Hassan Rouhani muss als Präsident der Islamischen Republik Iran neue Hoffnung in seinem Land stiften. Dafür versucht er, das Volk mit dem Staat wieder zu versöhnen, indem er seine Regierung anhält, zuverlässig zu arbeiten. Erfolgreich machen könnte ihn am Ende, dass viele Menschen den Glauben an grundsätzliche Veränderungen verloren haben. Ein Gastbeitrag von Friedrich Schulze.
Am 14. Juni 2013 gewann Hassan Rouhani die Präsidentschaftswahlen im Iran. Im Wahlkampf war er mit dem Slogan „Maß und Hoffnung“ angetreten und traf damit den Kern der Unzufriedenheit im Land, die unter seinem Vorgänger Ahmadinedschad entstanden war. Die Regierungszeit Ahmadinedschads war von erstarkendem Extremismus geprägt und viele Iraner fühlten sich zusehends unsicherer. Gleichzeitig verschlechterte sich die Wirtschaftslage dramatisch und die Systemkrise schlug sich in der Bevölkerung als Hoffnungslosigkeit nieder. Ein gefährlicher Zustand für das System der Macht. Der Sieg Hassan Rouhanis war daher überraschend: Rouhani stand für die unerwartete Einsicht in den obersten Machtetagen, dass nun ein grundlegender Politikwandel kommen müsse.
Die Hoffnung, die Hassan Rouhani mit seinem Wahlslogan verbreiten wollte, kam schließlich kurz vor der Wahl auch in der Gesellschaft an und viele Iraner ließen sich überzeugen, doch noch wählen zu gehen. Rouhani versprach nun eine breite Palette an Reformen, wobei die Wirtschaft im Vordergrund stand. Konkret ging es darum, die Inflation der vergangenen Jahre einzudämmen, die maßgeblich durch den Wertverfall des Iranischen Rials auf dem Währungsmarkt verursacht wurde.
Rouhani verspricht „Maß und Hoffnung“
Die Verschlechterung der politischen Beziehungen zum Westen, die sich für Viele im Iran wie eine Abkopplung von der Welt anfühlte, sorgte neben einem knappen Etat auch dafür, dass Qualität für die große Masse der iranischen Mittelschicht schwer bezahlbar wurde. Wenn etwas im Haus oder beim Auto kaputt ging, musste es durch Billigwaren aus China ersetzt werden, die dann den eigenen Abstieg deutlich machten. Ein Taxifahrer in Teheran meinte dazu: „In China werden die Brücken von den Engländern gebaut, und wir holen uns die Chinesen, um bei uns Brücken zu bauen“.
Iran ist damit von der einstigen Führungsmacht am Persischen Golf zum Bettler unter den Industrienationen geworden. Durch die Sanktionen gingen im Land zudem tausende Arbeitsplätze verloren. Universitätsabsolventen haben kaum noch Aussicht auf Arbeit, der Großteil von ihnen denkt daran auszuwandern. Mittlerweile ist Türkisch zum Beispiel eine beliebte zweite Fremdsprache geworden. Für die Türkei benötigen Iraner kein Visum.
Rouhani arbeitet an einem Gegenentwurf zur jetzigen Situation. Seit seinem ersten Interview verbreitet er Hoffnung und wiederholt, dass man „nicht an die Vergangenheit, sondern an die Zukunft denken sollte“. So kündigte der neue Präsident an, nicht nur die Arbeitsmöglichkeiten verbessern, sondern auch die Rechtsstaatlichkeit ausbauen zu wollen.
Diese Ankündigung ist im Iran von doppelter Bedeutung. Einerseits waren Willkür durch die staatliche Hand sowie Korruption zwei wesentliche Gründe für den Rückgang der Privatinvestitionen in den letzten Jahren und damit das Lahmen der Wirtschaft. Anderseits ist damit eine Atmosphäre der „Staatssicherheit“ gemeint, deren Überwachung zwar konsequent den Staat schützt, doch Bürgerrechte nur inkonsequent berücksichtigt. So standen auch die Freilassung von politischen Gefangenen, Lockerungen in der Kleidungspolitik und eine stärkere Freiheit im Internet auf Rouhanis Liste an Wahlkampfversprechen.
Er will Korruption bekämpfen und Rechtssicherheit stärken, um die Wirtschaft anzukurbeln
Nach seinem Sieg mit knapper, doch absoluter Mehrheit kündigte Rouhani an, rasch Ergebnisse liefern zu wollen, um Irans Abwärtstrend zügig umzudrehen und den Menschen neue Hoffnung zu geben. Für wirtschaftliche Verbesserung muss er die Sanktionen abschütteln, was nur durch Fortschritte in den Atomverhandlungen möglich ist. So lässt er keine Gelegenheit aus, um zu erwähnen, dass sich „das iranische Volk bei den Wahlen in aller Weisheit für den Weg des Friedens und der Mäßigung entschieden hat“. Hinter solchen Schmeicheleien steckt, dass das „Volk“ im Iran zumindest ideologisch eine übergeordnete Instanz darstellt und es für Rouhani daher sinnvoll ist, sich mit der breiten Bevölkerung zu verbinden.
