Vergangene Nacht deutscher Zeit, am 65. Jahrestag des UN-Teilungsplans und dem internationalen Palästina-Solidaritätstag, hat die UN-Vollversammlung Palästina zum "staatlichen Beobachter" erklärt. Mit 138 Stimmen dafür, 41 Enthaltungen und nur neun Stimmen gegen den Antrag ein großer Erfolg für den palästinensischen Präsidenten Abbas. Die Krux an dem neuen Status Palästinas ist das Attribut "staatlich", denn bislang war Palästina eine bloße "beobachtende Einheit". Die Aufwertung ist vor allem symbolisch. Einige praktische Konsequenzen aber gibt es: Als ‚Staat’ kann Palästina einigen dutzend Unterorganisationen der UN beitreten und – ein besonders beachteter Punkt – die internationale Gerichtsbarkeit anrufen.
Ein Erfolg mit bitterem Beigeschmack – aber ein erster Schritt
Mit der Abstimmung haben jahrelange diplomatische Bemühungen, Drohungen und Enttäuschungen einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die Palästinenser haben seit den Oslo-Abkommen der 1990er ihre Chancen auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung immer weiter schwinden sehen. Nachdem die bilateralen Abkommen von Oslo durch Verschleppung zunichte gemacht wurden und die so mit ausgelöste Gewalt der zweiten Intifada nichts als weitere Einschränkungen brachte, gilt der Weg über die Staatengemeinschaft vielen als letzte Möglichkeit für ein unabhängiges Palästina.
Nun ist – paradoxerweise – die Abstimmung der UN-Vollversammlung eigentlich ein Erfolg in abgeschwächter Form: Der ursprüngliche Plan Palästina zum UN-Vollmitglied zu machen scheiterte vergangenes Jahr an mangelnder Unterstützung und dem drohenden amerikanischen Veto im kleinen Zirkel des Sicherheitsrates. Auch dieses Mal hatten noch bis zum Tag der Abstimmung einige gewichtige Staaten wie die USA und Großbritannien versucht, die palästinensischen Diplomaten von ihrem Vorhaben abzubringen. Die palästinensische Führung aber hielt an ihrer Resolution fest – auch weil sie wohl der letzte Halt ist, an den sie sich klammern kann.
Israel verdammt den Schritt als "einseitig" und baut weiter an seinen Siedlungen
Israel, unterstützt von den USA, lehnte den Schritt kategorisch mit der Begründung ab, solch einseitiges Vorgehen gefährde eine gemeinsame Verhandlungslösung. Wahre Gespräche aber gibt es seit Jahren nicht mehr: Israel fordert Verhandlungen ‚ohne Vorbedingungen’, doch das hieße für die Palästinenser den völkerrechtswidrigen Siedlungsbau ebenso wie rassistische Segregationspolitik zu akzeptieren, also schädliche Vorbedingungen zu billigen. „Unser Schritt ist nicht unilateral. Im Gegenteil: Er ist ein deutliches Bekenntnis zum Multilateralismus“, erklärte Hanan Ashrawi, prominente Vertreterin des PLO Exekutivrats, am Mittwoch vor einer Vielzahl internationaler und lokaler Journalisten in Ramallah.
Um die Abstimmung zu verhindern, hatten Israel, die USA und vereinzelte Verbündete Vergeltungsmaßnahmen angedroht. Die USA könnten Zahlungen an die palästinensische Autonomiebehörde (PA) und auch die UN einfrieren, Israel palästinensische Steuergelder einbehalten. Die ohnehin finanzschwache PA wäre dann pleite und drohe auseinanderzubrechen. Momentan scheint dies allerdings unwahrscheinlich: Weder in Jerusalem noch in Washington hat man Interesse daran, Abbas zu stürzen und damit einen Aufstand zu provozieren. Die PA erklärte, man wisse um die Gefahr, arbeite an Notfallplänen, doch könne man sich nicht „ständig erpressen lassen“. „Gewisse Rechte“, so Ashrawi, „sind nicht käuflich.“
Deutschland enthielt sich – ein Zeichen gegen den Sieldungsbau
Deutschland enthielt sich, wie auch 40 weitere Staaten. In Anbetracht der sonst so starken Unterstützung für Israel auf der internationalen Bühne eine kleine Revolution. Bis kurz vor der Abstimmung schien es wahrscheinlich, dass Deutschland den Antrag Palästinas ablehnen werde. Unter den europäischen Staaten konnte man sich auf keine gemeinsame Position einigen. Wichtige Verbündete Deutschlands, unter anderem Frankreich, Italien, die Schweiz und Spanien unterstützten den Antrag, selbst Großbritannien als erklärter Partner der USA enthielt sich letztendlich der Stimme. Israels mangelnde Kompromissbereitschaft hat in Europa viel Ärger ausgelöst.
Die deutsche Regierung hatte sich in den vergangenen Jahren wiederholt enttäuscht über den offensichtlichen Unwillen Israels gezeigt, sich auf Friedensverhandlungen mit der palästinensischen Führung einzulassen. Kernpunkt für das Scheitern der Verhandlungen war und ist der Bau israelischer Siedlungen im Westjordanland: Die Politik der Besiedlung schafft Fakten, die eindeutig die angestrebte Zwei-Staaten-Lösung untergraben. International wird das stark kritisiert und auch deutsche Politiker zeigen sich zunehmend irritiert.
