Ist der Islam faschistisch? In seinem populärwissenschaftlichen Bestseller bejaht Hamed Abdel Samad diese Frage. Auf einem schwachen Quellenfundament scheitert seine Argumentation jedoch an Anachronismen und Widersprüchen. Von Hannes Bode Es klingt beeindruckend, was die Verlagsgruppe Droemer Knaur zur Veröffentlichung des Buches „Der islamische Faschismus“ mitteilte: Der Autor des „wichtigen Buches“, Hamed Abdel Samad, sei ein profilierter „islamischer Denker“, der nachweise, dass der faschistoide Gehalt des Islamismus bereits „im Ur-Islam“ angelegt sei. Die „Grundzüge des Faschismus“ würden bereits dadurch deutlich, dass die Religion „stets über dem Menschen steht“. Bereits die fragwürdige Klassifizierung des nicht gläubigen Religionskritikers Abdel Samad als „islamischer Denker“, der er nicht ist und auch nie war, lässt aufhorchen. Bietet sie dem Verlag doch das nötige Identitätsalibi für ein Werk, dessen Pauschalurteile über „den Islam“, „die Muslime“ und den „Islamofaschismus“ sonst vielleicht vorsichtiger aufgenommen worden wären. Totalitarismus, Faschismus und „verspätete Religion“ Abdel Samads Hauptthese, die von Verlag und Autor in der Öffentlichkeit – wo notwendig – unzutreffend auf die banale Feststellung von Parallelen zwischen Faschismus und Islamismus verkürzt wurde, ist einfach zusammengefasst: Der Islamismus sei totalitär und faschistoid, die „Wurzeln“ dieses Faschismus lägen im „Ur-Islam“. Um dies zu belegen, argumentiert Abdel Samad auf zwei Ebenen. Zunächst zählt er unter Bezug auf den Historiker Ernst Nolte, den Soziologen und Nationalismustheoretiker Ernest Gellner und den Schriftsteller und Philosophen Umberto Eco schlicht ‚äußere‘ Merkmale auf, die sich sowohl im europäischen Faschismus wie auch im Islamismus erkennen ließen. Der Faschismus teile die Welt in Freund und Feind ein, richte sich gegen die Moderne und das Fremde, glorifiziere Opferbereitschaft und Tod, überhöhe die Vergangenheit mythisch und sei entstanden in krisengeschüttelten, „verspäteten Nationen“. All dies finde sich auch beim Islamismus – sei doch der Islam gewissermaßen eine „verspätete Religion“. Abdel Samad scheitert nun bereits an dieser Stelle. Die schwer nachvollziehbare These von einer „verspäteten Religion“, in ihrer Parallelisierung von europäischem Faschismus und spätantiker islamischer Religion offensichtlich anachronistisch, wird in keiner Weise argumentativ hergeleitet. Zugleich betont Abdel Samad aber vor allem an vielen Stellen des Buches im Widerspruch zu seinen Kernthesen, dass Faschismus und Islamismus in der Moderne entstanden, in der gesellschaftlichen Situation des „Übergangs von der ländlichen zur urbanen Gesellschaft“. Der Islamismus sei als Totalitarismus – wie Faschismus und Bolschewismus – „antiurban“.[1] Sind seine im Buch getroffenen Aussagen etwa zum „Bolschewismus“ grundfalsch, ist die Klassifizierung von Faschismus und Islamismus als antimoderne und gegenaufklärerische Phänomene der Moderne derweil durchaus zutreffend.[2] Nur steht diese Einsicht diametral seiner eigentlichen Kernthese entgegen, wonach die Wurzeln des Faschismus im „Ur-Islam“ lägen. Dass „sowohl säkulare [!] Diktaturen als auch deren islamistische Widersacher“ von dem Hass zehren, den er als wesenhaft für europäischen wie islamischen beziehungsweise islamistischen Faschismus ausgemacht hat, unterstreicht den Widerspruch nur umso mehr. Wo schlüssige Herleitungen fehlen, finden sich Assoziationen und Behauptungen. So verweist er im Kapitel über arabischen Antisemitismus darauf, dass die Unterdrückung von Minderheiten und politischen Gegnern und die Lähmung jeder gesellschaftlichen Dynamik durch die autoritären arabischen Regime einen „perfekten Nährboden für islamistischen Fundamentalismus und Antisemitismus“ dargestellt hätten. Um im