Syrien ist aus der Berichterstattung nicht mehr wegzudenken. Ständig sieht man Bilder leidender Zivilisten und zerstörter Städte. Für Unkundige erscheint dieser Konflikt verworren und kompliziert. Wie konnte es zu einer derartigen Eskalation der Gewalt kommen? Schließlich begann die Revolution mit Demonstrationen für mehr Freiheit und nicht mit einer bewaffneten Rebellion. Wer kämpft eigentlich gegen wen? Was für eine Rolle spielen al-Qaida oder die Hisbollah? Der folgende Artikel soll die wichtigsten Fragen so einfach wie möglich und umfassend wie nötig beantworten. Er richtet sich an ein Publikum, für das die Thematik noch relativ neu ist.
Gastbeitrag von Fabian Schmidmeier im Rahmen von "Studierende schreiben für Alsharq".
Inhalt
1. Wie alles begann
2. Proteste für ein demokratisches Syrien und den Sturz des Regimes
3. Die Gründung der Freien Syrischen Armee
4. Zwischenfrage: Warum spielt die Religion bei dem Konflikt eine so große Rolle?
5. Zwischenfrage: Wer kämpft gegen wen?
6. Erstes Auftreten sunnitischer Islamisten
7. Menschrechtsverletzungen und Übergriffe auf die Zivilbevölkerung
8. Warum konnten die sunnitischen Islamisten so stark werden?
9. Der Sturm der Freien Syrischen Armee auf Aleppo: Mit dem Islam gegen Assad
10. Al-Qaida in Syrien: Die Kämpfer von Jabhat an-Nusrah
11. Interessen der Staaten Iran, USA, Russland und Israel
12. Sunniten gegen Schiiten: Der Eintritt von Hisbollah und schiitischen Milizen in den Krieg
1. Wie alles begann
Die Selbstverbrennung von Muhammad Buazizi in Tunesien wird als Schlüsselimpuls für den Arabischen Frühling betrachtet. In vielen Ländern der arabischen Welt demonstriertenfortan Menschen für mehr Freiheit, Gerechtigkeit und bessere Lebensbedingungen. So auch in Syrien. Als Jugendliche aus der südsyrischen Stadt Daraa Parolen des Arabischen Frühlings an Wände sprühten, reagierten die syrischen Sicherheitskräftebrutal. 15 Kinder der Familie al-Abazeed wurden festgenommen. Das älteste Kind war 15 Jahre alt, das jüngste neun. Daraufhin gingen Tausende auf die Straße, forderten die Freilassung der Kinder und ein Ende von Korruption und Willkür sowie politische Reformen – innerhalb des Systems.
Am 29. April 2011 wurde der 13-jährige Hamza al-Khatib auf einer Demonstration in Daraa festgenommen. Einige Tage später wurde den Eltern der Leichnahmübergeben. Er war mit glühenden Zigaretten und Elektroschocks traktiert und zu Tode gefoltert worden. Einige Knochen waren zerschmettert und sein Penis abgeschnitten. Die Bilder seiner Leiche führten zu massiven Protesten gegen die Brutalität der Sicherheitskräfte.[1] Viele Syrer forderten von Assad eine harteBestrafung der Peiniger. Doch Assad bezeichnete die Demonstrationen als ausländische Verschwörung und die Opposition als Terroristen, die al-Qaida nahe stünden.[2] Ab diesem Punkt wandelten sich die Demonstrationen zu Massenkundgebungen, bei denen der Sturz des Präsidenten Baschar al-Assad gefordert wurde. Mit Hilfe von sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter konnte eine große Anzahl an Menschen mobilisiert werden. Die Facebookseite Wir alle sind Hamza al-Khatib wies binnen kürzester Zeit über 100.000 Mitglieder auf.[3]
2. Proteste für ein demokratisches Syrien und den Sturz des Regimes
Zahlreiche Aktivisten veröffentlichten auf Youtube-Kanälen Videos von den Großdemonstrationen. Wie in Ägypten und Tunesien lautete eine der Hauptparolen: „Das Volk will den Sturz des Regimes“.[4]Während das Regime weiterhin davon sprach, sunnitische Extremisten wollten die Schiiten und Alawiten (religiöse Gruppe, der Baschar al-Assad angehört) vertreiben oder töten, demonstrierten Syrer aller Konfessionen und Schichten gegen das Regime. Sie forderten Freiheit und die Einführung der Demokratie. Fahnen von Islamisten waren zum damaligen Zeitpunkt nur selten zu sehen.
