15.11.2012
Frauen in den Revolutionen: Der Kampf beginnt jetzt

Als die arabischen Völker ihre Despoten stürzten, marschierten Frauen in den Demonstrationen vorne mit, organisierten Protestcamps und verarzteten die Verletzten. Doch nun scheint es, als habe sich ihre Position in Gesellschaft und Politik eher verschlechtert als verbessert. Alsharq-Gastautorin Huda Zein erklärt, warum: Die gesellschaftlichen Strukturen blieben auch nach dem Sturz der Regime bestehen. Die Revolution ist erst vorbei, wenn sich die Frauen ihre volle Freiheit erkämpft haben.

Ein Gesamtbild davon zu geben, welche Rolle und welche Bedeutung Frauen bei der Entstehung von Revolutionen einnehmen, ist schwierig und riskant; es ist auch nicht einfach, das richtig einzuschätzen und zu beurteilen. Wir erleben immer noch das Entstehen der Revolutionen. Über die Potentiale einer neuen Zukunft und neuer Geschlechterverhältnisse, die die arabischen Gesellschaften durch die Revolutionen in sich tragen, kann man heute nur vage spekulieren. Uns fehlt die Distanz zu den Abläufen der Revolutionen. Wir können heute aus der Nähe diese vulkanischen Explosionen in der arabischen Welt noch nicht richtig oder umfassend überblicken.

„Die Befreiung ist eine geschichtliche Tat, keine Gedankentat, und sie wird bewirkt durch geschichtliche Verhältnisse“, so haben Marx und Engels in ihrem Werk „Deutsche Ideologie“ geschrieben. Eine Revolution ist noch keine Freiheit, insbesondere nicht für die Frauen. Sie entwickelt, nach Adorno gesprochen, „das Potential der Freiheit und die Wirklichkeit der Unterdrückung“. Denken wir z.B. an die Rede von Mustafa Abdul Jalil, Chef der libyschen Übergangsregierung nach der Befreiung Libyens von der Herrschaft Muammar Gaddafis, der die Polygamie forderte und Frauen lediglich dafür dankte, dass sie Mütter, Schwestern und Ehefrauen seien.

Auch in Ägypten waren Frauen von wichtigen entscheidungstreffenden Institutionen ausgeschlossen, und noch nicht einmal zehn Frauen haben Sitze im kürzlich aufgelösten neuen ägyptischen Parlament gewonnen, das sind weniger als 2 Prozent der insgesamt 498 Sitze. In der letzten Parlamentswahl unter Mubarak im Dezember 2010 waren noch 64 der 518 Sitze für Frauen reserviert worden. Eine Revolution ist also ein Prozess, nicht ein Ereignis, das sich mit einem bloßen Machtwechsel begnügt. Wir erleben heute in allen arabischen Ländern, in denen es aus gesellschaftlichen Widersprüchen zu revolutionären Erschütterungen kam, nur einen Moment im Prozess der Revolution. Die arabischen Bevölkerungen erheben sich revolutionär gegen ihre Despotien, gegen die ökonomischen und politischen Monopolherrschaften und gegen gewalttätige willkürliche Bestimmungen über ihre politischen Rechte und Menschenrechte.

Auch die arabischen Frauen marschieren und protestieren mit. Sie waren in den revolutionären Handlungen nicht nur aktive, sondern auch notwendige Akteure. Die Teilnahme der Frauen an dem revolutionären Kampf verlieh ihnen Legitimität und Aufmerksamkeit. Ich erinneren daran, dass in Alexandria sogar ältere Hausfrauen von ihren Balkonen aus die Polizei mit Töpfen und Pfannen beschossen haben. Auch in Bahrain marschierten tausende Frauen aller Altersgruppen in ihrem traditionellen Hijab in den Demonstrationen mit und zeigten enormen Mut gegenüber den brutalen Sicherheitskräften. Überall waren sie an den Demonstrationen beteiligt. Sie haben den Aufstand mit organisiert, nicht nur per Facebook und Twitter, sondern mit vollem Einsatz: Auf den Plätzen des Wandels und auch in vielen anderen Bereichen. Sie wirkten nicht nur im Hintergrund bei der Logistik mit, sondern viele von ihnen kämpften an vorderster Front.