Folgesatz ohne jeden Zusammenhang und im Widerspruch zu den angeführten gesellschaftlichen Zusammenhängen zu konstatieren: „Wenn man den Bogen von Abraham zur Gegenwart schlägt, wird offensichtlich, dass es sich um eine ‚genuin [!] islamische Krankheit‘ handelt“. Biblische Opferbereitschaft als Urfaschismus Nach dieser Herleitung auf der Basis von ‚Gemeinsamkeiten‘ will Abdel Samad seine Kernthese auf einer zweiten Ebene historisch-theologiegeschichtlich belegen. Dazu führt er eine zentrale Gründungsgeschichte der jüdischen, islamischen und christlichen Tradition an, die Geschichte Abrahams und Isaaks, beziehungsweise Ismaels. Nachdem er diese kurz auf koranischer Basis referiert, befindet er schlicht: „Abraham ist bereit, die Befehle Gottes, seines ‚Führers‘ [!], auszuführen, ohne den Sinn oder moralischen Gehalt dieses Befehls in Frage zu stellen. Er ist sogar bereit, den eigenen Sohn zu opfern. Zwei zentrale Aspekte des Faschismus: bedingungsloser Gehorsam und Opferbereitschaft bis zum Äußersten“. Nun ist es durchaus richtig, dass es hier um die bedingungslose Unterordnung unter den allmächtigen Gott geht, und Religionskritiker und Atheisten führen immer wieder diese Geschichte an, um die ‚Unmenschlichkeit‘ der Religionen zu belegen. Doch scheint Abdel Samad in keiner Weise zu reflektieren, dass damit ebenfalls der faschistoide Gehalt von Judentum und Christentum nachgewiesen sein müsste. Auch der Verlag ignoriert diesen Zusammenhang – laut Klappentext zeige sich der Faschismus in „der Religion, die stets über dem Menschen steht“. Abdel Samad sind über Jahrhunderte währende theologische Debatten und die diversen Auslegungen dieser biblischen und koranischen Geschichte unbekannt oder egal, die sich in der Neuzeit etwa um den bedeutsamen Verzicht auf das Menschenopfer drehen, der durch diese Geschichte Gesetzesform erlangte. Die Forschung geht heute davon aus, dass es sich bei der Geschichte der „Bindung Isaaks“ beziehungsweise Ismaels um „eine nachträgliche narrative Reflexion“ der biblischen (Leidens-)Geschichte Israels „in Form eines theologisch aufgeladenen und in die Ursprünge Israels zurückprojizierten Deutungstextes [...] in typologisch-allegorischer Ausfaltung“ handelt, wie sie zudem in rabbinischer, dann koranischer und islamischer Überlieferung tradiert wurde. In Abdel Samads Buch zeigt sich an diesen und vielen anderen Stellen, in denen es etwa um den „eifersüchtigen abrahamitischen Gott“ geht, ein Autor, dessen nur oberflächliches religionsgeschichtliches Wissen aus der Zeit seiner Sozialisierung bei den Muslimbrüdern stammt. Diese haben als moderne und politische Bewegung die komplexen und ambivalenten religionsrechtlichen und theologischen Traditionen beziehungsweise Traditionskorpora von Fiqh oder Kalam immer ignoriert, ebenso wie die „Kultur der Ambiguität“, deren Geschichte jüngst der Islamwissenschaftler Thomas Bauer beeindruckend angeschnitten hat. Hat sich Abdel Samad nun auch von den Islamisten abgewandt, bleiben sein Wissen über religiöse Traditionen, Gesetze und Pflichten sowie sein Gottesbild doch bestimmt von ihrem ideologischen, identitätslogischen Zugriff auf ‚den Islam‘. Grundlegende Missverständnisse Neben der Herleitung seiner Hauptthese vom faschistischen Gehalt des „Ur-Islam“ als Wurzel des modernen Islamismus beziehungsweise Islamofaschismus finden sich bei ihm Kapitel zu verschiedensten Themen, darunter zur Beziehung der ägyptischen Muslimbrüder zu den Nazis, zum ‚Mufti‘ Amin al-Husseini oder zum vermeintlichen islamischen „Pornotopia des Paradieses“. Auch diese Kapitel enttäuschen aufgrund eines schwachen Fundaments und meist oberflächlicher Argumentationen. Neben faktischen Fehlern in Bezug auf Daten und Zusammenhänge ist dabei seine mangelnde Kenntnis der relevanten Forschungsliteratur