Der aus Homs stammende Torwart der syrischen Fußball-Nationalmannschaft, Abd al-Basit Sarut, avancierte zum Gesicht der Revolution.[5] Seine Lieder, wie zum Beispiel “Jannah Jannah” (arab. Paradies, Paradies), wurden zu Hymnen der Revolution. Auch die alawitische Schauspielerin Fadwa Suleiman wurde zur Symbolfigur der Opposition.[6] Den Sänger Ibrahim al-Qashoush aus Hama taufte man „Nachtigall der Revolution“. Mit dem Lied „Yallah irhal ya Baschar“ (Los, hau ab oh Baschar) zog er den Zorn des Regimes auf sich.[7] Am 4. Juli 2011 fand man al-Qashoush mit durchgeschnittener Kehle in einem Fluss.[8] Die regimetreuen Schabiha-Milizen (arab. für Geister) und die syrische Armee gingen brutal gegen die Proteste vor. Hunderte wurden erschossen und verletzt. Verschleppte ließ man zusammenschlagen und foltern.[9]
Die Organisatoren der Demonstrationen nutzten, wie in den anderen arabischen Staaten, vermehrt die sozialen Netzwerke, um ihre Botschaft auch über die Grenzen Syriens hinaus zu tragen. Zudem gab es Live-Schaltungen des Fernsehsenders al-Jazeera zu Demonstrationen.[10]
3. Die Gründung der Freien Syrischen Armee
Eine Vielzahl von Soldaten wurde nach eigenen Angaben dazu gezwungen, auf friedliche Demonstranten zu schießen. Von Anhängern des Regimes wird dies als ausländische Propaganda bezeichnet. Die Brutalität des Regimes hat eine zweifellos lange Tradition. Bereits Baschar al-Assads Vater, Hafiz al-Assad, ließ im Jahr 1982 die Stadt Hama nach einer Rebellion in Schutt und Asche legen, im Zuge dessen bis zu 30.000 Menschen getötet wurden.[11]
Offiziere, die sich dem Vorgehen der regimetreuen Kräfte entgegenstellten, riefen zunächst die Bewegung Freier Offiziere ins Leben. Wenig später gründeten sieben Offiziere, unter Leitung von Riad al-Asaad, Oberst der Luftwaffe, die Freie Syrische Armee (arab. al-Dschaisch as-Suri al-Hurr). Ihr schlossen sich hunderte Deserteure an.[12] Sie wollten Demonstrationen von Regimegegnern gegen die Milizen von Assad schützen und diesen stürzen. Das Regime ließ die Familienmitglieder vieler Angehöriger der Freien Syrischen Armee, so auch von Riad al-Asaad, in ihren Häusern ermorden.[13]
Unterdessen nahm die Intensität der Kämpfe rapide zu. Stadtviertel, in denen die Opposition die Kontrolle übernommen hatte, wurden von der Luftwaffe Assads bombardiert. Hunderte Menschen wurden getötet und Tausende verletzt. Daraufhin forderten syrische Oppositionelle eine Intervention des Westens. Sie hofften auf eine ähnliche Entwicklung wie in Libyen. Doch die europäischen Staaten und die USA waren und sind nach wie vor - insbesondere aufgrund der traditionellen Unterstützung Russlands für das Assad-Regime - unentschlossen, wie man auf die Geschehnisse in Syrien reagieren sollte. Dadurch fühlten sich viele Syrer vom Westen im Stich gelassen. Eine erste Radikalisierung trat ein.
4. Zwischenfrage: Warum spielt die Religion bei dem Konflikt eine so große Rolle?
Präsident Baschar al-Assad gehört der Glaubensgemeinschaft der Alawiten an, einer Untergruppe im schiitischen Islam. Die Alawiten leben vor allem in den Bergen nahe des Mittelmeeres. Um sich abzusichern, besetzte das Regime von Assad wichtige Positionen in Militär, Politik und zum Teil in der Wirtschaft mit alawitischen Familienmitgliedern. Alawiten machen lediglich zwölf Prozent der Bevölkerung aus, während die sunnitischen Muslime etwa 71 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen, jedoch weniger stark in der militärischen und politischen Elite vertreten sind. Dies ist ein Grund, warum die Freie Syrische Armee weitgehend sunnitisch geprägt ist. Dazu kommt, dass die Alawiten manchen Muslimen als Häretiker gelten. Vielen Alawiten dagegen gilt Baschar al-Assad als Schutzgarant vor der sunnitischen Mehrheit. Hier liegt die Grundlage für die Behauptung eines Glaubenskriegs in Syrien.
