15.01.2013
Alsharq-Analyse zu den Wahlen in Israel I: Die Israelische Arbeitspartei
Auf der Mauer steht: "Wenn Wahlen etwas verändern würden, dann wären sie verboten."
Auf der Mauer steht: "Wenn Wahlen etwas verändern würden, dann wären sie verboten."

Am 22. Januar finden in Israel Parlamentswahlen statt. Die gegenwärtige Regierungskoalition um Ministerpräsident Benjamin Netanjahu rechnet sich gute Chancen aus, mit einem ähnlichen Bündnis aus konservativ-nationalistischen und religiösen Partien den Urnengang für sich zu entscheiden. Der zionistische Mitte-Links-Block konnte in der Wählergunst jüngst zwar etwas aufholen, ein Machtwechsel scheint jedoch nicht bevorzustehen. Alsharq analysiert das Parteienspektrum eine Woche vor den Wahlen.

Wie kam es zu den Neuwahlen?

Im Oktober 2012 kündigte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Neuwahlen für den 22. Januar an, obwohl die Legislaturperiode erst im Oktober 2013 geendet hätte. Als Grund für diesen Schritt nannte er fehlende parlamentarische Ünterstützung um seinen Haushaltsentwurf  zu beschließen, was angesichts der Mehrheit seiner Koalition in der 120 Sitze zählenden Knesset als vorgeschobener Grund gewertet werden kann. Vielmehr waren strategische Überlegungen ausschlaggebend für Netanjahus Entscheidung. Zum Zeitpunkt seines Entschlusses waren die Umfragewerte für den Likud mit weit mehr als 30 Knesset-Mandaten hoch wie lange nicht mehr. Angesichts vorausgesagter wirtschaftlicher Schwierigkeiten und der daraus resultierenden unpopulären Entscheidungen wären Wahlen zu einem späteren Zeitpunkt ungünstiger gewesen. Genau so wichtig waren Überlegungen zu den US-Wahlen, bei denen Netanjahu auf Romney setzte und durch einen Wahlsieg des republikanischen Kandidaten noch mehr Rückenwind erhoffte. Doch trotz Barack Obamas Erfolg hat der frühere Wahltermin für Netanjahu den Vorteil, dass der Druck Obamas auf die israelische Regierung zu Beginn der zweiten Amtsperiode Obamas geringer sein dürfte als Mitte 2013.

Die Ausgangslage für Netanjahu sah und sieht nach wie vor gut aus. Trotz sich ständig ändernder Umfragewerte gilt es als sicher, dass Netanjahu seine Regierung fortführen kann. Das sehen auch 80 Prozent der Israelis so, selbst jene, die Netanjahu gar nicht unterstützen würden.

Insgesamt treten 34 Parteien zu den Wahlen an, von denen es laut aktuellen Umfragen knapp die Hälfte in die Knesset schaffen könnten. Im Moment sind das rechte und ultraorthodoxe Lager fast gleich auf mit dem Mitte-links-Bündnis und dem arabischen Lager. Bis zum 22. Januar bleibt alles offen. Wir stellen die relevanten Parteien und deren KandidatInnen vor.

Die Israelische Arbeitspartei (Mifleget HaAvoda HaYisraelit): Abkehr vom Nahostkonflikt und Annäherung an die Protestbewegung

Der israelischen Arbeitspartei ist es nach ihrem desaströsen Wahlergebnis von 2009 gelungen, mit sozio-ökonomischen Themen an Popularität zuzulegen. Jüngsten Umfragen zufolge käme HaAvoda auf 18 Sitze und wäre somit zweitstärkste Fraktion in der Knesset sowie die führende Kraft im fragmentierten zionistischen Mitte-Links-Block. Trotz der Verbesserung ist dies lediglich ein Teilerfolg für die Arbeitspartei, die sich angesichts ihrer staatstragenden Vergangenheit weiterhin als Volkspartei begreift und deren Führungsfiguren gerne davon sprechen, dass das „HaAvoda-Gen“ in jedem Israeli zu finden sei.

