Mit der Ernennung Mohammed Javad Zarifs zum neuen Chefunterhändler des iranischen Atomprogramms und Außenminister in Personalunion wie auch der Berufung Ali Shamkhanis zum neuen Sekretär des iranischen Sicherheitsrates sind die wichtigsten Personalentscheidungen Präsident Rouhanis vorerst abgeschlossen. Rouhani sendet damit ein Signal für die Bereitschaft zur Entspannung der Beziehungen an den Westen und die Golfstaaten. Die Aussichten für eine nachhaltige Annäherung zwischen der Islamischen Republik und dem Westen bleiben jedoch gemischt. Ein Gastbeitrag von Christian Ebert.
Die Ernennung des bereits zum Außenminister bestimmten Mohammed Javad Zarifs zum neuen Chefunterhändler für das iranische Atomprogramm war zuletzt keine Überraschung mehr. Schon kurz nach Amtsantritt Zarifs als Außenminister wurde unter Analysten über die Verlagerung der Verantwortung für die Atomverhandlungen weg vom Sekretariat des Hohen Nationalen Sicherheitsrates hin zum Außenministerium spekuliert.
Mit der Berufung Zarifs zum Chefunterhändler bricht Präsident Rouhani nun mit der Tradition des letzten Jahrzehnts. Im Jahre 2003 war es Rouhani selbst, der als Sekretär des Hohen Nationalen Sicherheitsrates auf iranischer Seite die ersten Verhandlungen über das Nuklearprogramm der Islamischen Republik anführte. Auch seine Nachfolger im Amt des Sekretärs, Ali Larijani und Saeed Jalili, waren mit dieser Aufgabe betraut worden. Aber Zarif zu einer Art Superminister für die wichtigsten Problemfelder iranischer Diplomatie zu machen, erschien angesichts der großen Herausforderung und notwendiger diplomatischer Expertise als logischer Schritt. Allein als Außenminister wären seine Vorzüge nur bedingt zum Tragen gekommen. Das Profil des in den USA studierten und promovierten Zarifs erscheint durch seine Erfahrung als langjähriger Botschafter bei den Vereinten Nationen von 2002 bis 2007 aus iranischer Sicht als beste Wahl, die Position der Islamischen Republik auch in den zukünftigen Atomverhandlungen mit dem Westen zu vertreten.
Die Berufung Zarifs zum Außenminister wird im Westen begrüßt
Außenminister Zarif war bereits in der Vergangenheit immer wieder als zentrale Figur in Geheimverhandlungen eingebunden, die zu einer Entspannung des Verhältnisses zwischen den USA und dem Iran beitragen sollten. Dazu wird auch der allgemein als „grand bargain“ bekannte Vorschlag gezählt, eine angebliche geheime diplomatische Offerte des Iran aus dem Jahre 2003. Darin soll sich der Iran im Falle einer Aufhebung der Sanktionen und einer Nichtangriffsgarantie von Seiten der USA im Gegenzug zur Einstellung der militärischen Unterstützung für die libanesische Hizbollah, der palästinensischen Hamas und zu weitreichenden Zugeständnissen hinsichtlich des iranischen Nuklearprogramms bereit erklärt haben.
Seine Rolle wurde zwar von rechten Hardlinern in den USA und im Iran auch immer wieder kritisch gesehen, dennoch gilt Zarif allgemein als fähiger Diplomat. Auch westliche Politiker und Diplomaten, die in der Vergangenheit mit Zarif zusammengetroffen waren, äußerten sich lobend über dessen Berufung zum iranischen Außenminister.
So reagierten auch westliche Medien und Analysten zumeist positiv und werteten die Ernennung des neuen Außenministers als konstruktives Zeichen an die Europäer und die USA.
„Twitter-Diplomatie“
Dass Rouhani und Zarif für die Befindlichkeiten der westlichen Öffentlichkeit in der Frage der iranischen Haltung zum Holocaust und Antisemitismus im Gegensatz zu Ex-Präsident Ahmadinejad, der immer wieder mit kontroversen Aussagen in westlichen Medien Schlagzeilen machte, ein Gespür zu besitzen scheinen, ließ sich zuletzt auf Twitter verfolgen.
