29.12.2012
Buchvorstellung "Nazi, komm raus!"

Jahrelang suchte Christian Springer auf eigene Faust nach dem NS-Massenmörder Alois Brunner in Syrien. In "Nazi, komm raus!" schildert er seine Erlebnisse und Entdeckungen. Charly Lyuka hat das Buch für Alsharq gelesen.

Den bayrischen Kabarettisten Christian Springer kennt man als Kunstfigur "Fonsi", durch die er in Radio und Fernsehen präsent ist. Mit seinem Buch "Nazi, komm raus!" zeigt er sich von einer ernsteren Seite. Springer studierte Ende der Achtzigerjahre semitischer Sprachen, als die Bundesländer Hessen und NRW eine Belohnung zur Auffindung des Massenmörders Alois Brunner ausschrieben. Der Suche nach dem Nationalsozialisten widmete Springer einen Großteil seines Lebens. Fündig wurde er in Syrien, das ihn als Reiseland faszinierte. Das Buch beschreibt seine Suche und liest sich wie ein Krimi.

Alois Brunner galt bei den Nationalsozialisten als die rechte Hand Adolf Eichmanns. Er wird für die Ermordung von über 120.000 Menschen verantwortlich gemacht. Christian Springer fand heraus: Alois Brunner versteckte sich jahrzehntelang in Syrien, wo Hafiz Al-Assad schützend seine Hand über ihn hielt. Brunner, alias Georg Fischer, war wichtig für Syrien: Er unterstützte die Syrer im Golan-Krieg als Stratege und brachte modernste Foltermethoden nach Syrien. Frankreich verurteilte Brunner Ende der Fünfzigerjahre in Abwesenheit zum Tode. Um ihn zu warnen, ließ ihn das deutsche Auswärtige Amt über das Rote Kreuz in Syrien aufspüren. Dieses Vorgehen ging als ‚Warndienst West' in die Geschichte ein. Es ist bekannt, dass viele Kriegsverbrecher nach 1945 mit Hilfe des Roten Kreuzes und des Vatikans nach Südamerika flüchteten. Weniger bekannt ist hingegen die Flucht vieler Nazis in den Orient. Simon Wiesenthal vermutete, dass zwischen 6.000 und 7.000 von ihnen die arabische Welt ansteuerten.

Als sich Christian Brunner 1986 zu seiner ersten Syrienreise auf den Weg machte, war man in Syrien vom Informationszeitalter noch weiter entfernt als in Europa. Mobiltelefone, aber auch Stadtpläne oder Telefonbücher gab es nicht. Die Frau im Münchner Reisebüro wusste damals nicht einmal, wo Syrien überhaupt liegt.  Mit selbstgebastelten, am Körper oder im Rucksack befestigten Aufnahmegeräten begab sich Christian Springer auf eine nicht ungefährliche Suche im Überwachungsstaat Syrien, bekannt als das repressivste Regime im Nahen und Mittleren Osten. Er sucht nach einem etwa 74 Jahre alten Mann europäischen Aussehens, an dessen linker Hand vier Finger fehlten und der einen Augenfehler hatte. Unter Millionen Damaszenern konnte es nur einen mit diesem Profil geben, glaubte Christian Springer.  Außerdem wurde in einem BUNTE-Artikel aus dem Jahre 1985 Brunners Wohnadresse weltweit bekannt gegeben: Rue Haddad Nummer 7. Alois Brunners Großnichte Claudia Brunner, die sich mutig in ihrem Buch Schweigen die Täter, reden die Enkel mit ihrer Familienbande auseinandersetzte, schrieb Briefe nach Damaskus und der Großonkel Brunner schrieb zurück. Außerdem hielt er Schriftverkehr mit der rechtsextremen Szene in Deutschland.

"Brunner lebte in irgendeiner komischen Vergangenheit"

Während seiner Ermittlungen im "inner circle" der in Damaskus abgetauchten Nazi-Gemeinde stellte sich Springer immer wieder die Frage, warum die deutsche Justiz so wenig für die Suche nach SS-Verbrechern unternommen hatte. Viele Täter in hohen Positionen sahen einen Gerichtssaal nie von innen. Die NS-Männer im Nahen Osten lebten in Sicherheit, denn antisemitische Ideologie hatte sich durch die Gründung des Staates Israel inmitten der arabischen Welt gefestigt.

Christian Springer trifft Ahmed Khammas, eines der Kinder der 'Nazi-Damen', die Alois Brunner in Damaskus Apfelkuchen buken. Brunner, der kurz vor seinem Tod zum Islam übertrat, hatte Khammas gebeten, sein Testament ins Arabische zu übersetzen. In seinem Testament, verfasst 1987, wies Brunner die Schuld am Schicksal der Juden in Europa allein Chaim Weizmann zu. Der spätere erste Staatspräsident von Israel habe die Auswanderung der Juden nach Madagaskar verhindert. Ahmed Khammas beschreibt Alois Brunner als "so ein armes Schwein, das in Damaskus hängt und vom Mossad aus der Entfernung zerstückelt wurde. (...) Brunner lebte in irgendeiner komischen Vergangenheit. Er war ein notwendiges Übel, der nie besonders geachtet wurde. Aber natürlich gab es so eine Art Solidarität. Da schleppt man ihn halt mit. Und ich spreche hier von der Gesamtheit der deutschen Gemeinde: Selbstverständlich verrät man ihn nicht".

Zu einem Zusammentreffen mit Alois Brunner ist es nie gekommen. Brunner wurde seine ganze Zeit in Syrien stets von der Geheimpolizei gedeckt und bewacht und stand die letzten Jahre vor seinem Tode unter von Assad persönlich verordnetem Hausarrest. Christian Springer forschte im Umfeld Brunners. Aus den Puzzelteilen seiner Recherche aber hat er ein Bild gezeichnet, welches das Leben des Nazi-Verbrechers und die politischen Konstellationen seiner Deckung klar nachzeichnet.

 

Christian Springer: "Nazi, komm raus!". Langen Müller. München 2012. 267 Seiten. ISBN 978-3-7844-3313-4 . EUR 19,99.

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