Rückblick

Die israelische Arbeitspartei lag am Boden: 2009 erzielte HaAvoda mit 13 Sitzen ihr schlechtestes Wahlergebnis in der Geschichte des jungen Staates. Viele verbanden die Partei mit dem stagnierenden Friedensprozess und der verkrusteten, aschkenasisch geprägten Politelite. Dadurch hatte die Arbeitspartei seit den späten 1990er-Jahren stetig an Zuspruch verloren. Die Entscheidung des damaligen Parteivorsitzenden Ehud Barak, 2009 der rechtsgerichteten Regierung um Premier Benjamin Netanjahu und Außenminister Avigdor Liberman beizutreten, stellte HaAvoda zudem vor eine innere Zerreißprobe. Zahlreiche langjährige Mitglieder verließen die Partei in der Folgezeit mit der Begründung, Barak verrate die sozial-demokratische, dem Friedensprozess zugewandte Identität der Avoda. Angesichts der parteiinternen eskalierenden Spannungen ergriff Barak im Januar 2011 die Initiative und verließ seinerseits mit vier weiteren Abgeordneten die Arbeitspartei und gründete mit Azmaut (dt.: Unabhängigkeit) eine neue "zentristische, zionistische und demokratische" Partei. Mit lediglich acht verbliebenen Abgeordneten schien HaAvoda in der Versenkung zu verschwinden. Mittelfristig sollte sich jedoch Baraks donnernder Abgang als reinigendes Gewitter erweisen.

Umschwung mit Yachimovich

Mit der neuen Parteivorsitzenden Shelly Yachimovich, die sich vor ihrem Einstieg in die Politik als Journalistin auf feministische und soziale Fragen konzentrierte, stellt sich die Arbeitspartei nun vornehmlich mit Themen der sozialen Gerechtigkeit und Wirtschaftsfragen auf. Aufgrund der Tatsache, dass nicht zuletzt Premierminister Netanjahu Israel einer neoliberalen Deregulierungs- und Kürzungspolitik unterwarf, in deren Folge Lebensmittel und Mietpreise exorbitant stiegen und das Land zum OECD-Staat mit der höchsten Armutsrate abstieg, stößt Yachimovich mit ihrem inhaltlichen Fokus bei den WählerInnen auf offene Ohren. Die Arbeitspartei sucht die Nähe zur Protestbewegung von 2011 – mit Erfolg: Obwohl sich die OrganisatorInnen der Sozialproteste zunächst lautstark von Parteipolitik distanzierten, entschieden sich mit Stav Schafir und Itzik Schmuli zwei ProtagonistInnen der Proteste im Oktober 2012 für HaAvoda für die Knesset zu kandidieren. Mit Schafir und Schmuli, aber auch mit der Vorsitzenden der HaAvoda-Jugend Michal Biran, die allesamt gute Aussichten auf den Einzug ins Parlament haben, sendet die überalterte Arbeitspartei ein wichtiges Signal aus: Endlich wird auch bei uns der Jugend eine Chance gegeben.

Dieser Wahlwerbespot der Arbeitspartei unterstreicht den sozialpolitischen Fokus der Partei im Wahlkampf:  Es kann hier besser sein", verspricht Yachimovich. Weiter erklärt sie:

Unter Netanyahu hat sich die Situation hier nur noch mehr verschlechtert. Die gesellschaftliche Kluft hat sich vergrößert. Es ist teurer und schwerer geworden hier zu leben. Das muss nicht so sein. Es könnte hier viel besser sein: Besser für junge Familien, wir werden 50.000 neue Wohnungen zu kostengünstigen Preisen bauen, wir sind fest entschlossen freie Bildung ab dem Alter von zwei Jahren einzuführen, wir werden die Lebensmittelpreise senken, eine bessere Situation für Unternehmer schaffen, wir werden die Banken und den Kapitalmarkt verpflichten, die Kredite für kleine und mittelständische Unternehmen zu erhöhen, wir werden die ältere Generation nicht im Stich lassen und die kostenlose  Pflegeversicherung für alle einführen.

