14.12.2012
Vor die Wahl gestellt: Stimmen zu den Parlamentswahlen in Israel

In sechs Wochen finden in Israel vorgezogene Wahlen statt. Am 22.Januar 2013 können über vier Millionen Israelis über die Neuzusammensetzung des israelischen Parlaments (Knesset) und über eine neue Regierung entscheiden. Die politische Landschaft ist in Bewegung begriffen, neue Parteien werden gegründet, andere Parteien lösen sich auf, Politiker treten zurück und andere wechseln das Lager. Inmitten dieser Veränderungen fällt es schwer, den Überblick zu behalten.

Auf Alsharq beginnt heute eine Reihe, deren Idee es ist, einen kleinen Einblick in die Gedanken, Fragen und Sorgen der Menschen zu geben, die direkt von der Wahl, den Ergebnissen und den daraus resultierenden politischen Entscheidungen betroffen sind: jede Woche stellen wir Israelis vor, die uns aus verschiedenen Perspektiven ihre Gedanken zu den bevorstehenden Wahlen darstellen werden.

Der regionalen und überregionalen Bedeutung dieser Wahl für die politische Landkarte der Region und die Beziehungen mit Europa und den USA wollen wir mit unseren "Außenansichten" gerecht werden: Begleitend zu den Einblicken in die israelische Gesellschaft werden wir jede Woche Menschen aus den umliegenden Ländern Israels zu Wort kommen lassen. Wie werden dort die Wahlen in Israel gesehen und welche Bedeutung wird ihnen eingeräumt? Welche Hoffnungen werden mit den Wahlen dort in Bezug auf die Entwicklungen in der Region verknüpft?

Begleitet wird unserer Reihe "vor die Wahl gestellt" von Autorinnen und Autoren von Alsharq, die versuchen werden, die Ereignisse in Israel und die Kommentare unserer Reihe im innenpolitischen, regionalen und internationalen Kontext zu verorten. Im Laufe der nächsten Wochen wollen wir ein wenig Überblick in die sich rasant veränderten Entwicklungen in Israel geben. Wir werden neue Parteien vorstellen, Persönlichkeiten darstellen und versuchen, mit einer Analyse die möglichen Entwicklungen in Israel während und nach den Wahlen nachzuzeichnen.

 

 

Header Israel

Nimrod Goren, Chair of The Israeli Institute for Regional Foreign Policies - Ramat Gan / Israel

Warum ist die Parlamentswahl in Israel wichtig?
Die israelischen Wahlen sind wichtig, weil sie die Chance bieten, die Politik der Netanjahu-Regierung in den vergangenen vier Jahren zu bewerten und einen Wandel einzuleiten. Die amtierende Regierung hat keine Fortschritte im Friedensprozess gebracht, sie hat auf den Arabischen Frühling in einer Weise reagiert, die die regionale Isolation verschärft hat. Sie hat die konservative Wirtschafts- und Sozialpolitik vorangetrieben und ihre Mitglieder haben Gesetze eingebracht, die demokratische Werte herausfordern. So eine Regierung sollte ausgetauscht werden.

Welche Erwartungen hast du für die Wahl im Januar 2013?
Alle Indikatoren deuten darauf hin, dass es keinen politischen Wechsel geben und Netanjahu israelischer Premierminister bleiben wird. Meine Erwartung an den Wahltag ist eine möglichst hohe Wahlbeteiligung, die dazu beiträgt, die politische Landkarte auszugleichen und die Mitte-Links-Parteien in Israel zu stärken. Nach den Wahlen erwarte ich, dass die Arbeitspartei in der Opposition bleibt und keiner Rechts-Regierung beitritt wie sie es in den vergangenen zehn Jahren getan hat. Nur so kann sie sich als eine lebenstüchtige politische Alternative neu aufbauen, die die nächsten Wahlen gewinnen kann.

Für wen wirst du auf keinen Fall stimmen - und warum?
Ich werde nicht für rechte Parteien stimmen, die Werte, Ideologien und eine Politik vorantreiben, die ich als Bedrohung für Israels nationale Sicherheitsinteressen ansehe und die Israel daran hindern, sein Potential als Gesellschaft und Staat auszuschöpfen. Ich werde auch keine Parteien wählen, die One-Man-Shows sind und kein solides Parteiprogramm haben.

Worauf sollte sich die neue Regierung konzentrieren?
Die neue Regierung sollte einen wirklichen Friedensprozess mit den Palästinensern aufnehmen um die Zweistaatenlösung umzusetzen und die Verschlechterung des internationalen Ansehens Israels zu stoppen. Sie sollte wohlwollend auf die Arabische Friedensinitiative reagieren um mit der Arabischen Welt in Kontakt zu treten. Und sie sollte daran arbeiten, die Beziehungen zur Türkei zu verbessern, die ein regionaler Schlüsselspieler ist, mit dem Israel gemeinsame Interessen verbinden und die Israel dabei helfen kann, eine Beziehung mit den neuen politischen Akteuren des Arabischen Frühlings aufzubauen.