Etwa acht Prozent der Bevölkerung sind Christen. Sie sind in Sachen Proteste und Freie Syrische Armee gespalten: Während viele in Assad einen Garanten für Gleichberechtigung, Schutz und Glaubensfreiheit der Minderheiten sehen, gibt es auch christliche Rebelleneinheiten in der Freien Syrischen Armee.
Ähnlich ist es bei den Drusen und nicht-alawitischen Schiiten, die vier bzw. zwei Prozent der Bevölkerung ausmachen. Die islamische Republik Iran gilt als Schutzmacht der Schiiten in der Region und der Iran gehört daher zu den Hauptverbündeten von Assad. Gemeinsam mit der schiitisch-islamistischen Hisbollah bilden sie die „Schiitische Achse“.[14]
Radikale Sunniten, wie etwa die Salafisten, sehen alle Schiiten als Abtrünnige und Ungläubige, so auch das Regime von Assad. Es muss nach ihrem Verständnis durch ein rechtgläubiges System ersetzt werden.[15]
Die Kurden versuchen sich in ihren Gebieten weitgehend selbst zu verwalten. Auch sie sind gespalten, was die Unterstützung oder Bekämpfung der Rebellion angeht.
5. Wer kämpft gegen wen?
Zum Verständnis der folgenden Punkte in diesem Artikel eine grobe Auflistung der Kriegsparteien:
Für Assad
- syrische Armee (konfessionell gemischt),
- Schabiha-Milizen(vor allem Alawiten),
- schiitische Milizen,z.B. al-Fadl al-Abbas-Brigade,
- irakische Milizen (der Mahdi-Armeenahe stehend),
- Hisbollah (Schiiten aus dem Libanon),
- iranische Revolutionsgarden,
- sowie palästinensische, christliche, kurdische und andere Minderheits-Milizen.
Gegen Assad
- Freie Syrische Armee, z.B. al-Farouq-Brigaden, Einheitsbrigade,
- sunnitische Milizen
- al-Qaida --> Sitzungsrat der Kämpfer des Heiligen Krieges, Unterstützungsfront für die Bevölkerung Syriens (arab. Jabhat an-Nusrah),
- Salafisten, z.B. Bewegung der Freien Männer von Groß-Syrien, Brigaden des Islam,
- sowie palästinensische, christliche, kurdische und andere Minderheits-Milizen; vereinzelt alawitische Kämpfer.
Auf dieser Karte der BBC ist die aktuelle geografische Gefechtslage gut nachvollziehbar.
6. Erstes Auftreten sunnitischer Islamisten
Vor dem Hintergrund der weit verbreiteten Überzeugung, dass der Westen die Syrer ihrem eigenen Schicksal überlassen würde, versuchten sunnitisch-islamistische Gruppierungen Fuß zu fassen. Zunächst traten innerhalb der Freien Syrischen Armee islamisch geprägte Verbände auf. Zu ihnen zählen zum Beispiel die al-Farouq-Brigaden (arab. Kata’ib al-Farouq) aus Homs, benannt nach dem zweiten Kalifen Omar ibn al-Khattab al-Farouq. Die nicht zuletzt von reichen Arabern aus den Golfstaaten geförderten Farouq-Brigaden gehören zu den größten Rebellenverbänden. Kata’ib al-Farouq umfasst mehrere Tausend Kämpfer.
Außerdem begannen salafistische Jihadisten außerhalb der Freien Syrischen Armee gegen das Regime zu kämpfen. Die größte Gruppe trug den Namen Brigaden der Freien Männer von Groß-Syrien (arab. Kata’ib Ahrar asch-Scham). Zunächst verübten die Einheiten dieser Gruppierung fast ausschließlich koordinierte Sprengstoffanschläge auf Fahrzeuge der Schabiha-Milizen und auf Checkpoints der syrischen Armee. Ihre Militäraktionen stellten die Kata’ib Ahrar asch-Scham ins Internet, oft mit Jihad-Musik im Hintergrund.