zu den von ihm angerissenen Themen problematisch. So findet sich keine der zentralen Untersuchungen zu den Begegnungen zwischen arabischen Akteuren, Nationalsozialismus und Faschismus in seiner Literaturliste, obwohl er diesem Thema mehrere Kapitel widmet; Autoren wie Israel Gershoni, James Jankowski, Götz Nordbruch oder Peter Wien, die seit Jahren zu diesen Fragen forschen und publizieren, tauchen nicht auf. Seine allgemeinen Ausführungen zum arabischen Nationalismus, Islamismus und Nationalsozialismus, zu Al-Husseini und Nasser oder zur Muslimbruderschaft und SA bleiben folglich auch weit hinter dem Niveau aktueller Forschungsdebatten zurück. Nur an wenigen Stellen wird zudem klar, inwiefern die diversen von ihm angeführten historischen Zusammenhänge und Ereignisse seine These vom „islamischen Faschismus“ stützen. Eine Unterscheidung zwischen der frühen Muslimbruderschaft, dem ‚postkolonialen Islamismus‘ Sayyid Qutbs und jihadistischen Rackets wie dem „Islamischen Staat im Irak und Sham [Großsyrien]“ gibt es bei Abdel Samad nicht. Dass die Muslimbruderschaft in den 1930er und 1940er Jahren uniformierte Milizen gründete, genauso wie die ‚säkularen‘ chauvinistischen Organisationen ‚Masr al-Fatat‘ in Ägypten oder die ‚Futuwwa‘ im Irak, ist richtig. Der Historiker Peter Wien sprach in diesem Zusammenhang von einer autoritären „Generation der Führersehnsucht“. Nationalistische und islamistische Bewegungen und – wenn man den Begriff denn verwenden will – ihre faschistischen Varianten waren dabei Phänomene der Moderne, wie Abdel Samad selbst zugesteht. Dass der ‚Mufti‘ Amin al-Husseini Antisemit und Anhänger des Nationalsozialismus war, wie Abdel Samad betont, ist richtig. Doch wurde Al-Husseini von den Briten zum ‚Mufti‘ gemacht, hatte keinerlei theologische Bildung und Qualifikation und argumentierte häufig nationalistisch – mit oder ohne religiösem Vokabular. Bei der antisemitischen Ideologieproduktion al-Husseinis wie bei den meisten von Abdel Samad angeführten Entwicklungen handelt es sich eher um ideologische Reaktionen auf die kapitalistische Moderne – auf krisenhafte Transformationsprozesse in den arabischen Gesellschaften unter kolonialen Bedingungen – als um irgendwelche, in einem „Ur-Islam“ angelegten Faschismen. Denn der identitäre Bezug auf den glorreichen ursprünglichen Islam wäre wohl ebenso wie der Bezug auf die glorreiche arabische Vergangenheit im Sinne der Nationalismustheoretiker Eric Hobsbawm und Benedict Anderson als ‚erfundene Tradition‘ zu betrachten – nicht als die Tradition selbst. Doch hier spricht wieder der islamistisch sozialisierte Autor. Die erfundene Tradition versteht er als Realgeschichte; die Erzählung der Muslimbrüder vom Islam, der identitätslogische Zugriff auf die Religion, ist in seinen Augen gleichbedeutend mit der Religion selbst. Doch die Muslimbrüder und ihre Ideologie – der „islamische Faschismus“ Abdel Samads – sind und waren Produkte der urbanen Gesellschaft im modernen, zumeist kolonial bestimmten Territorialstaat, vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen und ökonomischen Transformationsprozesses.[3] Scheitern an der Geschlechterfrage Auch die Frage von Patriarchalismus und Misogynie, wie sie Abdel Samad in seinem Buch unter dem boulevardesken Schlagwort „Pornotopia“ aufwirft, lässt sich vor dem angesprochenen gesellschaftsgeschichtlichen Hintergrund erhellen. Denn wie der Soziologe Martin Riesebrodt bemerkt, liegt es nahe, „Fundamentalismus primär als einen Protest gegen die offizielle Abschaffung, öffentliche Mißachtung und schleichende Erosion patriarchalischer Strukturprinzipien in Familie, Ökonomie und Politik zu interpretieren“. Nicht umsonst richteten sich schon frühe Kampagnen etwa der Muslimbrüder gegen ‚Unmoral‘ und ‚Sittenverfall‘, nicht ohne Grund