 

Galal, 26, Ingenieur - Kairo / Ägypten

Wie wichtig ist die Wahl in Israel für Ägypten?
Ehrlich gesagt nehmen wir in Ägypten derzeit kaum Notiz von Israel, weil das ganze Land mit dem Machtkampf zwischen Islamisten und Säkularen beschäftigt ist. Aber selbst in ruhigeren Zeiten würden wir wenig von Israel erwarten. Israel hat sich seit dem Camp David Abkommen immer weiter nach rechts bewegt und scheint sich überhaupt nicht für Ägypten zu interessieren. Es baut die Besatzung immer weiter aus und missachtet die fundamentalen Rechte der Palästinenser.

Was erwartest Du in Bezug auf die Wahl?
Ich gehe davon aus, dass Netanjahu die Wahl gewinnen wird, aber für das Verhältnis zu Ägypten erwarte ich keine Veränderungen. Die israelischen Zionisten und die ägyptischen Islamisten werden sich auch weiter rhetorisch angreifen, aber - wenn es hart auf hart kommt - zusammenarbeiten. Das haben sie ja erst kürzlich bei der Vermittlung des Waffenstillstands zwischen Israel und der Hamas bewiesen. Netanjahu und Mursi sind zwei religiöse Extremisten, darum verstehen sie sich und wissen wie der andere tickt. Ansonsten wird Israel weiterhin die ägyptische Souveränität auf dem Sinai verletzen, wann immer es der Regierung geboten scheint. Ägyptens Armee wird nichts dagegen unternehmen, aus Angst die amerikanische Unterstützung zu verlieren.

Welchen Rat würdest du israelischen Wählern geben?
Ich kenne mich in der israelischen Politik wirklich nicht so gut aus, aber sie sollten Parteien wählen, die sich für einen Ausgleich mit den Palästinensern und den arabischen Nachbarn einsetzen. Es bringt nichts, wenn Ihr euch weiter einzäunt! Der Streit muss mit politischen Mitteln gelöst werden. Kurzfristig wird Netanjahu Euch ein Gefühl der Sicherheit geben, langfristig aber spielt die Zeit gegen Euch. Trotz der Unterstützung aus den USA und Deutschland wird die Situation für Israel in der Region immer schlechter.

 

Ralph, 26, Student - Jounieh / Libanon

Warum sind die Wahlen in Israel in der Region von Bedeutung?
Die israelischen Wahlen sind wichtig, da sich je nach der Ideologie der gewinnenden Partei die Geopolitik ändert. Wie wir in einem Teil von Israels Nachbarländern einen Wandel beobachten, ist es auch interessant zu sehen, ob eine Wende hin zu einer anderen Ideologie in Israel immer noch möglich ist. Davon könnten zum Beispiel die Fragen der Besatzungspolitik oder die Bedingungen für ein eventuelles Friedensabkommen abhängen. Wird die Hamas ihren Tonfall ändern, wenn sie statt mit der Rechten mit den Linken sprechen muss?

Eine Kehrtwende nach Links wird das Land in der Region angreifbar machen. Eigentlich sollte es in einer Demokratie normal sein, mit zwei Ideologien zu jonglieren, aber in Israel, das seine Rolle im Nahen Osten durch das Gewicht seiner Armee und einer harten Politik gegenüber den Palästinensern festigt, sollte ein Wechsel der Ideologie keinen Strategiewechsel bedeuten.

Zu guter Letzt erlaubt der Kontext, in dem wir uns befinden, keinen schwachen Anführer. Es ist eher ein "Rais" arabischer Form, den Israel braucht. Die meisten Wähler sind keine jungen Europäer, die zum Urlaub nach Tel Aviv fahren. Die Paranoia vor einem möglichen Krieg in der Region befördert nur die rechtsextremen Strömungen.

Was sind deine Erwartungen an die Wahlen im Januar?
Die Rede von Daniel Cohn-Bendit im euroäischen Parlament ist eindeutig, es gibt einfach nicht genug Druck, um den rechtsextremen Israelis gegenüber zu treten. Ich erwarte überhaupt keinen Wandel durch die kommenden Wahlen! Die Ideologie der israelischen Rechten steht zu großen Teilen unter dem Einfluss der internationalen Lobbys. Zudem wird - gerade vor dem Hintergrund der Ereignisse in Gaza - die israelische Bevölkerung immer das Gefühl haben, eine konservative, patriotische Ideologie zu brauchen.

 

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