Nach offizieller Auslegung entschied sich das Volk nach der Islamischen Revolution 1979 für die vorherrschende Staatsordnung. Das wiederum heißt, dass sich das iranische Volk nach der staatlichen Sichtweise für die Führung durch den zwölften Emam Mahdi entschied, der aufgrund seiner Abwesenheit durch einen islamischen Rechtsgelehrten – heute Ali Khamenei – vertreten wird. Diese Legitimation des Systems durch das Volk ist bis heute einer der Kernpunkte des iranischen Staatsverständnisses und wird alle vier Jahre bei den Präsidentschaftswahlen symbolisch durch die Verkündung der „hohen Wahlbeteiligung“ zelebriert.
Auf diese Kraft des Volkes baut nun Hassan Rouhani seine Pläne auf, die für die rechtskonservativen und extremistischen Gruppen des Systems ein Dorn im Auge sind. Doch solange er den Wind des Wahlsieges in seinem Rücken spürt und Ali Khamenei nicht gegen sich aufbringt, besitzt Rouhani als Präsident die nötige Macht, eine Öffnung des Landes durchzusetzen.
Das Staatsverständnis beruht doch auf dem Willen des Volkes
Dabei weiß Rouhani, dass sich die Wirtschaft nicht über Nacht ändern wird. Daher kündigte er an, „ehrliche Nachrichten“ zu verbreiten – „egal, ob sie gut oder nicht angenehm sind“. So veröffentlichte Rouhanis Regierung schon mehrfach sich verschlechternde Wirtschaftszahlen über die Inflation und Preisentwicklung in Iran. Es sind die schlechten Nachrichten über den Zustand des Landes, die seine Regierung zur Zeit glaubwürdig machen und den Menschen Hoffnung geben. Denn ehrliche Nachrichten gab es von der Regierung in Iran lange nicht mehr zu hören.
Wohl aufgrund dieser Politik der Vertrauensbildung verbesserten sich bereits die Wechselkurse des Rials, was als Indikator dafür dienen dürften, dass sich die Binnenwirtschaft erholen kann. Nachhaltig neue Jobs zu schaffen, wird trotzdem ein schwieriges Unterfangen bleiben, da sich die versprochene Rechtssicherheit und Reduzierung der Korruption erst beweisen und Wirtschaftsimpulse folgen müssen.
Als kurzfristige Maßnahme gegen Arbeitslosigkeit wurden zunächst zahlreiche neue Verkehrspolizisten im ganzen Land eingestellt. Diese werden im Gegensatz zur gewöhnlichen Polizei positiv wahrgenommen, da sie über keinerlei Entscheidungsgewalt verfügen und ausschließlich den oft lähmenden Verkehr regeln. Trotz aller wirtschaftlichen Schwierigkeiten sprechen Architekten zudem von einem Anstieg im Baugewerbe seit Beginn von Rouhanis Präsidentschaft. „Viele Investoren trauen sich nun wieder, und nächstes Jahr wird es sicherlich noch mehr werden,“ berichtet ein Architekt in Teheran.
Hochschulabsolventen hoffen weiter auf die besseren Zeiten, die Rouhani so oft verspricht
Tatsächlich gleicht Teheran zur Zeit einer einzigen Baustelle. Es entstehen nicht nur private Wohnungen oder Hochhäuser, sondern auch Großprojekte wie Einkaufszentren. Dazu kommen zahllose Infrastrukturprojekte wie eine spektakuläre doppelstöckige Autobahn quer durch Teheran und neue U-Bahn-Stationen. Was nach Aufbruch klingt, brachte den nach Arbeit suchenden Akademikern allerdings bisher wenig. Es sind vor allem Niedriglohn-Jobs, die bisher einen leichten Aufschwung erlebt haben. Die große Mehrheit junger Studierender jedoch bleibt weiterhin in einem Zustand des Hoffens auf die besseren Zeiten, die Rouhani alltäglich verspricht.
