neutraler Mediator zwischen den Lagern etabliert. Den Amerikanern verhalf er durch seine guten diplomatischen Kanäle zu Teheran zu einem Erfolg in den Atomverhandlungen, auch dieser Tage trifft sich US-Außenminister Kerry für weitere Verhandlungsrunden in Omans Hauptstadt Maskat. Zusammen mit den Saudis bekämpfte das omanische Militär extremistische Gruppen im Jemen und konnte so seine Beziehungen zu Riad verbessern.

Für Teheran ist Qaboos der verlässliche Partner in einem vom regionalen Kontrahenten dominierten Gremium. Und während die kleinen Golfemirate sunnitische Militante unterstützen, die in Syrien und Irak gegen schiitische Regierungen kämpfen, bleibt Qaboos auch hier neutral, um die eigene pluralistische Gesellschaft vor ähnlichen ethnisch-konfessionellen Gewaltausbrüchen zu bewahren. Diese Politik des außenpolitischen Balancierens bedarf jedoch viel Geschick und Weitsicht – Fähigkeiten, die ein politisch unerfahrener Sultan erst erlernen muss.

Doch ein neuer Herrscher dürfte auch Chancen für das Land bringen. Ein jüngerer Sultan könnte offener für Reformen sein und versuchen, die Loyalität der Omanis durch Erweiterung der Partizipationsrechte und der Presse- und Meinungsfreiheit zu gewinnen oder Macht an die gewählte Majlis al-Shura (Konsultativrat) oder an einen Premierminister abgeben. Die Zukunft des Sultanats scheint ungewiss – gewiss ist jedoch, dass der kleine Golfstaat bald vor großen Veränderungen stehen könnte; und dies schneller, als es den meisten Omanis lieb ist.

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