02.04.2013
Militante Islamisten in Nordafrika: Von Afghanistan über Algerien nach Mali
Algerischer Islamist Mokhtar Belmokhtar (Youtube-Screenshot)
Algerischer Islamist Mokhtar Belmokhtar (Youtube-Screenshot)

Sind die Anführer der in Mali operierenden Islamisten in den 1980er Jahren von der CIA in Afghanistan ausgebildet worden? Mehrere Recherchen von verschiedenen Autoren und Journalisten bestätigen nicht nur das. Viele der Islamisten, die 2012 ganze Städte in Mali einnahmen, kommen aus Algerien und kämpften dort in den 1990er Jahren im Algerischen Bürgerkrieg. Seit einigen Jahren haben sie ihr Kampfgebiet nach Mali verlegt. Ein Gastbeitrag von Josephine Bergmeier.

In den 1980er Jahren reisten viele Islamisten aus arabischen Ländern nach Afghanistan, um auf Seiten der Mujahedin gegen die sowjetische Besatzungsarmee zu kämpfen. Sie wurden mit finanzieller Unterstützung des CIA militärisch ausgebildet und bewaffnet. Die arabischen Muslime in Afghanistan sahen die Möglichkeit gegeben, einen islamischen Staat auszurufen. In ihren arabischen Heimatländern Algerien oder Ägypten hatten sich über mehrere Jahrzehnte hinweg säkular-nationalistische Regime herausgebildet, die relativ stabil waren und kein Interesse daran hatten, den Islamisten an die Macht zu verhelfen. Zwei dieser Islamisten waren der Algerier Abu Zeid und sein Landsmann Belmokhtar. Sie wurden Anfang dieses Jahres von der Armee des Tschad im Norden Malis getötet, wie die französische Armee später bestätigte. Beide wurden nicht nur in Afghanistan ausgebildet, sie konnten auch jahrelang ihr erworbenes Wissen im Algerischen Bürgerkrieg der 1990er Jahre anwenden.

Der nordafrikanische Staat stürzte 1991 in eine schwere Krise als sich bei den ersten freien Wahlen ein deutlicher Gewinn der Islamischen Heilsfront, einer politischen islamistischen Bewegung, abzeichnete. Algerien ist ein Rentierstaat, der mehr als 90% seiner Einnahmen aus Öl- und Gasquellen bezieht. 1962 entstand nach dem Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich auf diese Weise ein klientelistisches System, das für viele Staaten des Nahen Ostens typisch ist. Nach Transparency International ist Algerien eines der korruptesten Länder Nordafrikas. Aber im Gegensatz zu Ägypten, dem Irak oder Libyen entschloss sich die damalige Führung unter Präsident Chadli Bendjedid nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion,  das politische System zu liberalisieren und freie Wahlen abzuhalten. Wie in vielen anderen Staaten genossen die Islamisten großen Rückhalt in der Bevölkerung, die zum großen Teil vom Reichtum, der durch die Öl- und Gaseinnahmen in die Staatskassen floss, ausgeschlossen blieb.

Der Westen duldete die arabischen Diktatoren

Der Bürgerkrieg, der auf die Annullierung der Wahlen vom Dezember 1991 und den Militärputsch Anfang 1992 folgte, war den anderen nahöstlichen Diktatoren eine Warnung. Drohte ihnen das gleiche, wenn sie ebenfalls freie Wahlen zuließen? Selbst die politische Linke der einstigen Kolonialmacht Frankreich stand auf Seiten der Putschisten und sprach sich dafür aus, den Wahlsieg der Islamisten nicht anzuerkennen, da sie eine rückwärtsgewandte und konservative Politik fürchteten und Angst um die wirtschaftlichen Interessen Frankreichs hatten. Mit dem Iran war Ende der 1970er Jahre bereits ein Staat mit großen Ölvorkommen von Islamisten übernommen worden. Auch wenn der schiitische Iran in vielerlei Hinsicht ein Sonderfall war, galt es aus sich der USA und Europas eine ähnliche Entwicklung in der arabischen Welt zu verhindern. Der Westen duldete daher quer über alle Parteien hinweg Diktaturen in Algerien, Tunesien und Libyen.