Natürlich ist die Zahl der getöteten und verhafteten Männer weit größer als die der Frauen. Dies liegt an der üblichen Verteilung der Rollen, in der die Männer das öffentliche Leben dominieren und der Schutz der Familie und des Landes historisch und traditionell als Aufgabe des Mannes aufgefasst wird. Aber so unterschiedlich auch die Rollen der Frauen und Männer sind, so haben sich dennoch viele Frauen nicht auf medizinisch-humanitäre Hilfe oder sozial motivierte Aktionen beschränkt, sondern haben sich auch einflussreich auf der Führung- und Organisationsebene eingebracht.

Erst wenn die arabischen Revolutionen in ihrem langen Prozess die Frauen als aktive und gleichberechtigte Akteure voll am wirtschaftlichen, sozialen und politischen Leben teilhaben lassen, erst dann kann man von der Revolution als einem tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel sprechen.
Denn eine Diktatur zu stürzen bedeutet nicht die Aufhebung der männlich dominierten Gesellschaftsform. Das heißt ohne eine qualitative wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung bleibt die Befreiung der Frauen eine Utopie. In dem Prisma des gesellschaftlichen Zusammenhangs brechen sich alle Alltagsbeziehungen als praktische Hinweise, an denen die Befreiung der Frauen gemessen wird. Denken wir an das Bild aus Kairo, das um die ganze Welt ging: Eine junge Demonstrantin liegt wehrlos am Boden, während Soldaten sie treten und ihr die Kleider bis auf ihren blauen BH vom Oberkörper reißen.

Viele Ägypter geben ihr, dem Opfer selbst, die Schuld an der an ihr verübten Gewaltorgie. Hier stellen sich die Fragen: Wie wirken die arabischen Revolutionen auf Alltagsbeziehungen und Geschlechterverhältnisse und welche Parallelen kann man zu Vergesellschaftungsformen ziehen? Wie artikuliert sich soziale Gerechtigkeit innerhalb des revolutionären Prozesses und warum betrifft dies besonders die Frauen? Inwieweit bewirken die islamischen Parteien in den arabischen Ländern mit der Machtübernahme und dem Einfluss der organisierten Religion eine Verschmelzung von religiösen und politischen Hierarchien, und wie wird sich das auf das Verhältnis zwischen Frau und Gesellschaft auswirken?

Die unvollendeten Revolutionen haben die Frauen, wie andere marginalisierte Schichten in der Gesellschaft, gezwungen, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, Verantwortung zu übernehmen und damit ihr Selbstbewusstsein zu stärken. Als sie Verantwortung übernahmen, entdeckten sie bei sich Fähigkeiten, die sie nicht kannten, und haben diese weiterentwickelt. Denn, so der italienische Soziologe Danilo Dolci, „Revolution heißt, jedem Verantwortung zu geben.“ Es handelt sich dabei um die Verantwortung, sich selbst und den Revolutionsprozess voranzutreiben. Die arabischen Frauen haben deutlich ihre Verantwortung in der Revolution übernommen, doch dann gehörten sie zu den ersten Opfern der Konterrevolution. Dies ist keine Ausnahme in der Geschichte der Revolutionen.

Es ist durchaus zu befürchten, dass die arabischen Revolutionen zu einer weiteren Marginalisierung der Frauen in ihren Gesellschaften führen, und zwar nicht nur vonseiten der islamistischen Bewegungen, sondern auch gleichermaßen vonseiten sogenannter konterrevolutionärer und reaktionärer Kräfte. Doch: „Wir werden uns das nicht gefallen lassen“, sagt die 80-jährige ägyptische Autorin Nawal Al Sadaawi, eine der prominentesten Frauenrechtlerinnen in der arabischen Welt.
Während der Proteste, die seit mehr als einem Jahr die arabische Welt erschüttern, spielten (und spielen immer noch) Frauen eine wichtige Rolle: In Tunesien, Ägypten, Jemen, Bahrain und in Syrien. Als dann die Diktatoren in manchen Ländern gestürzt waren und es um den neuen Aufbau der Politik ging, da traten die Frauen wieder in den Hintergrund. So wurde beispielsweise. in Tunesien eine Übergangsregierung gegründet, ohne zumindest einen der wichtigen Ministerposten an eine Frau zu übertragen. Auch das nach dem Sturz von Mubarak eingesetzte Verfassungsgremium in Ägypten hat keine Frau aufgenommen.

