03.03.2014
Gaza-Jugend - Protest und Verzweiflung gegenüber der Macht des Stärkeren
Wem ist die Hamas-Polizei im Gaza-Streifen verpflichtet? Foto: Tobias Raschke
Wem ist die Hamas-Polizei im Gaza-Streifen verpflichtet? Foto: Tobias Raschke

Der Gaza-Streifen ist abgeriegelt, im Norden und Osten von Israel, im Süden von Ägypten. Die Aussicht auf eine bessere Zukunft ist schlecht. Unter der Perspektivlosigkeit leiden vor allem die vielen Kinder und Jugendlichen, wobei die Ereignisse der vergangenen Jahre die Situation nur weiter verschlimmert haben.

Unverkennbar dringt das Knattern des alten Mercedes durch die Nacht von Gaza. Die Straßen sind ruhig im Gegensatz zu früher, als sich hier auch noch zu späten Abendstunden Autos stauten und Straßenverkäufer arabischen Kaffee, Maiskolben und teigummantelte Erdnüsse oder Pistazien verkauften. Der zentral gelegene Markt für Obst und Gemüse kannte keine Pause bis lange nach Mitternacht.

Die meisten Häuser liegen im Dunkeln; sobald der Strom abgestellt wird, beleuchten die Bewohner nachts nur noch einzelne Räume mit Öllampen oder Kerzen – denn nur wenige können sich Diesel und Generatoren leisten.

An strategisch wichtigen Zufahrtstraßen und neuralgischen Straßenecken zeigen sich die Machthaber. Auf einem Hausdach sind die Umrisse vermummter Männer mit Maschinenpistolen erkennbar – Kämpfer der Qassam-Brigaden, dem bewaffneten Arm der Hamas. Sie schieben Wache und kontrollieren die Bewegungen überall im Gaza-Streifen. Die Hamas-Polizei ist dagegen kaum zu sehen, auch tagsüber lassen sich Verkehrspolizisten sehr selten erblicken. „Sie haben Angst vor den israelischen Flugzeugen“, heißt es dazu.

Nur nachts zeigt sich die Macht in Gaza

Doch ansonsten ist Angst vor Angriffen kein Thema, auch wenn manche erzählen, dass sie das Geräusch der israelischen Drohnen hören könnten, die Gaza überwachen. Grüne Hamas-Fahnen säumen die Plätze überall; auch schwarz, die Farbe des Islamischen Dschihad, ist gut sichtbar, während die gelben Fatah-Fahnen nur vereinzelt an den Häusern hängen.

Fatah-Aktivisten ziehen sich zurück und versuchen, nicht aufzufallen. Die Angst ist berechtigt: Die Hamas hat zahlreiche Informanten, um die eigene Gesellschaft zu kontrollieren. Je nach politischer Zugehörigkeit zeigen sich selbst Familienmitglieder untereinander an – für den kleinen Vorteil. Doch die Wut auf die Machthaber steigt. Gegen die Enttäuschungen der Menschen im Gaza-Streifen kann die Hamas kaum etwas ausrichten. Die vermeintlichen Saubermänner gelten mittlerweile als genauso korrupt wie ehedem Arafats Fatah. Der Machterhalt scheint wichtiger als das Gemeinwesen. Alle sehen es: Der Lebensstandard sinkt von Jahr zu Jahr.

Die jungen Menschen in Gaza stellen mehr als die Hälfte der Bevölkerung, Chancen haben sie kaum. Daher aber auch nicht viel zu verlieren. Ähnlich wie in anderen arabischen Ländern hat sich eine Protestbewegung gebildet, die sich anonym über das Internet vernetzt und verbreitet. Es wird viel über Tamarod-Gaza gesprochen, was auf Deutsch „Rebell“ oder „Rebellion“ bedeutet. Die ägyptische Tamarod-Bewegung ist bekannt für die von ihr organisierten Massenproteste, die zum Militärputsch und der Entmachtung des Muslimbruders Mursi im Juli 2013 führten.