Algerien und Afghanistan waren in den 1990er Jahren die Staaten, in denen ausgebildete Islamisten ihr Erlerntes im Kampf gegen den Westen und das korrupte eigene politische Regime praktisch anwenden konnten und auch Erfolge erzielten. Beide Staaten konnten ihr Gewaltmonopol nicht umfassend durchsetzen und der Rückhalt in der Bevölkerung für die Aufständischen war beträchtlich. Erst nachdem mehr als hunderttausend Menschen bei Kämpfen, Anschlägen und unzähligen Massakern gegen die Zivilbevölkerung durch Armee und Islamisten ums Leben gekommen waren, blutete der Bürgerkrieg Ende der 1990er Jahre buchstäblich aus. Einen Teil der Islamisten integrierte der algerische Staat als geduldete Oppositionelle in das politische System.  Dies führte zu einer Stabilisierung des Landes und marginalisierte die kampfbereiten Aufständischen. Das Land kam etwas zur Ruhe.

Algerien hängt am Tropf der Rohstoffexporte

Die Terroristen wurden in den Süden des Landes verdrängt und kontrollieren bis heute die Bergregionen an der Grenze zu Mali. Dort erlangten sie Jahre später internationale Aufmerksamkeit: 2012 gelang es ihnen mit verschiedenen Tuareg-Milizen, Städte wie Timbuktu einzunehmen und mehr als die Hälfte des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen. Mitte Januar 2013 entschied sich die französische Regierung dazu, einzugreifen. Präsident Francois Hollande hatte bereits in den Monaten zuvor versucht, die USA und verschiedene Länder der EU zu einem militärischen Einschreiten zu überreden. Er blieb aber erfolglos. Also kamen die französischen Soldaten im Januar der Armee Malis zunächst alleine zu Hilfe. Es handelt sich um den größten militärischen Einsatz Frankreichs in Afrika seit dem Ende des Kolonialismus. Die Regierungen Malis und Algeriens unterstützen dabei die französischen Truppen.

Die Proteste in der arabischen Welt, die 2011 zunächst in Tunesien und Ägypten begannen, fanden auch in Algerien große Resonanz. Allerdings ist dieses Land an größere Streiks und Demonstrationen gewöhnt. Das Regime lässt bis heute die Proteste niederschlagen und geht meist lediglich auf materielle Forderungen ein. Dies ändert allerdings nichts daran, dass in Algerien die Arbeitslosigkeit immens hoch ist und das Land nicht in der Lage ist, außer durch den Export seiner Rohstoffe, Einnahmen zu erzielen. Die Industrie des Landes liegt seit Jahrzehnten weitgehend brach.

Parlamentswahlen als "Algerischer Frühling"

Im Mai 2012 hielt Algerien turnusgemäß Parlamentswahlen ab. Die Regierung selbst bezeichnete die Abstimmung als "Algerischen Frühling" - wollte sich also selbst als Motor für Reformen und Aufbruch stilisieren. Die Regierungspartei FLN, die das Land seit der Unabhängigkeit führt, ging als Gewinner hervor, holte jedoch weniger als 18 Prozent der Stimmen.Die Islamisten, die von 1999 bis 2012 an der Regierung beteiligt waren, genießen längst nicht mehr den Rückhalt, den sie in den 1990er Jahren hatten. Ihr Bündnis holte nur sechs Prozent der Stimmen. Sie boykottierten anschließend die Eröffnung des Parlaments und warfen der Regierung Wahlfälschung vor. Wahlbeobachter der EU lobten die Parlamentswahl als wichtigen Schritt im algerischen Reformprozess, kritisierten jedoch, dass ihnen der Einblick in die Wahlregister verwehrt blieb.

Anders als in Tunesien oder Ägypten gibt es in Algerien keine zentrale Hassfigur wie Ben Ali oder Mubarak, dies es gilt aus dem Land zu jagen. Das politische System besteht aus vielen Verstrickungen zwischen Militär, Politik und Ölförderung. Im Volk hat diese Herrschaftselite den Beinamen "Le Pouvoir" - "Die Macht".

Ähnlich wie in anderen islamischen Staaten gelang es auch den Islamisten in Algerien, ein informelles ökonomisches Netzwerk aufzubauen. Offiziell ist der Staat der größte Arbeitgeber des Landes. Durch die Privatisierungsmaßnahmen des IWF hat sich dieser aber in den letzten Jahren aus der Wirtschaft deutlich zurückgezogen. Dies öffnete die Tür für eine in Algerien allerdings eher schwach aufgestellte islamische Ökonomie und Mittelschicht.