In Tunesien sind die Frauen seit 1956 gesetzlich den Männern gleichgestellt. Laut Quotensystem sind 48 von 217 der Abgeordnetensitze im neuen Parlament für Frauen reserviert. Somit erhielten bei den letzten Wahlen im Okt. 2011 die Frauen 23% der Parlamentssitze – das ist ein größerer Anteil als im US-Kongress. Da es in Tunesien seit 1956 ein progressives Familiengesetz gibt und die Trennung von Staat und Religion vollzogen ist, und da die tunesische Gesellschaft als relativ homogene Bevölkerung mit gutem Ausbildungsstand zu bezeichnen ist, verfügt das Land über bessere Voraussetzungen für Veränderung als andere arabische Staaten. Doch die Befreiung der Frauen beschränkt sich nicht nur auf das rechtliche Feld, sondern erstreckt sich auch auf religiöse, soziale, familienrechtliche und wirtschaftliche Bereiche. Hier stellt sich die Frage: Wird eine islamische Partei wie die Nahda-Partei, die in den Parlamentswahlen 2011 mit 41% als Gewinner hervorging, die institutionelle Trennung von Staat und Religion zulassen, die die Voraussetzung für die Säkularisierung der Gesellschaft und damit für die Befreiung der Frauen ist? Eines der Versprechen der al-Nahda lautet, dass sie die Rechte der Frauen nicht antasten wollen. Gleichzeitig aber kündigte der Parteichef Rachid Ghannouchi die Wiedereinführung der Polygamie an. Der Rest der Scharia wird wahrscheinlich nicht lange auf sich warten lassen.

Der eigentliche Kampf für die Frauen beginnt sicherlich erst jetzt nach dem Sturz der Autokraten in Tunesien, Ägypten, Jemen und Libyen. Man weiß ja nun, dass die Rechte und Menschenrechte mit den eigenen Händen erkämpft werden müssen, damit man nicht zum ohnmächtigen Zuschauer degradiert wird.

Im Jemen, dem ärmsten Land der arabischen Region, beeindruckte die Tatsache, wie viele Menschen friedlich auf der Straße demonstrierten, obwohl viele Jemeniten Waffen besitzen. Selbst Tausende von Jemenitinnen marschierten in bodenlangen schwarzen Kleidern mit hijab in den Protestzügen, unterwegs auf dem Weg zum Sturz des Regimes. Eine unter ihnen war Tawakul Karman, die erste arabische Frau, die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Viele jementische Frauen und Studentinnen haben einen Großteil ihrer Zeit den Demonstrationen oder der Dokumentation der Ereignisse gewidmet. Sie beteiligten sich an Protestdemonstrationen, am Aufbau der Zelte und Feldlazarette und nahmen an Kampagnen für ein Ende der Despotie teil.

Das Argument von Präsident Salih, das religiöse Motive instrumentalisierte, nämlich, dass Männer und Frauen aus religiösen und moralischen Gründen nicht Seite an Seite protestieren dürften, wurde von den Demonstranten der Muslimbruderschaft Islah aufgegriffen: Sie schlugen auf Aktivistinnen ein und verlangten, dass sie auf getrennten Demonstrationen protestieren sollten, an denen lediglich Frauen teilnehmen sollten. Doch die jemenitischen Aktivistinnen weigerten sich.