Zum Jahrestag des Todes von Jassir Arafat hatte die Tamarod-Gaza-Bewegung am 11. November zu Demonstrationen und dem Sturz der Hamas aufgerufen. Zur Erinnerung an den ehemaligen PLO-Chef und Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde finden jährlich an diesem Tag Demonstrationen statt – doch im vergangenen Jahr unter anderen Vorzeichen.
Im Vordergrund ein Märtyrer/Terroristen-Poster der Fatah mit Arafat und Abu Mazen, im Hintergrund ein Poster des Islamischen Jihad. Foto: Tobias Raschke
Im Vordergrund ein Märtyrer/Terroristen-Poster der Fatah mit Arafat und Abu Mazen, im Hintergrund ein Poster des Islamischen Jihad. Foto: Tobias Raschke

Es ist die von der Hamas-Regierung mit zu verantwortende Not, die die Gaza-Jugend auf die Straße treibt. Es geht für viele Familien ums Überleben: Kinderreichtum ist ein Fluch, wenn es keine Arbeit gibt. In Gaza wählten die jungen Aktivisten daher den besten Tag aus, denn welche palästinensische Regierung würde Demonstrationen zur Erinnerung an die Legende Abu Amar, so Arafats Kampfname, verbieten?

Protestbewegung im Keim erstickt!?

Im Vorfeld gingen die Meinungen in Gaza auseinander. Wie würden sich die Menschen verhalten? „Die Frage“, erklärte ein altgedienter Aktivist und Intifada-Kämpfer, „die sich hier in Gaza viele stellen, ist: wird die Hamas auf die Demonstranten schießen oder nicht?“ Dabei wollen die Tamarod-Mitglieder gerade das verlorene Vertrauen untereinander wieder aufbauen. Mit heimlich geklebten Plakaten oder Graffitis machten sie neben dem Internet auf sich aufmerksam.

Als der von allen mit Spannung erwartete 11. November dann endlich kam, blieb es ruhig, abgesehen von ein paar kleineren Demonstrationen. Da die Medien nicht frei berichten können, hat man außerhalb des Gaza-Streifens davon kaum etwas mitbekommen. Denn die potentielle Unmutsäußerung gegen die Hamas wurde schon in den Tagen vorher unterbunden, gewaltsam wie in Gaza üblich: Potentielle Rädelsführer und Aktivisten wurden in der harmlosen Variante verwarnt, in der ernsthaften kurz oder länger geschlagen, gefoltert und eingesperrt. Journalisten wurden verhaftet, um an Kontaktleute der Tamarod-Bewegung zu kommen.

Viele Menschen erzählen, wie die Gewalt der Hamas, genau wie die der Fatah früher, von Jahr zu Jahr exzessiver geworden ist. Die von der Bevölkerung gewünschte Versöhnung zwischen den beiden Parteien rückt so in weite Ferne, da jede der rivalisierenden Gruppen Angst davor hat, der Macht der anderen ausgeliefert zu sein.

Verlorene Jahre in Gaza

Es gibt Menschen im Gaza-Streifen, die unter vorgehaltener Hand erzählen, dass die Mehrheit nur zwei Wünsche hätte: Entweder solle die israelische Besatzungsmacht (1967-1994) zurückkommen, die wäre gerechter und würde wenigstens alle Palästinenser gleich behandeln, oder es sollte die Möglichkeit für jeden geben, den Gaza-Streifen irgendwohin zu verlassen. Der Traum ist, dass sich die Grenzen öffnen, und alle dorthin gehen können, wo sich Arbeit, Auskommen und Ruhe findet. „Das wäre für uns genug Frieden“, sagt eine ältere Frau, die an der ausweglosen Situation leidet. Eine Beschäftigung, die genug Einkommen bietet, gibt es theoretisch jedoch nur beim „Feind“ – also jenseits des undurchlässigen Zaunes, der den Gaza-Streifen von der Außenwelt trennt.

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Der Artikel stellt Teil 3 einer Serie dar. Zu Teil 1 geht es hier, Teil 2 kann hier abgerufen werden.