Eine neue Welle der Zusammenstöße in den besetzten Gebieten, dazu der anstehende Besuch Barack Obamas, der für Israels Standing in der internationalen Staatengemeinschaft richtungsweisend wird - und ausgerechnet jetzt stockt die Regierungsbildung nach den Knessetwahlen. Die Parteienlandschaft krankt an Machtspielchen und populistischer Themensetzung. Die Koalitionsverhandlungen zwischen Premierminister Benjamin Netanjahu (Likud Beitenu) und den beiden Polit-Shootingstars Yair Lapid (Yesch Atid) und Naftali Bennett (HaBayit HaYehudi) drohen an der Frage zu scheitern, ob die Parteien Schas und Vereinigtes Thora-Judentum (VTJ), welche die religiöse, ultraorthodoxe Bevölkerung vertreten, Teil der Regierung werden sollen.
Netanjahus Pläne durchkreuzt
Am Wochenende konnte Premier Benjamin Netanjahu kurz durchatmen, nachdem Staatspräsident Schimon Peres die Frist für die Regierungsbildung um zwei Wochen verlängert hatte. Netanjahus Partei Likud hatte bei den Parlamentswahlen unerwartet schlecht abgeschnitten - nun erhöht sich der Druck weiter. Netanjahus Plan, eine breite Koalition zu schmieden, in der säkulare Parteien des Zentrums (Yesh Atid, HaTnuah, ggf. HaAvoda und Kadima), die Verhandlungen mit der palästinensischen Führung grundsätzlich offen gegenüberstehen, mit religiösen Klientelparteien (Schas und VTJ) und rechts-nationalistische Parteien (Israel Beitenu und ggf. HaBayit HaYehudi) konkurrieren und der Likud sich als Vermittler und Bindeglied profilieren kann, ging nicht auf. Eine solche Regierung wäre angesichts gegenläufiger Interessen und Ideologien der beteiligten Parteien ohnehin kaum handlungsfähig gewesen.
Opposition gegen religiöse Parteien
Bisher stehen vor allem die beiden Emporkömmlinge der Knessetwahlen im Januar, Yair Lapid und Naftali Bennett, seines Zeichens ehemaliger Büroleiter Benjamin Netanjahus, einer Koalition im Weg. Lapid unterstrich am Wochenende erneut, dass seine Partei Yesh Atid unter keinen Umständen einer von ultraorthodoxen Parteien mitgetragenen Koalition beitreten werde. Fast zeitgleich berichtete Bennett über seine Facebook-Seite von einer Abmachung zwischen Yesh Atid und HaBayit HaYehudi, wonach die beiden Parteien sich nur gemeinsam an einer Regierung beteiligen würden. Ohne die 31 Sitze von Yesh Atid und HaBayit HaYehudi wäre Netanjahu nach jetzigem Stand nicht in der Lage, eine Regierung zu bilden, da die verbleibenden Koalitionspartner Likud Beitenu (31 Sitze), Schas (11), VTJ (7), HaTnuah (6) und gegebenenfalls Kadima (2) weniger als 60 Sitze vereinen und somit keine Mehrheit in der Knesset bilden. Alle anderen Parteiführungen haben bislang eine Beteiligung an einer Likud-geführten Regierung ausgeschlossen.
Absurder Schulterschluss?
Der Schulterschluss zwischen Yair Lapid und Naftali Bennett zeigt einmal mehr , wie in der israelischen Politik Inhalte in den Hintergrund von machtpolitischen Interessen treten. Während des Wahlkampfes hatte Lapid noch gegen staatliche Subventionen für SiedlerInnen im Westjordanland polemisiert, für die Israel zu Lasten der Mittelschicht „Geld aus dem Fenster“ werfe. Ebendiese SiedlerInnen bilden einen beträchtlichen Teil der Wählerschaft HaBayit HaYehudis, die sich dementsprechend für deren Belange einsetzt. Unter anderem fordert HaBayit HaYehudi die Annektierung der jüdischen Siedlungen im Westjordanland und weiterer Gebiete, die noch immer unter israelischer Kontrolle stehen. Im Gegensatz hierzu spricht sich Yair Lapid nicht nur generell für Friedensverhandlungen, sondern konkret für die Evakuierung einiger kleinerer Siedlungen aus – eine für HaBayit HaYehudi eigentlich inakzeptable Forderung.