Dort verbreitete zuerst ein Twitter-Account unter dem Namen Rouhanis Glückwünsche für Rosh Hashana, das jüdische Neujahr. Kurze Zeit später erklärte ein Berater Rouhanis gegenüber iranischen Medien, ein Twitteraccount, der vom Präsidenten betrieben oder autorisiert wäre, existiere überhaupt nicht. Nach genauer Beobachtung des Accounts entstehen jedoch berechtigte Zweifel an dieser Aussage. Die Art der Tweets, die Inhalte und die Interaktion mit anderen offiziellen Accounts, zum Beispiel dem der Washington Post oder Javier Solanas, legen den Verdacht nahe, dass der Account aller Wahrscheinlichkeit nach von Rouhanis Team betrieben wird.
Auf Twitter verschickt der Außenminister gute Wünsche zum jüdischen Neujahr
Interessanterweise verschickte ein weiterer Account auf Twitter, diesmal unter dem Namen Außenminister Zarifs, erneut Glückwünsche für das jüdische Neujahrsfest. Auf diesen Tweet reagierte Christine Pelosi, die Tochter der bekannten US-Politikerin Nancy Pelosi, ihrerseits über Twitter und erklärte dem vermeintlichen Zarif, das neue Jahr würde noch besser werden, wenn dieser dafür Sorge träge, dass der Iran seine Leugnung des Holocaust beende.
Zarif antwortete Pelosi, dass Iran niemals den Holocaust geleugnet habe, der Mann (Ahmadinejad), der dies getan habe sei nun nicht mehr da. Zarif korrigierte den Tweet später noch einmal und präzisierte seine Aussage, indem er schrieb: „Der Mann, von dem allgemein angenommen wurde, dass er dies täte, ist nun nicht mehr da.” Die bekannte CNN-Journalistin Christiane Amanpour bestätigte daraufhin über Twitter nach eigener Nachforschung, dass der Twitteraccount mit dem Namen „Javad Zarif“ tatsächlich von Zarif betrieben werde.
Die Twitter-Nachrichten aber als Zeichen der Annäherung zu deuten, wäre vorschnell. Die neue Tonart deutet weder direkt auf eine zukünftige Annäherung an Israel hin, noch auf die Anerkennung des „zionistischen Regimes“, wie iranische Offizielle den Staat Israel zumeist bezeichnen. Dennoch wird deutlich, dass die neue iranische Regierung sich gegenüber der westlichen Öffentlichkeit als konstruktiver Dialogpartner zu präsentieren versucht, und den Konflikt mit Israel nicht einfach als Resultat von Antisemitismus und blindem Judenhass gedeutet sehen möchte.
Aufwertung des Außenministeriums
Revolutionsführer Khamenei, erster Mann im Staate, bleibt natürlich weiterhin die entscheidende Persönlichkeit für eine mögliche Lösung im Atomstreit. Mit Präsident Rouhani und seinem Außenminister Zarif konzentriert die Exekutive nun jedoch wichtige diplomatische Expertise in der Nuklearfrage. Zarif unterstützte schon im Jahre 2003 Rouhani bei seinen Verhandlungen als damaliger Chefunterhändler für das Atomprogramm.
Gerade die Rolle des Präsidenten in den künftigen Atomverhandlungen dürfte angesichts seiner Erfahrungen als ehemaliger Chefunterhändler gewichtiger sein als die seiner Vorgänger. Das Vertrauen in seine Person scheint innerhalb der höchsten politischen Kreise des Iran gefestigt zu sein.
Die erfolgte Verschiebung der Zuständigkeit für die Nuklearverhandlungen vom Hohen Nationalen Sicherheitsrat hin zum Außenministerium bedeutet ihrerseits eine Übertragung der Verantwortlichkeit weg von einer maßgeblich sicherheitspolitisch geprägten Plattform hin zum diplomatischen Korps. Das Außenministerium erfährt somit eine eindeutige Aufwertung.