7. Menschenrechtsverletzungen und Übergriffe auf die Zivilbevölkerung
Obwohl bis zum Ende des Jahres 2011eine Radikalisierunginnerhalb der heterogenen Oppositionsbewegung zu erkennen war, waren die Demonstrationen wenig islamistisch geprägt. Auch die Freie Syrische Armee kämpfte explizit für ein demokratisches Syrien und die Errichtung eines zivilen, säkularen Staates.
Die heftigen Bombardierungen ganzer Stadtviertel führten zu einer enormen Anzahl an Deserteuren, die sich der Freien Syrischen Armee anschlossen. Im Februar 2012 mussten sich die Rebellen nach heftigen Kämpfen aus dem Viertel Baba Amr in Homs zurückziehen. Der britische Journalist Paul Conroy verglich die Bombardierungen mit der Schlacht um Grozny. Baba Amr war weitgehend zerstört, hunderte Kämpfer der Freien Syrischen Armee kamen ums Leben.
In der Stadt al-Houla kam es zur Tötung von Zivilisten, für die sich beide Seiten gegenseitig verantwortlich machten. Daneben werden auch der Rebellenseite massive Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. So sollen Rebellen gefangene Soldaten gefoltert und hingerichtet haben.[18] Für Entsetzen sorgte ein Video der al-Farouq-Brigaden, auf dem der Kommandeur Abu Sakar angeblich das Herz eines getöteten Soldaten isst.[19]
Im Laufe der Kämpfe wurde deutlich, dass die Rebellen alleine die militärisch überlegene Armee von Baschar al-Assad nicht bezwingen können. Die Freie Syrische Armee fordert nach wie vor amerikanische und europäische Hilfe für den Kampf gegen Assad - bis zum jetzigen Zeitpunkt erfolglos. Die Rebellen wiesen die USA darauf hin, dass ihnen nichts anderes übrig bleibe, als ausländische Kämpfer ins Land zu holen.
8. Warum konnten die sunnitischen Islamisten so stark werden?
Ab 2012 konnte man auf den Demonstrationen gegen das Regime immer öfter schwarze Fahnen mit dem muslimischen Glaubensbekenntnis sehen. Diese Fahnen verwenden vor allem Salafisten und die Partei der Befreiung (arab. Hizbu t-Tahrir). Jene Partei strebt die Wiedererrichtung des islamischen Kalifats an.[20] Hatte man anfangs noch voller Hoffnung auf die europäischen Staaten geblickt, die der Revolutionsbewegung in Libyen zum Sieg über Diktator Muammar al-Gaddafi geholfen hatten, so wich diese zunehmend der Verbitterung über die Tatenlosigkeit der westlichen Mächte. Mit der Zeit setzte sich die Wahrnehmung durch, dass die Welt die Menschen in Syrien im Stich gelassen hatte. Immer mehr Rebellen gaben sich fortan betont muslimisch, was man auch an den Namen der neueren Rebelleneinheiten erkennen konnte. Zu ihnen gehören beispielsweise die Löwen Gottes (arab. Usud Ullah) oder die Brigaden des Islam (arab. Alwiyyatu l-Islam).
Das Erstarken des Islamismus innerhalb der Rebellen ist eine direkte Folge der Tatenlosigkeit der Weltgemeinschaft; während es keine größere westliche Hilfsorganisation in Syrien gibt, sorgen vor allem die Salafisten für eine Versorgung der Zivilbevölkerung mit Lebensmitteln.[21]
9. Der Sturm der Freien Syrischen Armee auf Aleppo: Mit dem Islam gegen Assad
Ende Juli 2012 erklärten Rebelleneinheiten aus dem Umland von Aleppo ihren Zusammenschluss zur Einheitsbrigade (arab. Liwa’u t-Tawhid).[22] Aleppo war bis dahin von schweren Kämpfen verschont geblieben. Doch als Wirtschaftsmetropole und Motor des Landes war die Stadt für beide Seiten unverzichtbar. Ein Sieg in Aleppo wäre ein richtungsweisender Sieg für ganz Syrien, so glaubten alle Beteiligten. Sowohl die Rebellen, als auch Assad bezeichneten die Schlacht um Aleppo als „Mutter aller Schlachten“.