Die linke jemenitische Autorin Buschra al-Maqtari schreibt: „Einige Parteien instrumentalisieren die Mitwirkung der Frauen in der Revolution vor der internationalen Gemeinschaft. Es herrscht immer noch das traditionelle Bild über die Rolle der Frauen. Und wir Frauen müssen laut schreien: Frauen wollen das Regime, die Unwissenheit, die religiöse Macht und die Unterdrücker stürzen und ein neues ziviles Leben aufbauen!“

Man muss bedenken, dass die drei Faktoren Armut, Scharia-Rechtsprechung und Stammeszugehörigkeit das Leben der Jemeniten bestimmen. Frauen und Mädchen erleben im Jemen verschiedene Formen von Diskriminierung und Gewalt und das Gesetz schützt sie nicht ausdrücklich. Der Jemen hat auch seit einer Gesetzesnovelle von 1999 kein Mindestalter für die Eheschließung, sondern nur eines für den Vollzug der Ehe (15 Jahre). Der jemenitische Gesetzgeber schreibt beispielweise vor, dass eine Vereinbarung zum Zeitpunkt der Eheschließung dem Mann Verfügungsgewalt über seine Frau einräumt (so kann sie z.B. nur erwerbstätig sein oder ihre Schulausbildung oder Studium beenden, wenn er es erlaubt).

Darauf basierend wird deutlich, dass selbst der Sturz des politischen Regimes die gesellschaftlich tief verankerte Frauenstellung in Jemen nicht wirklich verändern wird. Trotzdem entstand mit der Revolution ein neues Bewusstsein, das einen richtigen Schritt auf dem Weg der Befreiung darstellt. Die Menschenrechtsaktivistin und freie Journalistin Kawkab al-Thaibani bemerkt: „Eine Analphabetin hat mir gesagt, sie fühle sich, als würde sie gebildet allein dadurch, dass sie am Leben auf dem Platz des Wandels teilhabe.“

„Halt, du stehst vor einer Syrerin!“, so hat Jafra Baha, eine syrische Schriftstellerin, ihren Artikel betitelt. In Syrien hat der Kampf gegen Assads Regime ein anderes Gesicht. Denn der Kampf im revolutionären syrischen Aufbruch gegen Folterung und Gewalt ist zunächst ein Kampf um das Recht aufs Leben überhaupt, für beide, Mann und Frau. Die syrischen Frauen standen bereits in der ersten Demonstration am 15.3.2011 ganz vorne in erster Reihe. Sie protestierten mit den Männern in den Demonstrationen; zahlreiche von ihnen wurden inhaftiert und gefoltert. Die 21-jährige Zada sagte: „Auch Frauen werden misshandelt. Nach meiner Verhaftung haben sie mich geschlagen und gefoltert.“

Die verschiedenen Formen der Teilnahme am revolutionären Kampf der syrischen Frauen reichte von der moralischen Unterstützung bis zur persönlichen Mitwirkung in vielen Aktivitäten und der Gründung kleiner Gruppen oder Vereine bis hin zum Widerstand auf logistischer und symbolischer Ebene.

Frauen waren demnach eine aktive und treibende Kraft im Protest und beteiligten sich auch als Bloggerinnen oder in Facebook, wie etwa Razan Ghazawi, die im Dezember 2011 kurzzeitig verhaftet wurde.

Suhair al-Atasi, die Tochter des verstorbenen Oppositionellen Jamal al-Atasi, - die an den ersten Demonstrationen in Damaskus teilnahm und in den lokalen Koordinationskomitees arbeitet, Demonstrationen organisiert, versichert: „Nachdem so viele Menschen gestorben sind und so viel Blut für die Freiheit vergossen wurde, gibt es keinen Weg mehr zurück. Wir können diese Leute nicht verraten. Auch wenn es noch mehr Tote und Verhaftete gibt: Wir marschieren weiter auf dem Weg zur Freiheit.“

Die Schriftstellerin Samar Yazbek hat in ihrem 2011 erschienen Tagebuch „Schrei nach Freiheit“ protokolliert, was sie in den ersten Monaten der Revolution in Syrien erlebt hat. Sie schildert, wie sie im Mai 2011 mit einer Gruppe Frauen zu einer Demonstration ging und wie die Sicherheitskräfte innerhalb weniger Minuten die Frauen blutig schlugen. Sie erzählt, dass sie einfache Menschen in den Demonstrationen sah, die Freiheit verlangten, und sagte: „Das ist eine Revolution der einfachen Menschen, wir Intellektuellen haben uns ihnen nur angeschlossen.“ „Sie sind etwas Besonderes, sie haben dokumentiert, gefilmt, Verletzte versorgt.“ Sie selbst wurde auch inhaftiert und beschreibt, was sie im Gefängnis sah, nämlich verschwollene Gesichter, blutig aufgerissene Körper, rohes Fleisch. Sie sagte: „Wenn man monatelang in täglicher Todesangst lebt, wenn jeder Moment der letzte sein kann, wenn direkt neben dir Menschen erschossen werden, dann passiert etwas Eigenartiges: Irgendwann ist der Punkt erreicht, wo die Angst in Mut umschlägt. Wo man das Gefühl hat, ihr könnt uns nicht alle umbringen. Jetzt gehen wir unseren Weg zu Ende. Was immer passiert.“

