Die gewaltsamen Auseinandersetzungen im Libanon haben in den vergangenen Tagen eine neue Stufe erreicht. Neben den seit Monaten mit Waffen ausgetragenen Scharmützeln in Tripoli und Ortschaften im Nordosten des Landes kam es nun auch zu Feuergefechten in der Küstenstadt Saida sowie in der dicht bevölkerten zentralen Bekaa-Ebene. Die Konflikte sind konfessionell geprägt und stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Krieg in Syrien.
Eskalationen zwischen Schiiten und Sunniten haben die libanesischen Schlagzeilen der vergangenen Tage bestimmt. Während das parlamentarische System lahmt und Wahlen aufgrund der gespannten Situation verschoben wurden, greifen bewaffnete Auseinandersetzungen auf weite Teile des Zedernstaates über. Seit Hassan Nasrallah, Generalsekretär der Hisbollah, Ende Mai verkündete, die schiitsche Miliz werde im syrischen Krieg "bis zum Ende" auf Seiten des Assad-Regimes zu kämpfen, hat der Konflikt das Nachbarland Libanon vollends erfasst. Als Reaktion auf die Ankündigung attackierten syrische Rebellen beziehungsweise ihre größtenteils sunnitischen libanesischen Verbündeten Ziele der Hisbollah im Libanon - auch die schiitischen Vorstädte Beiruts waren während eines Raketenangriffs am 26. Mai betroffen.
Die seit Jahren ausgetragenen Feuergefechte in Tripoli zwischen Alawiten und Sunniten der verfeindeten Stadtviertel Jabal Mohsen und Bab at-Tabbaneh haben sich im Zeichen des Syrienkrieges verschärft. Zudem prägen seit Anfang des Jahres Konflikte zwischen sunnitischen und schiitischen Ortschaften im Nordosten der Bekaa-Ebene im syrisch-libanesischen Grenzgebiet das Geschehen. Dabei erlangte etwa die mehrheitlich sunnitische Kleinstadt Arsal traurige Berühmtheit. Hier vermischten sich häufig Fehden zwischen lokalen Clans, Interventionen seitens der syrischen Konfliktparteien und Machtkämpfe ihrer libanesischen Verbündeten. Der militärisch wenig potenten libanesischen Armee blieb zumeist nur die Rolle des Zuschauers.
Sunnitische Gruppierungen errichten Straßensperren in der Bekaa-Ebene
In den vergangenen Tagen erfassten die Spannungen zunächst die zentrale Bekaa-Ebene, wo sunnitische Gruppierungen in Saadnayel und Masnaa Straßensperren auf den wichtigsten Verkehrswegen des Ostteils des Libanon errichteten. Laut Augenzeugenberichten wurden dabei angebliche Hisbollah-Mitglieder kurzzeitig festgehalten, was zu kleineren Scharmützeln führte. Gegenüber Alsharq berichteten Bewohner der Bekaa-Ebene, dass mehr und mehr Sunniten sich dem militanten Salafisten-Prediger Ahmad al-Assir anschlossen und immer häufiger die offene Konfrontation mit Anhängern der schiitischen Hisbollah suchten.
Al-Assirs Anhänger waren in dessen Heimatstadt Saida am heutigen Morgen in Auseinandersetzungen mit den schiitischen Bewohnern von Wohnblöcken verwickelt, die angeblich im Besitz der Hisbollah sind. Nachdem die libanesische Armee zwei Gefolgsleute al-Assirs festgenommen hatte, lieferten sich die Unterstützer al-Assirs Schießereien mit der Armee - es wird von mindestens drei toten Soldaten und zahlreichen Verletzten berichtet. Die Situation ist undurchsichtig, die Menschen in Saida durchleben gegenwärtig chaotische Umstände.
Konfessionelle Spannungen schlagen in offene Konflikte um und die Angst vor neuerlicher Gewalt wächst. Ein libanesischer Christ bemerkt: "Wir befinden uns wieder am Rande des Bürgerkriegs, der dieses Mal vornehmlich zwischen Sunniten und Schiiten ausgetragen wird. Wir sind besorgte Zuschauer und Betroffene zugleich."