Der militante Islamismus in Algerien verliert an Rückhalt

Algerien ist ebenfalls einer der wenigen arabischen Staaten, in denen regelmäßig Wahlen stattfinden, die im Vergleich zu anderen Ländern in der Region als relativ frei bezeichnet werden können. Oppositionsparteien sind zugelassen und werden mitunter sogar in die Regierung eingebunden, solange sie den Herrschaftsanspruch von FLN und Militär nicht herausfordern. Auch gingen die von 1999 bis 2012 an der Regierung beteiligten Islamisten der MSP einige Kompromisse mit ihrem Koalitionspartner ein. So haben sie zum Beispiel die Sprache der Berber als offizielle Amtssprache anerkannt. Anders als zum Beispiel die AKP in der Türkei vertritt die MSP aber auch radikalere Positionen und tritt für eine Islamisierung der algerischen Öffentlichkeit ein.

Der politische und der militärische Arm der Islamisten gehen seit Ende der 1990er Jahre getrennte Wege. Militante Gruppen, denen in den 1990er-Jahren eine eskalierende Rolle zukam, haben seitdem an Einfluss und Zuspruch verloren. Auch sind die skrupellosen Anschläge, die tausende zivile Todesopfer zur Folge hatten, in der Bevölkerung nicht vergessen. Es ist allerdings bis heute nicht klar, inwiefern der Staat die terroristischen Gruppen unterwanderte und diese Anschläge im Nachhinein den Islamisten vorwarf.

Bewahrheitet sich Gaddafis Prophezeiung?

Es bleibt die Frage, wer in Algerien die demokratischen Kräfte sind. 2011 gingen 200.000 Studierende in Algier auf die Straße und demonstrierten für mehr Demokratie und politische Teilhabe. Die in das politische System eingebundenen Islamisten haben jedenfalls nicht dazu beigetragen, das System zu öffnen. Vielmehr partizipierten sie selbst am klientelistischen Staatsapparat und verfestigten damit seine Strukturen. Es ist ebenfalls davon auszugehen, dass aufgrund der Geiselnahme auf dem Gasfeld im Süden Algeriens Anfang des Jahres und der Übernahme ganzer Städte durch Tuareg-Milizen und Islamisten in Mali die politische Elite keine Öffnung zulassen wird, solange sie davon ausgehen muss, gewaltsam gestürzt zu werden.

Viele Zeitungen zitierten in den vergangenen Wochen die Aussage des ehemaligen libyschen Staatschefs Gaddafi. Dieser behauptete, dass der Norden Afrikas zum neuen Pulverfass der Weltpolitik werden wird. Nach der Bombardierung Libyens unter der Führung der USA und Frankreichs sowie dem Einmarsch französischer Truppen in Mali stellt sich in der Tat die Frage, ob der Maghreb zum neuen Afghanistan wird. Allerdings bleiben die Proteste in der westlichen und der islamischen Welt weit hinter denen zurück, die der Krieg in Afghanistan auslöste. Offensichtlich wird das Eingreifen des Westens im Norden Afrikas sowohl von der Weltöffentlichkeit als auch einem Großteil der arabischen Staaten toleriert.

Bücher zum Thema:

  •  „Moderate Islamisten als Reformakteure“ von Muriel Asseburg, 2008, bpb-Verlag

Das Buch informiert über die Politik der verschiedenen islamischen und islamistischen Parteien Algeriens, Ägyptens und anderen arabischen oder islamischen Staaten.

  •  „Rethinking Islamist Politics“ von Salwa Islmail, 2006, I.B. Tauris-Verlag

Dieses Buch ist ähnlich aufgebaut wie das der Bundeszentrale für politische Bildung, konzentriert sich aber auf die wirtschaftlichen Interessen islamischer und islamistischer Parteien.

  •  „Guter Moslem, böser Moslem“ von Mahmood Mamdani, Nautilus-Verlag

Der Autor erklärt die widersprüchliche Politik der USA und der EU gegenüber den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens seit dem 2. Weltkrieg bis heute.

  •  „Die arabische Revolution“ von F. Nordhausen und T. Schmid, 2011, Ch. Links Verlag

Dieses Buch erschien direkt nach den Protesten in der arabischen Welt und fasst die aktuelle Lage der verschiedenen Länder bis 2011 zusammen.

  •  „Algerien – Frontstaat im globalen Krieg“ von Bernhard Schmid, 2004, Unrast-Verlag

Schmid gibt einen breiten historischen Überblick über die politischen Kräfte Algeriens seit der Unabhängigkeit 1962.

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