Im Gegensatz zur im Eiltempo herbeigesehnten Öffnung der Wirtschaft ist die sehr vorsichtige Öffnung des Landes bei der Staatssicherheit geplant. Seit der Amtsaufnahme Rouhanis sind einige politische Gefangene mit dem Segen des Revolutionsführers Khamenei freigelassen worden. Immer noch aber sitzen viele im Evin-Gefängnis Teherans. Über die Freilassung der berühmtesten Gefangenen Mir Hossein Mousavi und Mehdi Karoubi gibt es verschiedenste Gerüchte. Doch es ist klar, dass die Anhänger Rouhanis die Aufhebung von deren Hausarrest mehrfach lautstark bei Auftritten Rouhanis forderten. Zumindest indirekt hat er seither zugesagt, dass es „keine politischen Gefangenen geben darf“. Das aber ist eine Forderung, die für Rouhani noch zu einem Problem werden könnte, wenn der Revolutionsführer die Gefangenen-Prominenz nicht wieder rehabilitieren möchte. Freigelassen wurde jedoch im September die mit dem „Sacharow-Preis für Geistige Freiheit“ des Europäischen Parlaments ausgezeichnete Rechtsanwältin Nasrin Sotudeh.
Bei den ersten werden die Ärmel kürzer
Auch die Sittenpolizei auf den Straßen, die für ständige Spannungen bei der Jugend Irans sorgt, ist spürbar weniger geworden. Die Zeiten sind noch lange nicht vergleichbar mit den Zeiten Khatamis, in denen das Kopftuch fast zur Nebensache wurde. Doch scheint Rouhani nichts überhasten zu wollen, schließlich wurde diese Lockerheit Khatami zum politischen Verhängnis. Auch hier muss Rouhani das richtige „Maß“ finden, um seine Glaubwürdigkeit bei der Bevölkerung zu festigen, ohne sich jedoch mit dem Revolutionsführer zu überwerfen.
In seiner letzten Rede an die Polizei wählte er für iranische Verhältnisse deutliche Worte, indem er „die Polizei als Unterstützer des Volkes“ beschreibt. Er konkretisierte: das Kopftuch sei nicht zuallererst die Aufgabe der Polizei, sondern der Bevölkerung. Viele junge Frauen binden ihre Kopftücher schon etwas lockerer oder wählen mit Freude die Oberteile mit etwas kürzeren Ärmeln. Ob die vorsichtige Lockerung aber ernst gemeint ist, wird sich erst im Sommer zeigen, wenn die Kontrollen traditionell verstärkt werden.
Dass die Polizei ihre Präsenz nicht gleich ganz abschwächt, zeigte sie beispielsweise Ende September. In Darakeh, einem beliebten Ausflugsziel für Teheraner, wurden Teehäuser geschlossen, in denen Männer und Frauen gemeinsam Wasserpfeife rauchten. In Shiraz zerstörte die Polizei zudem demonstrativ Satellitenschüsseln, die sie zuvor von Dächern einiger Wohnhäuser herunterholten.
Auch was die Internetfreiheit angeht, gibt es bisher mehr Gerüchte als Tatsachen. Eine Sonderkommission, die geheim tagt, berät über die Zukunft des Internets in Iran, ohne dass selbst das eigentlich zuständige Ministerium involviert ist. Eine möglicherweise angestrebte Lösung anstelle der Vollsperrung sind eigene Proxy, über die es möglich sein wird, zum Beispiel Facebook zu besuchen. Dies hätte zwei Vorteile: Einerseits ließen sich so die Daten vollkommen kontrollieren und andererseits gezielt filtern, falls man ungewünschte Inhalte aussortieren möchte. Eine völlige Öffnung des Internets in Iran ist wohl zunächst unwahrscheinlich, auch wenn Rouhani betont, dass „man an alle Informationen herankommen muss“.
„Die Polizei als Unterstützer des Volkes“ – deutliche Worte im Iran
Die größten Veränderungen im Iran liegen wohl in der Rhetorik des Präsidenten selbst, der mit „Maß und Hoffnung“ den Menschen wieder eine Perspektive geben und sie mit dem Staatssystem zu versöhnen sucht. Die Menschen nehmen diesen Kurs bisher dankbar an, doch muss Rouhani auch Taten vollbringen, um wirklich Glaubwürdigkeit zu erlangen. Ob er das schafft, bleibt abzuwarten.
Schon jetzt schlägt ihm leichter Gegenwind aus den eigenen Reihen entgegen. Khatami, der Reformer-Präsident vor Ahmadinedschad, scheiterte an für das System zu plötzlichen Reformen, die ihn in der Bevölkerung unglaubwürdig erschienen ließen. Das könnte Rouhani ebenso erleben. Vielleicht rettet ihn dabei, dass viele in Iran nach den Straßenschlachten von 2009 sowieso nicht mehr an große Reformen glauben.
Doch obgleich die Situation immer schlechter werden kann, so haben viele im Iran zur Zeit doch das Gefühl, es könne gerade nur besser werden – und dieses Gefühl ist noch auf Rouhanis Seite.