14.01.2013
Bab al-Schams – Palästinensisches Protestcamp gegen israelischen Siedlungsbau

Am Samstag, auf der Fahrt von Jerusalem gen Jordantal. Vom Highway überblickt man die Trabantenstadt Ma’ale Adumim, gleich einer Festung auf der nächsten Hügelkette. Ein israelischer Siedlungsblock mitten im palästinensischen Westjordanland. Gleich hinter dem Checkpoint Az-Zayim aber, weht die palästinensische Flagge auf einer Hügelkuppe. Es lassen sich Zelte ausmachen. Ein palästinensischer ‚Außenposten’, mitten in geplantem Siedlungsgebiet.

In der Nacht auf Freitag hatten palästinensische Aktivisten auf dem felsigen Hügel bei Al-Tur eine Zeltstadt errichtet. Ein kreatives Zeichen des Protests gegen die völkerrechtswidrigen Siedlungen auf palästinensischem Gebiet. Seitdem Palästina im vergangenen November die Anerkennung als Beobachterstaat vor den Vereinten Nationen erwirkt hat, forciert die israelische Regierung den Siedlungsbau mit aller Macht. Ihr Fokus liegt auf dem Gebiet eben hier, zwischen Jerusalem und Ma’ale Adumim, dem sogenannten Planungsgebiet E1. Sollte es tatsächlich zur Siedlung ausgebaut werden, teilte man das Westjordanland praktisch in einen nördlichen und südlichen Part. Die Zwei-Staaten-Lösung wäre damit so gut wie unmöglich gemacht.

Die Initiatoren der Zeltstadt  haben sie Bab al-Schams getauft, „Das Tor zur Sonne“, in Anlehnung an einen Roman von Elias Khoury. Der libanesische Schriftsteller beschreibt darin die Entwurzelung des palästinensischen Volkes in ein Mosaik von Einzelschicksalen. Dabei wird der palästinensische Widerstand ganz und gar nicht verherrlicht. Vielleicht ein Zeichen gegen die Selbstgerechtigkeit einiger Freiheitsbewegungen, der viele Palästinenser über sind. Die meisten der Aktivisten hier sind junge Menschen aus verschiedenen Städten des Westjordanlandes, von Hebron bis Jenin. In ihren Zwanzigern, mit Palästinensertüchern um den Hals schwenken sie Fahnen frisch aus der Verpackung. Sie sind gekommen um zu bleiben. „Am liebsten für immer. Warum sollte ich nicht hier ein Haus für meine Familie bauen, wenn doch in Ramallah schon kein Platz mehr ist?“ meint etwa der junge Grafikdesigner Jaber.

Bab al-Shams ist eine unabhängige, überparteiliche Initiative, sagen sie hier. Tatsächlich sind Aktivisten aller linken palästinensischen Parteien vertreten. Auf Parteisymbole hat man bewusst verzichtet. Das Camp ist gut organisiert, der Aufruf zum Protest kam über Facebook. Die Initiatoren von Bab al-Schams kommen laut den Demonstranten vor Ort aus dem Kreis der Popular Resistance Committees, die sich im gewaltfreien Widerstand gegen den Bau und Verlauf der Sperranlage auf palästinensischem Territorium formiert haben. Im Vorlauf war von einem ‚Außenposten’ bei Jericho die Rede. Den tatsächlichen Ort hielt man erfolgreich bis zur letzten Minute geheim.

Die Atmosphäre ist nicht euphorisch, aber hoffnungsvoll. Alle Anwesenden – vom ehemaligen palästinensischen Präsidentschaftskandidaten Mustafa Barghouthi über die Kult-Rapper der Band Dam, dem Kamerateam von CNN bis hin zu den Graswurzelaktivisten aus Bilin – sind sich bewusst, dass hier eine neuartige, gemeinschaftlich organisierte Protestform entsteht, die große Außenwirkung entwickeln kann und deshalb von der israelischen Regierung kaum geduldet werden wird.

Dementsprechend steht das Camp seit seinen ersten Stunden unter sorgfältiger Beobachtung: Israelische Militärpolizei und Geheimdienste betrachten das Geschehen aus den Böschungen der umliegenden Hügel. Am Tag nach der Errichtung schotten sie die wenigen Zufahrtswege ab. Das Gelände ist jetzt militärische Sperrzone, Zutritt strikt verboten. „Eine militärische Order“, weisen die Soldaten die Besucher ab. Dass sich weitere Aktivisten anschließen, die Initiative gar Massenproteste hervorruft, will man um jeden Preis verhindern.

Die unmittelbare Räumung hatten die Aktivisten mit einem Appell an Israels Obersten Gerichtshof verhindern können. Das Land, auf dem Bab al-Schams errichtet wurde, ist nachweislich in palästinensischem Privatbesitz, wenngleich die Behörden die Dokumente bislang nicht offiziell anerkannt haben. Am Freitag noch beschied das Oberste Gericht, dass das Camp für zunächst sechs Tage bestehen dürfe. Solange habe man die Umstände zu untersuchen.

In der Nacht zum Sonntag räumte die Militärpolizei das Camp. 500 Soldaten ‚evakuierten’ die rund 100 Aktivisten, die bei klirrender Kälte im Lager übernachteten. Verletzt wurde bei der Aktion niemand. Eine Handvoll Aktivisten wurde kurzzeitig in Gewahrsam genommen am Morgen aber entlassen.

 

Premier Netanjahu persönlich hatte die Räumung des Camps angeordnet. Das Gericht habe die Räumung der Zeltstadt untersagt, ließ die Polizei verlauten, nicht aber die Räumung der Demonstranten. Wieder einmal hat die Regierung das Urteil der Justiz im Alleingang umgangen. „Wir werden uns von niemandem daran hindern lassen Jerusalem und Ma’ale Adumim zu verbinden“, sagte Netanjahu am Sonntag. Stören tut das in Israel kaum jemanden. Die Palästinenser werden mit solchem Vorgehen gerechnet haben. Die optimistischen Ausblicke der Protestierenden noch am Samstag vor Ort erwiesen sich als Irrtum. Doch die Art der Aktion, friedlich und symbolkräftig, so die Protestierenden, soll sich wiederholen.

Lea ist seit 2011 bei Alsharq. Sie hat Internationale Politik und Geschichte in Bremen und London (SOAS) studiert und arbeitet seitdem als Journalistin. Mehrere Jahre hat sie in Israel und Palästina gelebt und dort auch Alsharq-Reisen geleitet. Lea ist heute Redakteurin bei der Wochenzeitung Die Zeit.