Die kaum überwindbar erscheinenden inhaltlichen Differenzen zwischen Yesh Atid und HaBayit HaYehudi werden jedoch von der Perspektive überstrahlt, Benjamin Netanjahus vierjährige Ägide als Ministerpräsident beenden zu können. Lapid und Bennett, deren Parteien laut jüngsten Umfragen seit den Wahlen noch deutlich an Popularität gewonnen haben, stilisieren sich dabei als vermeintlich neuer Typus Politiker: jung, unverbraucht, politisch unbefleckt, und damit ein wohltuender Gegenentwurf zu den alten, vielfach in Skandale und Korruptionsaffären verwickelten Herren in der Knesset. In populistischer Rhetorik und Themensetzung stehen die beiden den arrivierten PolitikerInnen jedoch in nichts nach. Unter dem Slogan „Die nationale Bürde gemeinsam schultern“, prangern Lapid und Benett die seit Jahrzehnten bestehende Sonderrolle der ultraorthodoxen Bevölkerung an. Die Forderung, auch Ultraorthodoxe müssten „nationale Pflichten“ wie den Armeedienst erfüllen und ihren Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes leisten, kommt bei der säkularen Mehrheitsbevölkerung Israels gut an – egal ob politisch links oder rechts eingestellt. Auf offene Ohren stoßen natürlich auch Aussagen der beiden, wonach die staatlichen Subventionen für religiöse Schulen die Gelder der steuerzahlenden Mittelschicht verschlängen.
Neuwahlen im Frühjahr?
Für Benjamin Netanjahu ergibt sich aus dem Bündnis zwischen Lapid und Bennett, dessen persönliches Verhältnis zum Premierminister als zerrüttet gilt, eine wenig komfortable Situation. Gemeinsam kommen die Parteien der beiden politischen Newcomer auf ebenso viele Sitze wie Netanjahus Bündnis mit der Partei Avigdor Libermans, Likud Beitenu. Netanjahus uneingeschränkter Führungsrolle stünde in einer neuen Regierung somit in Gefahr.
Beharren Yesh Atid und HaBayit HaYehudi darauf, eine Regierung mit ultraorthodoxen Parteien zu boykottieren, werden Neuwahlen immer wahrscheinlicher. Keine erfolgsversprechende Perspektive für Likud Beitenu - laut der jüngsten Umfrage der Jerusalem Post käme die Partei nur noch auf 28 Sitze. Eine kleine Hoffnung bleibt dem Premierminister: In den vergangenen Wochen umgarnte Netanjahu die Arbeitspartei trotz derer sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik, die Likuds neo-liberaler Agenda diametral entgegensteht. Der Premierminister ist für seinen Machterhalt bereit, einen hohen Preis zu bezahlen, und bot der Labour-Vorsitzenden Shelly Yachimovich sogar das Finanzministerium und das Ministerium für Wohlfahrt und Soziales an. Yachimovich steht weiterhin zu ihrer im Januar getroffenen Aussage, sich einer Likud-geführten Koalition nicht anzuschließen. Innerhalb der Partei mehren sich allerdings Stimmen für eine Regierungsbeteiligung.
Die kommenden Wochen werden zeigen, wen Netanjahu zu einer Koalition vereinen kann oder ob es doch zu Neuwahlen kommen wird. Klar wird, dass durch das politische Geschacher die Auseinandersetzung mit den eigentlichen, brennenden Problemen des Staates Israel - dem israelisch-palästinensischen Konflikt, zunehmendem internationalen Druck, der eskalierenden Flüchtlingsproblematik sowie eklatanter sozialer Ungerechtigkeit - vertagt wird.