24.09.2014
Ma'an: Wider das Regime
Scheich Abu Yasser (im Bild links) mit Beratern im Empfangszimmer seines Hauses in Ma'an. Foto: Lea Frehse (C)
Scheich Abu Yasser (im Bild links) mit Beratern im Empfangszimmer seines Hauses in Ma'an. Foto: Lea Frehse (C)

Ma'an, ein jordanisches Wüstennest kurz vor der saudischen Grenze. Die Stadt ist im Land verschrien als Hochburg von Schmugglern, Islamisten und Stammesführern. Dabei ist Ma'an vielleicht bloß etwas eigen - und ein wahrer Hort des Ungehorsams. Ein Ortsbesuch.

„Das ist unsere Stadt. Was haben sich der König und der Geheimdienst hier einzumischen?“, fragt der ehemalige Bürgermeister von Ma’an, Khaled Shammari. Regime-kritische Sätze, wie man sie in Jordanien selten hört: Allerorten wird der König als Vater der Nation gepriesen – teils aus Überzeugung, teils aus Angst vor Repression. Dieses Bild zeichnen in Ma'an wenige: Die Stadt gilt als Hort des Widerstands.

Auf den ersten Blick unterscheidet sich Ma’an kaum von anderen Städten in der jordanischen Peripherie: Veraltete Infrastruktur und junge Männer prägen das Straßenbild. Die Kleinstadt mit ihren 50 000 Einwohnern gilt als religiös-konservativ. Aufkleber an öffentlichen Orten fordern Frauen auf, sich keusch zu kleiden. Ma’an ist der letzte Ort vor der Grenze nach Saudi-Arabien.

Die Stadt kämpft zunehmend mit Massenarbeitslosigkeit. Die von der Regierung angeordnete Verschlankung des Staatsapparats und Privatisierungen wirken sich hier besonders aus, immerhin sind fast zwei Drittel der Stadtbevölkerung im öffentlichen Dienst tätig. Der vormals wichtigste Arbeitgeber, eine staatliche Phosphat-Fabrik, wurde in den vergangenen Jahren in ein jordanisch-indisches Joint Venture umgewandelt. Lokale Angestellte wurden entlassen oder durch billigere Arbeitskräfte aus dem Ausland ersetzt.

Ma'an steht für den - buchstäblich - kargen Süden

Gegenwärtig ist jeder fünfte Ma'ani erwerbslos. Vor allem junge Menschen verlassen ihre Stadt gen Amman oder Irbid, um eine Anstellung zu finden. „Mit unseren Steinbrüchen, Phosphat-Vorkommen und dem Touristenmagnet Petra müsste es der Region gut gehen. Doch der Zentralstaat und ausländische Investoren greifen die Gelder ab“, kritisiert Ex-Bürgermeister Shammari. Allein der Schmuggel floriert: Günstiges Benzin gelangt von Saudi-Arabien nach Jordanien, im Gegenzug werden Drogen und Alkohol ins Königreich der Wahhabiten geschleust.

Ma’an steht exemplarisch für den strukturschwachen Süden Jordaniens. Im Land ist der ökonomische Druck durch eklatante Preissteigerungen seit Mitte der 2000er gestiegen. 2011 und 2012 demonstrierten Tausende gegen die neoliberale Reformpolitik der Regierung. Inspiriert vom Arabischen Frühling wurden auch politische Forderungen laut. Manchen Beobachter verwunderte, dass Städte im Süden Zentren der Proteste bildeten. Schließlich stellen die ländlichen, tribal geprägten Gebiete traditionell die Machtbasis des Königshauses dar. Doch die Kluft zwischen dem haschemitischen Königshaus in Amman und dem Hinterland ist spürbar gewachsen.

In Ma’an wurde mit besonderer Intensität demonstriert. Anwohner lieferten sich tagelange Straßenschlachten mit der Polizei. Arbeiter besetzten die Phosphat-Fabrik und skandierten: „Wir arbeiten oder wir sterben.“ Die Eskalation in Ma'an wiederum verwunderte wenige: Revolte hat hier Tradition. Die Stadt hat seit den 1980ern fünf größere Unruhen erlebt; 1989 fanden hier die Proteste ihren Ausgang, die das Ende der Militärgesetzgebung einläuteten. Jedes Aufbegehren wurde von der Armee gewaltsam niedergeschlagen.

