Eine starke Hamas, das Scheitern von Oslo und der Siedlungsausbau sprechen für eine Verschlechterung der Sicherheitslage in Nahost – besonders im Westjordanland. Es gibt aber auch Gründe, warum Israel die Eskalation scheuen wird. Ein Gastbeitrag von Robert Friebe
Bei Facebook und Twitter kursiert momentan auf den Profilen zahlreicher Palästinenser das Bild einer jungen Israelin. Sie trägt Uniform. Sie ist Soldatin. Und sie soll am vergangenen Mittwoch einen palästinensischen Jugendlichen in Hebron erschossen haben, der mit einer Waffe hantierte – einer Spielzeugwaffe, wie sich später herausstellte. Das digitale Plakat ruft unverhohlen dazu auf, die Soldatin ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Was das aus dem Munde der radikalen Al-Qassam-Brigaden bedeutet, ist klar. Die Lage im Westjordanland schaukelt sich derzeit wieder auf und die Frage stellt sich, ob bei einer weiteren Zuspitzung gar wieder eine – die dritte – Intifada droht. Oder ob sie nicht sogar schon begonnen hat.
Denn die Erschießung des jungen Palästinensers und der Aufruf zum Mord an der israelischen Soldatin ist nur der vorläufige Höhepunkt in einer Reihe von Vorkommnissen im vergangenen Monat. Während Israels Operation »Wolkensäule« im Gaza-Streifen im November gab es schon vereinzelte Auseinandersetzungen im Westjordanland. Es wurde alles daran gesetzt, diese Proteste möglichst leise zu halten um ein Aufschaukeln der Emotionen zu vermeiden. Doch nach der Anerkennung Palästinas als Beobachterstaat bei den Vereinten Nationen ist zweifelsohne das palästinensische Selbstbewusstsein erstarkt. Man fühlte sich nun fast auf Augenhöhe mit Israel.
Diese Illusion nahm ihnen am Tag darauf der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, als er die Expansion von Siedlungen im Osten Jerusalems ankündigte und damit bewies, wer am längeren Hebel sitzt. Eine wohlgesonnene Stimmung wurde so zumindest nicht geschaffen und so stieg seitdem die Zahl der palästinensischen Attacken auf Stellungen der israelischen Armee im kontrolltechnisch zerfledderten Westjordanland. Videos zeigen, wie es immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen kommt, bei denen nicht zuletzt die Israelis oft den Rückzug antreten müssen.
Bisher konnte sich Israel auf das Zerwürfnis zwischen der Hamas und der PA verlassen
Doch viel besorgniserregender dürfte für Israel die Annäherung zwischen der Palästinensischen Autonomiebehörde und der radikal-islamischen Hamas sein, die seit einem blutigen Brüderkrieg mit der moderateren Fatah 2007 den Gaza-Streifen kontrolliert und von dort aus Israel terrorisiert. Roshana Lawrence, die als Nahost-Analystin für die in Israel ansässige Sicherheitsmanagement-Firma Max Security arbeitet, weist darauf hin, dass sich »Israel über Jahre zumindest auf das Zerwürfnis zwischen Hamas und der Autonomiebehörde in der West Bank verlassen konnte.
Nun aber finden dort wieder Pro-Hamas-Kundgebungen statt, die von der PA zugelassen werden, wie die am 13. November in Nablus. Das deutet auf eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den beiden Gruppierungen hin.« Jene Kundgebung mit etwa 10.000 Teilnehmern könnte der Startschuss für eine neuerliche Krise im israelisch-palästinensischen Konflikt sein. Sollte sich die Hamas in der West Bank etablieren können, »ist es nahezu garantiert, dass sich die Sicherheitssituation mittelfristig verschlechtern wird«, so Lawrence weiter.
Die Erste Intifada, die etwa von 1987 bis 1993 andauerte, ging als »Krieg der Steine« in die Geschichte ein. Nach einer etwa siebenjährigen Pause, in welcher sich die Hoffnungen auf die vielversprechenden Oslo-Abkommen zerschlugen, war die Zweite Intifada ab 2000 bis etwa 2005 von den perfiden Selbstmordanschlägen geprägt. Und nun sind wieder sieben Jahre vergangen, in denen sich wieder einige Wut und Enttäuschung angestaut hat.
Wird sich die israelische Regierung im Jahr 2013 auf einen zermürbenden Konflikt einlassen?
Wie könnte eine Dritte Intifada aber aussehen? Selbstmord- und Bombenanschläge sind zwar weiterhin ausführbar, wie man erst im November 2012 wieder in Tel Aviv gesehen hat, aber die israelische Barriere aus Zaun und Mauer hat sich weitestgehend als äußerst effektiv erwiesen. Der Hamas liebstes Mittel sind im Augenblick Raketen. Um das nur zwanzig Kilometer vom Westjordanland entfernte Tel Aviv unter Beschuss zu nehmen, sind keinesfalls mehr die besseren Fajr-5-Raketen nötig, die es noch von Gaza aus brauchte, um die Mittelmeer-Metropole anzugreifen, sondern nur die massig vorhandenen Qassam-Raketen, die zudem die Vorwarnzeit in Tel Aviv von etwa 60 Sekunden auf etwa 15 bis 20 Sekunden absenken würde.
Israels einziger internationaler Flughafen liegt sogar kaum mehr als zehn Kilometer vom Westjordanland entfernt. Israel könnte sehr einfach im Herzen der Wirtschaft, der Kultur und des Tourismus getroffen werden. Allerdings dürfte sich die Einfuhr dieser Geschosse in der Praxis als schwer erweisen, da Israel, anders als im an Ägypten angrenzenden Gaza-Streifen, in den Besetzten Gebieten die komplette Kontrolle über die Grenzübergänge zu Israel und Jordanien hat.
Dennoch, all die Hürden sind letztlich kein unüberwindbares Problem. Beispielsweise ist es kein allzu fernes Szenario mehr, dass terroristische Organisationen eigene, kostengünstige Drohnen aufsteigen lassen werden und diese auf Zivilisten richten könnten. Weitaus einfacher dürfte die Entführung von Soldaten sein, die im Westjordanland stationiert sind. Das Schicksal von Gilad Shalit, der mehr als fünf Jahre in Hamas-Gefangenschaft gehalten wurde, steckt den Israelis noch in den Köpfen.
Khamel Hamid, Gouverneur von Hebron, wo es momentan zu den meisten Zusammenstößen kommt, meint, Israel würde eine Dritte Intifada gezielt forcieren. Die Gründe dahinter dürften sein, vom umstrittenen E1-Siedlungsbau abzulenken als auch angesichts von Terroranschlägen verloren gegangene Sympathien der Staatengemeinschaft zurückzugewinnen. Es würde zumindest die weitere Präsenz der israelischen Armee in weiten Teilen des Westjordanlandes auf Jahre rechtfertigen, welches in den vergangenen Jahren im Vergleich zu Gaza beinahe schon als moderat und friedlich angesehen wurde. Dass die israelische Regierung allerdings im Jahr 2013, in welchem endlich die Iran-Frage beantwortet werden soll, sich auf einen zermürbenden Konflikt mit den Palästinensern einlassen will, darf bezweifelt werden.
Robert Friebe ist Student im Internationalen Masterprogramm »Security & Diplomacy« an der Tel Aviv University. Dort schreibt er momentan sein Master-Thesis über die strategischen Implikationen von Drohnen in moderner Kriegsführung. Daneben sind die Sicherheitskonzepte der arabischen Länder und des Iran sein besonderes Interessengebiet.