Die Einheitsbrigade positionierte sich von Beginn an als islamische Befreiungsfront für Syrien. Trotzdem wies man darauf hin, dass das Ziel die Errichtung eines zivilen Staates sei und keine religiöse Minderheit Repressalien zu befürchten hätte. Gegenüber der New York Times sagte der oberste Befehlshaber der Einheitsbrigade, Hajji Marea: „Wir sind religiös, wir sind Muslime. Aber wir sind keine Extremisten“. Auch die Einheitsbrigade hatte noch Hoffnung, dass die US-Führung ihre Strategie im Bezug auf Syrien ändern würde. Stattdessen sprach Barack Obama vom Einsatz von Chemiewaffen als „rote Linie“. Die Führung der Freien Syrischen Armee in Aleppo warnte, „die ganze Welt hat uns im Stich gelassen. Sollte die Revolution noch ein Jahr dauern, dann denkt das ganze syrische Volk wie al-Qaida“.[23]
10. Al-Qaida in Syrien: Die Kämpfer von Jabhat an-Nusrah
Im Februar 2012 trat ein neuer Akteur im syrischen Bürgerkrieg auf den Plan. Die Gespenster, die Assad zu Beginn der Demonstrationen gesehen hatte, wurden nun Wirklichkeit. Der Chef der salafistischen al-Qaida, Ayman az-Zawahiri, rief Muslime in aller Welt dazu auf, im Jihad gegen Baschar al-Assad zu kämpfen.[24] Fortan strömten Kämpfer aus dem Irak ins benachbarte Syrien. Zunächst machte die al-Qaida-Gruppe Rat der Kämpfer des Heiligen Krieges (arab. Madschlis Schura al-Mudschahedin) auf sich aufmerksam, als sie am 20. Juli 2012 den Grenzübergang Bab al-Hawa zur Türkei einnahm.[25]
Doch mit dem Beginn des Sturmes auf Aleppo betrat eine besonders schlagkräftige Truppe den Kriegsschauplatz: die Unterstützungsfront für die Bevölkerung von Syrien (arab. al-Dschabhatu n-Nusratu li-Ahli sch-Scham), die man in den Medien meistens als Nusrah-Front oder Jabhat an-Nusrah bezeichnet. Sie wurde zu einer Art Eliteeinheit der Freien Syrischen Armee, ohne jedoch zu ihrer Organisationsstruktur zu gehören. Als die USA die Organisation als terroristische Vereinigung einstufen ließen, entlud sich der Zorn eines beträchtlichen Teils der syrischen Bevölkerung in Demonstrationen gegen die USA.[27]
Viele Syrer sahen es als Affront, dass der Westen selbst nicht bereit war zu helfen, aber diejenigen als Terroristen bezeichnete, die diese Aufgabe übernahmen. Aufstandsbewegung und Zivilbevölkerung radikalisierten sich zunehmend. Sollten die USA jetzt noch verspätet eingreifen wollen, würden sich wahrscheinlich große Teile der Kämpfer gegen die USA wenden und eine Unterstützung nicht mehr akzeptieren.
11. Die Interessen der Staaten Iran, USA, Russland und Israel
Der Iran hatte mit den Regierungen des Iraks und Syriens ein Großprojekt geplant. Eine Pipeline sollte die iranischen Ölfelder mit der syrischen Mittelmeerstadt Tartus verbinden. Syrien ist seit denwirtschaftlichen Sanktionen durch die USA und die EU für den Iran von enormer wirtschaftlicher Bedeutung. Eine sunnitische Regierung könnte diese wirtschaftlichen Beziehungen schwer beeinträchtigen oder gar beenden. Daher setzt Teheran auf das Regime von Assad.[31]
Russland unterstützt seit Jahrzehnten das Regime in Damaskus und in Tartus liegt der einzige russische Flottenstützpunkt im Mittelmeer. Sollte es in Syrien einen Regimewechsel geben, wäre dieser in Gefahr. Russland will um keinen Preis darauf verzichten und unterstützt daher auch als Waffenlieferant das Assad-Regime.