Immer wieder Demos

Auf den zweiten Blick wird auch im Aufbau der Stadt augenfällig, dass das Verhältnis zum Zentralstaat bestenfalls distanziert ist. Staatliche Institutionen wie die Polizeiwache, die Universität, das Gericht oder das Kulturzentrum finden sich allesamt außerhalb des Stadtkerns – Aufsicht aus Amman ist nur bedingt gewünscht. Die Polizei betritt die Innenstadt nur noch in Ausnahmefällen. „Nachdem sie versucht haben, Ma'an mit Waffengewalt und schikanösen Methoden zu kontrollieren, sind wir eingeschritten“, erklärt der amtierende Bürgermeister Majed Sharari. „Das bedeutet zwar ein Sicherheitsvakuum, andererseits entwickeln die Menschen mehr Eigenverantwortung. Insgesamt lassen wir der Regierung in Amman wenig Raum und kümmern uns selbst um unsere Belange.“ Rechtssprechung erfolgt heute durch clanbasierte Schiedsgerichte.

Im urbanen Norden Jordaniens genießt Ma'an den Ruf des rechtsfreien Raums. „Für kein Geld der Welt würde ich nach Ma'an fahren, zu gefährlich“, sagt etwa Yarob Nahhas, ein Touristenführer aus Amman. Die negative Fremdwahrnehmung verärgert viele Ma'anis: „Die jordanischen Medien zeichnen von uns das Bild von Fanatikern“, kritisiert Streitschlichter Scheich Abu Yasser.

Die Ma’anis treten der Staatsmacht besonders kritisch und zugleich selbstbewusst gegenüber: Ergebnis der aktuellen Tristesse gepaart mit dem Glanz vergangener Tage, meint Bürgermeister Sharari. „Ma’an ist die Wurzel Jordaniens. Wir waren hier, bevor die Haschemiten kamen“, erklärt er. Deshalb müsse Ma'an auch heute eine starke Rolle spielen. „Doch das Gegenteil ist der Fall: Der Staat vernachlässigt uns wirtschaftlich und mischt sich gleichzeitig in innere Belange ein.“

Tristesse nach historischer Grandeur

Tatsächlich war Ma'an bereits zu osmanischer Zeit Bezirksstadt, während Amman noch Dorfcharakter hatte. Wichtige Handels- und Pilgerrouten gen Hedschas liefen hier zusammen. Einige Monate war Ma'an 1920 sogar Hauptstadt des Königreiches. Königshaus und Regierung wissen um die Gefahr, die Ressentiments in Ma’an für sie bedeuten. Dass die Regierung sich mit der Stadt zumindest etwas zu versöhnen sucht, zeigte sich Anfang dieses Jahres: König Abdallah II. schenkte den Ma’anis 7000 Hektar Staatsland. Ein Stück Wüste für jeden. Bürgermeister Sharari kommentiert die Nachricht lapidar: „Die Regierung sollte besser Arbeitsplätze schaffen.“ Die angespannte wirtschaftliche Lage des Königreiches, das seit 2011 ca. 700 000 syrische Flüchtlinge aufgenommen hat, macht solche Investitionen freilich unwahrscheinlich.

Wurde Ma'an vom Staat abgehängt oder hat sich die Stadt von ebenjenem losgelöst? Die Antwort liegt irgendwo in der Mitte. Der status quo ist jedenfalls einzigartig: „Wir sind wie die Gallier“, lacht Abu Yasser, „die einzigen, die sich gegen das Regime wirklich wehren.“

Christoph ist studierter Islam-, Politik- und Geschichtswissenschaftler mit Fokus auf Westasien. Der Mitgründer von Alsharq - heute dis:orient - war zwischen 2011 und 2014 bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem tätig. In Berlin arbeitet er als Geschäftsführer für Alsharq REISE. Christoph hält regelmäßig...