Zarif gab in den iranischen Medien bekannt, sein Verhandlungsteam bestehe aus Experten und Technokraten des Außenministeriums, die Erfahrung in Außenpolitik, Atomverhandlungen und Abrüstung hätten.
Ein Araber als neuer Sekretär des Hohen Nationalen Sicherheitsrates
Dennoch wurde deutlich gemacht, dass der Hohe Nationale Sicherheitsrat auch weiterhin die Grenzen für die Atomverhandlungen setzen werde und somit auch ohne seine direkte Zuständigkeit kaum Einfluss einbüßt.
Zum neuen Sekretär des Sicherheitsrates wurde überdies der Admiral der Revolutionsgarden Ali Shamkhani ernannt. Der aus Ahwaz in der Provinz Khuzestan stammende und der arabischen Minderheit angehörende Shamkhani gilt als starker Mann, der bereits als Verteidigungsminister unter Ex-Präsident Khatami von 1997 bis 2005, Oberkommandierender der Marine und als Khameneis persönlicher Militärberater fungierte.
Von der Personalie Shamkhani erhofft sich der Iran allem Anschein nach eine mögliche Verbesserung der Beziehungen zu den Golfstaaten. Shamkhani genießt gerade in Saudi-Arabien besonderes Ansehen. Im Jahre 1999 besuchte Shamkhani als erster Verteidigungsminister seit der iranischen Revolution die Golfmonarchie in der Hoffnung, eine Entspannung der saudisch-iranischen Beziehungen fördern zu können. Für seine Bemühungen um die Beziehungen zwischen dem Iran und den Golfstaaten verlieh König Fahd ihm 2004 die höchste Verdienstauszeichnung Saudi-Arabiens, den „Orden von Abdulaziz Al Saud“.
Personalpolitik der Annäherung
Auch die Berufung Bijan Namdar Zanganehs zum Ölminister könnte als Signal für die Bereitschaft zu einer Entspannungspolitik an den Westen interpretiert werden. Denn Zanganeh, der über 22 Jahre Erfahrung im Politikbetrieb verfügt, diente bereits als Ölminister unter Ex-Präsident Khatami in den Jahren 1997 bis 2005. In dieser Zeit förderte er den Anstieg ausländischer Investitionen in Irans Energie-Sektor, auch von europäischen Firmen.
Khamenei, der die Übertragung der Verantwortlichkeit für die Nuklearverhandlungen an das Außenministerium unterstützt haben muss, sprach sich öffentlich für die neue Regierung aus und lobte Rouhanis Minister als fähige Experten. Khamenei gibt jedoch weiterhin den Mahner und warnte, dass Politiker wie auch das Volk das Verhalten des Westens realistisch unter dem Gesichtspunkt eines tief sitzenden Konfliktes zwischen dem Westen und dem Islam einschätzen sollten. Das zu missachten könnte trotz des Wissens um die Taktiken und Strategien des Gegners zu eigenen Fehlern führen.
Khameneis Worte sind möglicherweise aber zugleich als Aufruf an westliche Offizielle zu verstehen, die sich bietende Gelegenheit nicht durch falsches Taktieren zunichte zu machen.
Positive Aussichten für eine Annäherung?
Inwieweit der Iran letzten Endes in den Verhandlungen kompromissbereit und -fähig sein wird, bleibt abzuwarten. Zwar geben Rouhanis Personalentscheidungen und die kürzlich erfolgte Freilassung von mehreren politischen Häftlingen, darunter die bekannte Menschenrechtsaktivistin Nasrin Sotoudeh, Anlass zu vorsichtigem Optimismus. Doch der Präsident hat in der Vergangenheit selbst damit kokettiert, dass seine damalige Einigung mit den Europäern in den Atomverhandlungen nur dazu gedient habe, dem Iran die Möglichkeit zu geben, weiter in Ruhe seine Expertise in der Nukleartechnologie ausbauen zu können.
Diejenigen Skeptiker, die hinter Irans nuklearen Aktivitäten auch eine militärische Dimension vermuten, sehen in Rouhani daher einen Schausteller, der an einer in ihrem Sinne wirklichen Lösung im Atomstreit nicht interessiert sei und weiter auf Zeit spiele.