Die USA unterstützen grundsätzlich die Freie Syrische Armee. Größere Waffenlieferungen oder ein direktes militärisches Eingreifen lehnen sie aber ab. Oberste Priorität für die USA hat die Sicherheit des Staates Israel. In Israel gibt es Befürchtungen, dass sunnitische Islamisten die Waffen gegen den jüdischen Staat richten könnten, sobald Assad fällt.[32]
12. Sunniten gegen Schiiten: Der Eintritt von Hisbollah und schiitischen Milizen in den Krieg
Schon seit Längerem werfen syrische Oppositionelle und Kämpfer der Freien Syrischen Armee der Hisbollah vor, in Syrien an der Seite von Assad zu kämpfen. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah verneinte dies lange und betonte, dass er ein Ende des Konfliktes durch Verhandlungen befürworte. Am 25. Mai 2013 verkündetet Nasrallah, dass die Hisbollah das Regime bis zum Ende militärisch unterstützen werde. Schon seit Längerem befinden sich Kämpfer der schiitischen Miliz in Damaskus. Hier befindet sich die schiitische Sayyida-Zainab-Moschee,. Der Schrein ist ein wichtiges Pilgerziel. Die Hisbollah soll daher den Schrein vor sunnitischen Milizen schützen.[33]
Die schiitische Bevölkerung Syriens blieb von der Radikalisierung nicht verschont. Auch hier gründeten sich, mit Hilfe des Iran, Milizen. Die größte von ihnen ist die Abu al-Fadl al-Abbas Brigade (arab. Liwa’u Abi l-Fadli l-Abbas).[34] Während die sunnitischen Rebelleneinheiten „Allahu Akbar“ als ihren Schlachtruf benutzen, erkennt man schiitische Kämpfer an dem Ausruf „Ya Ali“. Ali ist für die Schiiten der einzig rechtmäßige Nachfolger von Muhammad, für Sunniten ein Affront.[35]
Im Mai 2013 setzte die syrische Armee gemeinsam mit der Hisbollah zum Sturm auf die Stadt al-Qusayr an.[36] Das Regime kämpfte dabei einen Korridor frei, der die Hauptstadt Damaskus mit den Alawitenbergen an der Küste verbinden soll. Mit der Offensive von Qusayr trat die Hisbollah auch offiziell in den Krieg ein. Die schiitischen Islamisten sind für Assads Truppen deshalb von so enormer Bedeutung, da sie über Erfahrung mit Guerillataktiken verfügen, die sie 2006 erfolgreich im Krieg gegen Israel eingesetzt hatten. Da die Freie Syrische Armee einen Guerillakrieg gegen das Regime kämpft, stellt die neue Strategie des Regimes, selbst einen Guerillakrieg mit Milizen zu führen, die Rebellen vor große Herausforderungen.[37]
In al-Qusayr wurden heftige Gefechte geführt. Weite Teile der Stadt liegen in Schutt und Asche und Aktivisten berichten, dass Hisbollah und Armee die Stadt mit Raketen und Mörsergranaten beschossen. Mit dem Eintritt der Hisbollah und der offiziellen Gründung schiitischer Milizen gibt Baschar al-Assad den Anspruch auf, ein säkulares Syrien zu führen. Damit gleitet die Revolution, die als Proteste gegen ein grausames und unterdrückerisches Regime begann, vollends in einen Glaubenskrieg zwischen Sunniten und Schiiten ab.
Unterdessen weitet sich der Konflikt auch auf den Libanon aus. In der Hafenstadt Tripoli kommt es immer wieder zu heftigen Gefechten zwischen sunnitischen und alawitischen Milizen. Die Folgen aber könnten noch weitreichender sein. Die Welt befürchtet einen regionalen Flächenbrand in Form eines Krieges zwischen schiitischen und sunnitischen Mächten um die Vorherrschaft im Nahen Osten.
Dieser Artikel ist eine leicht gekürzte Version von Fabian Schmidmeiers ausführlicher Analyse auf seinem lesenswerten Blog Der Orient.
Quellen:
[1] Vgl. Frefel, Astrin: „Wir sind alle Hamza al Khatib“, in:http://www.tagesspiegel.de/politik/wir-sind-alle-hamza-al-khatib/4250920.html, abgerufen am 25. Mai 2013.
[2] Vgl. dpa/AFP Meldung in: Syriens Präsident Assad beschimpft Demonstranten, in: http://www.t-online.de/nachrichten/specials/id_47322190/syriens-praesident-assad-beschimpft-demonstranten.html, abgerufen am 25. Mai 2013.