Und wie werden wir diesen Plan finanzieren?

Anstatt die natürlichen Ressourcen für Spottpreise unter den Tycoons aufzuteilen, holen wir uns die Ressourcen, die uns allen gehören, mit einer fairen Bezahlung zurück, wir werden den vollen Steuersatz für die Topverdiener der Unternehmen einführen.

Ich verpflichte mich, die Steuern für die Mittelschicht nicht zu erhöhen und sogar im Gegenteil, das familiäre Nettoeinkommen zu vergrößern. Nur wir bieten die Möglichkeit für eine wirkliche Veränderung, mit einer ernsthaften und verantwortungsvollen Haushaltsplanung.

Der Nahostkonflikt - unter den HaAvoda-Ministerpräsidenten Rabin und Barak das dominierende Thema - ist indes unter Yachimovich fast komplett von der Agenda verschwunden. Führenden PolitikerInnen ist nicht verborgen geblieben, dass Parteien wie der langjährige Juniorpartner Meretz aber auch HaAvoda selbst von den WählerInnen wegen ihrer Unterstützung des Friedensprozesses abgestraft wurden. Angesichts der Frustration ob ausbleibender Ergebnisse im Verhandlungsprozess und fehlender Perspektiven, ist die israelische Gesellschaft nach rechts gerückt – und mit ihr die Arbeitspartei unter Yachimovich. Ein gefährlicher Opportunismus, der die Augen davor verschließt, wie dringlich sich die Partei mit der Realität der Besatzung auseinandersetzen müsste. Dementsprechend erscheint es folgerichtig, dass Yachimovich den palästinensischen Gang vor die Vereinten Nationen im November 2012 zurückwies und Netanjahus „Sicherheitspolitik“ während des Gaza-Kriegs im November 2012 vorbehaltslos unterstützte. Die Chance, sich nicht zuletzt gegenüber ihrer weiblichen Konkurrentin Tzipi Livni außen- und verteidigungspolitisch zu profilieren, versäumte sie indes.

Die ehemalige Journalistin wird nicht müde zu betonen, dass die Arbeitspartei „nie links“ gewesen sei und dass  Siedlungen in den besetzten Gebieten keine "Sünde oder Verbrechen“ seien. Bei den internen Listenwahlen gelang es  ihr, linke Symbolfiguren der Arbeitspartei wie den Vorsitzenden der Friedensbewegung „Peace Now“, Yariv Oppenheimer, zu marginalisieren. Schließlich warf im Dezember 2012 mit Amir Peretz eines der Schwergewichte der Partei das Handtuch und schloss sich Tzipi Livnis neu gegründeter Partei HaTnuah (dt. Bewegung) an. Der ehemalige Verteidigungsminister und Chef des Gewerkschaftsbundes Histradrut hatte sich in den Monaten zuvor häufig friedenspolitischen Themen gewidmet. Ob diese inhaltlichen Differenzen oder machtpolitische Streitereien den Ausschlag für Peretz' Parteiweichsel waren ist jedoch nicht klar.

Die Arbeitspartei sucht den Weg in die Mitte der israelischen Gesellschaft. Mit beträchtlichem Erfolg, obwohl sich dort mit Kadima, Yesh Atid, HaTnuah und kleineren Parteien bereits eine Vielzahl an politischen Akteuren tummelt. Ebendiese Kräfte untersuchen wir im nächsten Block unserer Analyse. Hier geht es zu Teil 2, der sich mit Tzipi Livnis HaTnua befasst.

Christoph ist studierter Islam-, Politik- und Geschichtswissenschaftler mit Fokus auf Westasien. Der Mitgründer von Alsharq - heute dis:orient - war zwischen 2011 und 2014 bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem tätig. In Berlin arbeitet er als Geschäftsführer für Alsharq REISE. Christoph hält regelmäßig...