Auch die Übertragung der Verantwortung für die Atomverhandlungen an das Außenministerium sollte nicht überbewertet werden. An der zentralen Rolle des Hohen Nationalen Sicherheitsrates und des Revolutionsführers im außenpolitischen Entscheidungsprozess wird sich selbst durch die Aufwertung des Außenministeriums nichts ändern.
Eine wahre Machtverschiebung aber lässt sich nicht erkennen
Wie bekannt gegeben wurde, hat zwischen Präsident Obama und Rouhani wohl bereits Anfang September ein Briefwechsel stattgefunden. Rouhani erklärte, er habe den Ton Obamas als positiv und konstruktiv wahrgenommen. Dennoch muss auch an westliche Entscheidungsträger die Frage nach einer wirklichen Kompromissbereitschaft und -fähigkeit gestellt werden. Das Sanktionsregime gegen den Iran, das mittlerweile ein komplexes Netz bildet, ist mit dem Vorwurf behaftet, nicht allein gegen das iranische Atomprogramm gerichtet zu sein, sondern zuvorderst auf einen Regimewechsel abzuzielen.
Zwar wären die USA durch Erlässe von Seiten des US-Präsidenten durchaus zu einer vorübergehenden Aussetzung einiger Sanktionsmaßnahmen gegen Drittländer und deren Firmen, die z.B. an einer Energiekooperation mit dem Iran grundsätzlich interessiert sind, fähig. Eine echte Aufhebung von einigen für den Iran besonders schmerzhaften Sanktionen wird ohne eine Zustimmung des US-Kongresses jedoch nicht auf den Weg gebracht werden können.
Die Zuspitzung im Syrien-Konflikt infolge des Chemiewaffen-Einsatzes wird mit Sicherheit auch die neuen Verhandlungsrunden zur Beilegung des Atomstreits beeinflussen. Obama erklärte in diesem Zusammenhang, dass ein positiver Durchbruch im Atomstreit auch vom Gelingen einer internationalen Kontrolle des Chemiewaffenarsenals des Assad-Regimes abhängen könnte.
Mögliches Treffen zwischen Iranern und Amerikanern bei der UN-Generalvollversammlung
Rouhani und Zarif haben ihre Teilnahme an der diesjährigen Generalvollversammlung der Vereinten Nationen bestätigt und werden dort aller Wahrscheinlichkeit nach erste Gespräche führen, um die notwendigen Schritte für eine neue Verhandlungsrunde im Atomstreit einzuleiten.
Catherine Ashton, die Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, hat bereits angekündigt, Minister Zarif am Rande der UN-Generalvollversammlung treffen zu wollen. Ebenso gab der französische Präsident Francois Hollande bekannt für eine Unterredung mit Rouhani in New York zusammenzutreffen. Aber auch die Amerikaner haben zuletzt erklärt für ein Meeting mit den Iranern während der Generalvollversammlung grundsätzlich offen zu sein. Selbst ein direktes Aufeinandertreffen zwischen Obama und Rouhani schloss das Weiße Haus nicht kategorisch aus.
Alte Fragen bleiben offen
Auch die Besuche des omanischen Sultans Qabus und des US-amerikanischen UN-Untergeneralsekretärs Jeffrey Feltman in Teheran Ende August haben bei Beobachtern Spekulationen über eine mögliche Mediationstätigkeit der Omanis im Atomstreit und eine Einbindung des Iran in die „Geneva II“-Friedenskonferenz genährt.
Die Chancen für eine kurzfristige diplomatische Annäherung zwischen dem Iran auf der einen Seite, dem Westen und den Golfstaaten auf der anderen sind nach Rouhanis Signalen und der Reaktion westlicher Amtsträger durchaus gegeben. Ob diese Annäherung auch tatsächlich zu einer Einigung bei den wichtigen Fragen für die Region führen wird, ist jedoch noch nicht absehbar. Grundsätzlich bleiben daher trotz der Signale für einen neuen außenpolitischen Kurs aus dem Iran für die meisten Beobachter wohl viele alte Fragezeichen weiterhin bestehen.