[3] Vgl. Frefel, Astrin: „Wir sind alle Hamza al Khatib“, in:http://www.tagesspiegel.de/politik/wir-sind-alle-hamza-al-khatib/4250920.html, abgerufen am 25. Mai 2013.
[4] Vgl. Aktivistenvideo: Hama Revolution 1 07 2011, in:http://www.youtube.com/watch?v=2SrVeAR9wNQ, abgerufen am 25. Mai 2013.
[5] Vgl. Zekri, Sonja: Die Angst des Präsidenten vor dem Torwart, in:http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/Die-Angst-des-Praesidenten-vor-dem-Torwart/story/12864062?dossier_id=852, abgerufen am 25. Mai 2013.
[6] Vgl. Ebertz, Magdalena: Täuschungsversuch mit kleinen Freiheiten. Syrische Schauspielerin Fadwa Suleiman, in:http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/syrische-schauspielerin-fadwa-suleiman-taeuschungsversuch-mit-kleinen-freiheiten-11880172.html, abgerufen am 25. Mai 2013.
[7] Vgl. Aktivistenvideo mit Revolutionslied „Yallah Irhal Ya Baschar“ von Ibrahim al-Qashoush in: http://www.youtube.com/watch?v=HNauJ8P1fDY, abgerufen am 25. Mai 2013.
[8] Vgl. Aktivistenvideo: وثائقي عن الشهيد: إبراهيم قاشوش, in: http://www.youtube.com/watch?v=KRK8bkpcV4E, abgerufen am 25. Mai 2013.
[9] Vgl. Schweizer Radio und Fernsehen: „Shabiha-Milizen foltern und töten für das Assad-Regime“, in:http://www.tagesschau.sf.tv/Nachrichten/Archiv/2012/06/01/International/Shabiha-Milizen-foltern-und-toeten-fuer-das-Assad-Regime, abgerufen am 25. Mai 2013.
[10] Vgl. Arte-Dokumentation „Syrien Undercover. Im Herzen der Rebellion“, in:http://www.youtube.com/watch?v=_6vGbiAQeLI, abgerufen am 26. Mai 2013.
[11] Vgl. Helberg, Kristin: Die Toten von Hama, in:http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/1667789/, abgerufen am 25. Mai 2013.
[12] Vgl. Video zur Erklärung zur Gründung der Freien Syrischen Armee durch Riad al-Asaad, in: http://www.youtube.com/watch?v=Rk7Ze5jVCj4, abgerufen am 26. Mai 2013.
[13] Vgl. The Indipendent: Families of Syrian rebels killed in their homes, says UN, in: http://www.independent.co.uk/news/world/middle-east/families-of-syrian-rebels-killed-in-their-homes-says-un-7786147.html, abgerufen am 26. Mai 2013.
[14] Vgl. Karte zu Verbreitungsgebieten von religiösen und konfessionellen Gruppen in Syrien der Columbia University, in: http://1.bp.blogspot.com/-t8mZF8kQ80I/UJhKauXRRiI/AAAAAAAAOcA/Aci56j17-xg/s1600/syrien-religionen_konfessionen.png, abgerufen am 26. Mai 2013.
[15] Vgl. Steinberg, Guido: Sunna gegen Schia. Der Arabische Frühling schafft neue Fronten im Konflikt zwischen den islamischen Konfessionen, in:http://www.monde-diplomatique.de/pm/2012/05/11.mondeText.artikel,a0037.idx,5, abgerufen am 26. Mai 2013.
[18] Vgl. Zeit Online: Bürgerkrieg: UN verdächtigen syrische Opposition der Kriegsverbrechen, in: http://www.zeit.de/politik/ausland/2012-11/syrien-hinrichtung-soldaten, abgerufen am 26. Mai 2013.
[19] Vgl. Salloum, Raniah: Syrisches Horror-Video. Die Hölle auf Youtube, in:http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-rebell-isst-herz-eines-assad-soldats-a-899439.html, abgerufen am 26. Mai 2013.
[20] Vgl. Aktivistenvideo der Grünen Brigade in Baba Amr, in:http://www.youtube.com/watch?v=HV3RpZ14cDY, abgerufen am 26. Mai 2013.