In den vom israelischen Staat geförderten jüdischen Siedlungen auf besetztem Land leben inzwischen über 500.000 Menschen, die Siedlerbevölkerung wächst jährlich um ca. 5%. Diese Ansiedlung unter Besatzung ist nicht nur völkerrechtlich illegal, sondern bedeutet für die palästinensische Bevölkerung die Einschränkung ihrer Freiheit und Sicherheit. Gewalttätige Übergriffe durch Siedler nehmen zu, inzwischen sehen sich selbst israelische Sicherheitskräfte bedroht. Die Infrastruktur der Siedlungen zerstückelt nach und nach eben jenes Gebiet, das für einen zukünftigen Staat Palästina in den Grenzen des Waffenstillstands von 1967 vorgesehen ist. Und so warnte Präsident Abbas in seiner Rede, dies sei wohl „die letzte Gelegenheit für die Zwei-Staaten-Lösung“.
Was folgt der Erklärung also außer Beifall für Abbas in New York?
Für Israel war das Abstimmungsergebnis- trotz des langen Vorlaufs- eine höchst unangenehme Überraschung. Man fürchtet palästinensische Klagen vor dem internationalen Strafgerichtshof – aber vor allem das Schwinden internationaler Unterstützung. Die Abstimmung zeigte Israel – unterstützt nur von den USA, Panama und vereinzelten Pazifikinseln – vor der Weltöffentlichkeit isoliert. Da halfen auch die geschliffenen Worte des israelischen UN-Gesandten Ron Prosor nicht, der Abbas in Anspielung auf die Hamas-Regierung im Gazastreifen vorwarf, einen Großteil der palästinensischen Autonomiegebiete nicht einmal betreten zu können. Dass dem palästinensischen Präsidenten auch große Teile des Westjordanlands aufgrund israelischer Blockaden nicht zugänglich sind, gab der Äußerung eine ironische Note.
Das angesprochene Schisma zwischen Westjordanland und Gaza aber muss die PA tatsächlich überwinden, um aus dem "Beobachterstaat" einen Staat für seine Bevölkerung zu machen. Tatsächlich hatte die Abbas-Regierung es geschafft, alle palästinensischen Fraktionen einschließlich der Hamas für den Gang vor die UN hinter sich zu vereinen. Und so standen Vertreter aller Bewegungen am 29. November Arm in Arm auf dem Arafat-Platz in Ramallah, um vor tausenden Zuschauern ihre Unterstützung der nationalen Sache zu bekunden. Doch ob in den kommenden Wochen tatsächlich eine Einigung zwischen Fatah und Hamas zustande kommt, bleibt abzuwarten. Die Hamas konnte zuletzt ihre Position vis-à-vis der Fatah stärken, nachdem sie sich während der letzten Gaza-Eskalation als ‚echte’ Widerstandsbewegung profilierte.
In den Straßen Ramallahs ist die Stimmung gut- und ohne überzogene Erwartungen
Die Menschen, die ihren zukünftigen Staat an diesem Tag in den Straßen feierten, äußerten sich nüchtern hoffnungsfroh. „Glücklich und stolz“ sei er, sagte Zaid Al-Ayoubi, Richter am palästinensischen Obersten Gericht. „Wir können so zeigen, dass wir zivilisierte Menschen sind, nicht die Mörder und Terroristen als die wir dargestellt werden“, fügt Lehrer Abdalrahim Zayed hinzu. „Und doch wissen wir, dass dieser Schritt nicht von heute auf morgen alles verändert. Die israelische Besatzung bleibt. Viele weitere Schritte müssen folgen. Aber es ist ein Anfang.“
Währenddessen wird von Seiten Israels die Politik der Segregation, unterfüttert von zunehmend offen rassistischer Rhetorik, immer stärker. Das gilt sowohl in den besetzten Gebieten als auch gegenüber der palästinensisch-arabischen Bevölkerung in Israel. Viele Palästinenser nehmen den Gang vor die UN als kleines aber doch fühlbares Zeichen der Würde wahr. Was nun folgt, wie entschlossen die palästinensische Führung auch die weiteren Schritte in Angriff nehmen kann, bleibt abzuwarten. Mit ihrer Politik der Förderung von wirtschaftlicher statt politischer Freiheit jedenfalls werden die Anzugträger der palästinensischen Autonomiebehörden schon bald an die Grenzen der Besatzung stoßen.
„Die Anerkennung als Staat durch die Vereinten Nationen aber“, so Ashrawi, „wird zumindest verdeutlichen, dass Israel eine Besatzungsmacht ist, und nicht bloß ein Staat auf "umstrittenem Territorium." Oder, wie es ein junges Mädchen fröhlich aber nachdrücklich in Ramallah formulierte: „Die Welt muss zugeben, dass es ein palästinensisches Volk gibt. Wir wollen die gleichen Rechte, wie alle anderen Menschen auch.“