Chancengleichheit und Gleichstellung von Mann und Frau definiert sich in Iran unter anderem darüber, was wer wie zu tragen hat. Da Kleidung keine Rolle im Leben der Menschen spielen soll, sondern nur ihre Seele, laufen täglich Sittenwächter durch die Straßen der Islamischen Republik Iran und kontrollieren, ob alles dem Gesetz entspricht. Natürlich nur, damit auch alle gleichberechtigt sind.
Ein Gastbeitrag von Friedrich Schulze
„He, Geh nicht da hin, die Sittenpolizei ist dort!“ ruft die Frau aus dem Auto einem Mädchen zu. Diese bedankt sich kurz und dreht um. Jetzt muss sie ein oder zwei Gassen weiter gehen, um den Ershad, den Sittenwächtern auf der Straße, nicht in die Arme zu laufen. Solch eine Szene ist Alltag in Iran. Die Menschen, Männer wie Frauen, helfen einander, da fast alle schon einmal in Konflikt mit der Moralpolizei kamen und wissen, wie unangenehm und unabsehbar die Folgen sein können. Das Mädchen, welches gerade noch gewarnt wurde, trug ein langes Oberteil, das deutlich über ihren Hintern reichte. Dazu ein für Nord-Teheran typisches lockeres Kopftuch, bei welchem die Haare trotz allem gut zu sehen waren. Ohne Zweifel hätte sie in einen der typischen kleinen Mini-Vans mit den verdunkelten Scheiben einsteigen müssen, um zum Beispiel ihrer Mutter Bescheid zu geben, dass sie „ordentliche“ Kleidung braucht.
Wenn Mädchen oder Jungs das erste Mal aufgegriffen werden, müssen sie ein Formular unterschreiben und zusichern, dass sie sich nie wieder „unrechtmäßig“ in der Öffentlichkeit zeigen werden. Falls doch, drohen Geldstrafen oder Festsetzungen in einer Polizeizelle. Und genau diese Polizeiaufenthalte sind es, die IranerInnen Angst machen. Obwohl Iran kein rechtsfreier Raum ist, gilt die Regel, dass immer alles passieren kann, und jedes Problem kann sich schnell verschlimmern. Bei einem Polizeibesuch bedeutet dieses ungeschriebene Gesetz, dass es immer möglich ist, dass man die Polizeistation wegen eines kleinen Delikts betritt und sie, für andere „Verbrechen“ bestraft, wieder verlässt.
Für Frauen ist der Sommer besonders schlimm
So pochen die Herzen der IranerInnen hektisch und nervös, wenn die grimmigen “Moralapolstel“ sie beäugen. Diese bekommen für jeden, den sie in die Polizeistation bringen, Geld. So wissen auch viele IranerInnen, dass es besonders gefährlich ist, an den Sittenwächtern vorbei zu gehen, wenn der Wagen fast voll ist und sie einfach nur noch schnell los wollen. Dann herrscht zunehmend Willkür. So ist es nicht ungewöhnlich, dass die Aufgegriffenen anfangen, mit den Ershad zu diskutieren, zu streiten oder sogar laut zu werden. Je mehr Aufmerksamkeit die Wächter auf sich ziehen, desto vorsichtiger werden sie. Daher trifft man sie weniger an Freitagen, an denen die Straßen besonders voll sind und sich schneller eine Gruppe bildet, die die streitenden IranerInnen lauthals unterstützt.
Natürlich haben die Sittenwächter vor allem Mädchen und Frauen im Visier, doch auch für Männer gibt es Regeln. Diese werden allerdings weniger streng verfolgt, und so müssen Männer nicht unbedingt fürchten, herausgegriffen zu werden, wenn sie mit einem kurzen T-Shirt, welches die Ellenbogen “offenlegt“, an den Kontrolleuren vorbei gehen. Bei Hosen hingegen ist man da schon strenger. So sieht man praktisch keine Iraner, die eine kurze Hose tragen, obwohl laut Gesetz nur die Knie bedeckt sein müssten.
Für die Frauen ist der Sommer besonders schlimm. Wie die Wespen strömen da die Ershad auf die Straßen und suchen nach Mädchen, deren Mäntel an den heißen Sommertagen zu kurz für das Gesetz sind. Die Knöchel müssen bedeckt sein, die Ärmel an die Handgelenke reichen, das Kopftuch die Ohren verdecken. Aber letztlich können sie auch für Nagellack, Schminke oder Schmuck Probleme bekommen.
Kleidung entsprechend dem Tag und der Route durch die Stadt
Iran nennt sich selbst den Staat, der die „Unterdrückten“ befreit und ihnen eine Stimme gibt. Auf eine zynische Weise stimmt das sogar in diesem Fall. Die Sittenpolizei ermöglicht Männern und Frauen, die sich sonst vielleicht übergangen fühlen, auf einfache Art anderen gegenüber Macht auszuüben. Die „Unterdrückten“ unterdrücken dann alle “anderen“ Menschen.
Das Prinzip ist nicht neu, sondern gewöhnlicher Ausdruck menschlicher Schwäche und aus vielen historischen und gegenwärtigen Beispielen bekannt. Interessant ist, dass trotz aller Willkür im iranischen System selbst die Sittenpolizei den Menschen – gewollt oder ungewollt – ein gewisses Maß an Planungssicherheit gibt. Denn obwohl sie zwar theoretisch überall sein können, stehen die PolizistInnen meist an den gleichen, schon bekannten, Ecken. So passen IranerInnen entsprechend dem Tag, dem Ziel und der Route durch die Stadt ihren Kleidungsstil an. Und da es dann gewisse “Hot Spots“ gibt sind bei Frauen überziehbare Ärmel auch ein echter Renner geworden. Natürlich in Schwarz und ganz im Sinne der Gleichberechtigung.