[21] Vgl. Jörg Armbruster bei Anne Will, in: http://www.youtube.com/watch?v=552ER4TbOR0, abgerufen am 26. Mai 2013.
[22] Vgl. Aktivisten Video der Gründung der Einheitsbrigade, in:http://www.youtube.com/watch?v=jWvsutODm-0&feature=g-all-u, abgerufen am 26. Mai 2013.
[23] Vgl. New York Times – Videobeitrag: Leading the Rebel Fight. NYT Profile of Hajji Marea, in: http://www.youtube.com/watch?v=EvVbr3DZtrs&feature=youtu.be&t, abgerufen am 13. Mai 2013.
[24] Vgl. Burke, Jason: Al-Qaida leader Zawahiri urges Muslim support for Syrian uprising, in: http://www.guardian.co.uk/world/2012/feb/12/alqaida-zawahiri-support-syrian-uprising, abgerufen am 26. Mai 2013.
[25] Vgl. Aktivistenvideo der Einnahme des Grenzüberganges Bab al-Hawa durch al-Qaida-Kämpfer, in: http://www.youtube.com/watch?v=CheRwZB_K1Q, abgerufen am 26. Mai 2013.
[26] Vgl. Durm, Martin: Die Ignoranz des Westens – der Triumph der Islamisten, in: http://www.tagesschau.de/ausland/aleppo274.html, abgerufen am 26. Mai 2013.
[27] Vgl. MemriTvVideos: Syrian Demonstration supporting Jabhat Al-Nusra: “Obama, There is no Terrorism in Syria”, in: http://www.youtube.com/watch?v=e66aHk-YeUo, abgerufen am 26. Mai 2013.
[28] Vgl. Steinbach, Peter: Kampf gegen Assad. Wie Islamisten den syrischen Aufstand kapern, in: http://www.welt.de/politik/ausland/article114012435/Wie-Islamisten-den-syrischen-Aufstand-kapern.html, abgerufen am 13. Mai 2013.
[29] Vgl. Zelin Y. Aaron: The Syrian Islamic Front: A New Extremist Force, in:http://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/view/the-syrian-islamic-front-a-new-extremist-force, abgerufen am 13. Mai 2013.
[30] Vgl. Youtube-Kanal der Brigaden des Islam, in:http://www.youtube.com/user/IslamBrigade, abgerufen am 26. Mai 2013.
[31] Vgl. eigene wissenschaftliche Arbeit, Fabian Schmidmeier: Revolutionäre Militärinstitutionen in der Islamischen Republik Iran. Entstehung – Entwicklung – Aktionsfelder, in: http://derorient.files.wordpress.com/2013/03/fabian-schmidmeier-revolutionc3a4re-militc3a4rinstitutionen-in-der-islamischen-republikt-iran-pdf.pdf, S. 15.
[32] Vgl. The Jerusalem Post: Report: Israel prefers Assad survive Syria conflict, in: http://www.jpost.com/Middle-East/Report-Israel-prefers-Assad-survive-Syria-conflict-313528, abgerufen am 26. Mai 2013.
[33] Vgl. Karouny, Miriam: Shi’ite fighters rally to defend Damascus Shrine, in:http://www.reuters.com/article/2013/03/03/us-syria-crisis-shiites-idUSBRE92202X20130303, abgerufen am 26. Mai 2013.
[34] Vgl. Russia Today: Syria: Shia fighters unite to defend holy shrine, in:https://www.youtube.com/watch?v=bF9a-TwygwI, abgerufen am 26. Mai 2013.
[35] Vgl. Propagandavideo der Abu al-Fadl al-Abbas-Brigade: LiveLeakcom – Abu l-Fadl brigade shia group fighting in Syria, in:http://www.youtube.com/watch?v=Hii1pfg93uU, abgerufen am 26. Mai 2013.
[36] Vgl. Video der Syrischen Arabischen Armee und der Hisbollah vom Angriff auf al-Qusayr, in: https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=s2-o5q618Sg, abgerufen am 26. Mai 2013.
[37] Vgl. Aktivistenvideo von Kämpfen zwischen schiitischen Milizen und der Freien Syrischen Armee/Nusrah-Front, in: https://www.youtube.com/watch?v=eSoDYErb0lI, abgerufen am 26. Mai 2013.