stehen Frauenrolle und Sexualmoral im Zentrum der Schriften Sayyid Qutbs, des Vordenkers des postkolonialen Islamismus. Doch Abdel Samad folgt solchen Überlegungen nicht. In seinem Kapitel zu islamischen Sexualvorstellungen führt er als einzige Referenz einen gänzlich unbekannten Publizisten als „Islamexperten“ an, dessen einziges, in Teilen geradezu vulgäres Pamphlet zum Thema unter anderem auf Basis einer mittelalterlichen Anleitung zur mystischen Askese Schlüsse auf heutige Fragen von Islamismus und Sexualität zu ziehen versucht. Von Werken relevanter Autoren zum Thema findet sich hingegen kein einziges in Abdel Samads Literaturliste.[4] Das Buch wird als „Bestseller“ beworben, und ist Teil eines Diskursfeldes, das von populärwissenschaftlichen bis populistischen Beiträgen zu Islam, ‚Islamkritik‘ und Integration dominiert wird. Die oft positive Rezeption im bürgerlichen Feuilleton, wo seine ‚neuen Thesen‘ und sein ‚Mut‘ gelobt wurden, erklärt sich nur vor dem Hintergrund zugrundeliegender Bedürfnisse, die Abdel Samad – wohl eher aus Eitelkeit und geringer Sachkenntnis als aus Überzeugung – gerne befriedigt. Nur so ist es auch zu erklären, dass der „Aufklärer“ offenbar nichts Verkehrtes dabei fand, als Redner bei der rechtspopulistischen FPÖ aufzutreten oder seine Thesen in einem Interview mit der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit darzulegen. Eine Debatte über den modernen Islamismus, die auch faschismustheoretische Ansätze fruchtbar zu machen sucht, ist sinnvoll. Abdel Samads Buch leistet hierfür allerdings keinen Beitrag. Seine wenig fundierte Rede über „die Muslime“, „den Islam“ und den „islamischen Faschismus“ ist alles in allem nicht zur Lektüre zu empfehlen – eine Rede, die er übrigens selbst ad absurdum führt, wenn er an einer Stelle mit süffisantem Ton anmerkt, die Muslime seien sich „nicht einmal einig“, „welche Form des Islam nun die eine wahre ist“.
[1] Dass „der Bolschewismus“ antiurban war, wird von Abdel Samad nicht irgendwie argumentiert und belegt, sondern schlicht – und fälschlich – behauptet. Er bezieht sich in im Buch positiv auf das Totalitarismuskonzept und hat in diesem Zusammenhang offenbar nur wenige bürgerlich-konservative Historiker rezipiert. Größere Debatten der letzten Jahrzehnte und weite Teile der Forschungsliteratur scheinen ihm nicht bekannt zu sein.
[2] ‚Antimodern‘ ist dabei auf keinen Fall zu verstehen als „nicht modern“, vielmehr setzt die negative Abgrenzung gegen tatsächliche oder vermeintliche Phänomene gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse diese selbst konstitutiv voraus.
[3] Die Träger islamistischer oder ‚fundamentalistischer‘ Bewegungen waren ‚Neuankömmlinge‘, die sich von der traditionalen Gesellschaft losgesagt hatten und die koloniale Gesellschaft abgeschottet vorfanden. Die Vereinzelungs-, Entfremdungs-, Entwertungs- bzw. Krisenerfahrungen verarbeiteten sie, indem sie sich von diesen beiden vermeintlich ‚unislamischen‘ Gesellschaften abgrenzten und ihre eigene soziale Lage als ‚wahre islamische Ordnung‘ identifizierten und identitär aufwerteten, spezifisch moderne Erfahrungen wurden (und werden) in der tradierten Sprache und Begrifflichkeit gedeutet, soziales und politisches Agieren durch den Rückgriff auf religiöse Symboliken und Praktiken aufgeladen.
[4] Bei Abdel Samad finden sich weder Titel Roswitha Badrys oder der überaus bekannten Fatima Mernissi, weder Abdelwahab Bouhdibas „Sexuality in Islam“ noch Zeev Magens „Virtues of the Flesh“, auch nicht der von Frauenrechtlerinnen herausgegebene Sammelband „Women and Sexuality in Muslim Societies“ und nicht einmal die bedeutende Veröffentlichung von Shereen El-Feki über Sexualität in der arabischen Welt, die im letzten Jahr erschienen ist und im deutschen Feuilleton breite Erwähnung fand.