Die Liste der während der Revolution verhafteten Frauen in Syrien ist lang, und die Zahl der getöteten Frauen sehr hoch (mehr als 1000), viele weitere sind entführt, misshandelt oder sogar vergewaltigt worden. Und immer wieder gibt es Frauen, die trotzdem weiter durch schweigende Demonstrationen, häusliche Sitzstreiks oder Revolutionslieder und -slogans kreativ bleiben und aktiv am Kampf teilnehmen.

Die Lebensbedingungen für viele Familien in den betroffenen Städten sind sehr schlecht, es gibt nicht genügend Lebensmittel, keine Medizin, oft keinen Strom und kein Wasser. Zudem haben viele von ihnen durch militärische Angriffe ihre Häuser verloren. Unter diesen harten Bedingungen mussten die Frauen in manchen betroffenen Gebieten ihre kleinen Kinder ernähren, manche mussten wie in der Steinzeit mit Stein und Holz kochen. Man sah in den Gesichtern dieser Frauen den Schrei: „Wir lassen uns nicht unterdrücken, wir revoltieren für unsere Freiheit!“

Die syrischen Frauen setzen sich eher für den gewaltfreien Kampf ein und sind tendenziell aktiver an der friedlichen Revolution beteiligt. Das heißt, sobald der bewaffnete Kampf, wie in Libyen und Syrien, beginnt, nehmen die Aktivitäten und die Beteiligung der Frauen am revolutionären Kampf deutlich ab. Der Krieg oder der bewaffnete Kampf, die Gewalt, ist historisch gesehen eine männliche Aktivität. Mit dem bewaffneten Kampf werden männliche und patriarchale Werte in der gesellschaftlichen Praxis reproduziert. Mit der Militarisierung der libyschen und der syrischen Revolution verschärfen sich konstruierte Geschlechterdifferenzen und -hierarchien. Mit dem frauenfreien bewaffneten Kampf und dem Abdrängen der Frauen ins politische Abseits verfestigen sich folglich die Stereotype der Geschlechterrollen für Frauen.

Die arabischen Revolutionen markieren den Beginn einer gewaltigen Welle revolutionären Kampfes, um das Alte niederzureißen und etwas Neues aufzubauen. Nichtsdestotrotz bleibt die Frage nach den Folgen und wie die einzelnen Revolutionen in den arabischen Autokratien sich entwickeln mögen. Denn „Revolutionen gibt es nur ohne Gewähr“. Was bezeugt werden kann, ist, dass die arabischen Frauen im Zuge der Entwicklungen selbstbewusster und kritischer geworden sind.

Die Teilnahme der arabischen Frau an den revolutionären Aufständen sollte jedoch in ihrer Wirkung und im Rahmen ihres objektiven Kontexts nicht überbewertet werden. Sieht man sich die vom Umsturz betroffenen arabischen Staaten an, wird man weiter feststellen, dass vielleicht zwar das politische Regime gestürzt wurde, doch dass hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses etablierte Strukturen auch in den revolutionären Gesellschaften weiter bestehen. Die revolutionären Prozesse in den Ländern der arabischen „Revolutionen“ und deren politische und soziale Auswirkungen sind noch nicht so weit gediehen, als dass auf ihrer Grundlage eine umfassende neue Herrschaftsordnung etabliert werden könnte, da diese sich erst nach vielen Jahren oder Generationen entfalten wird. Die Schaffung neuer Herrschaftsstrukturen, neuer gesellschaftlicher Bedingungen und damit auch von „neuen“ Männern und Frauen, die fähig sind, nicht nur alte Herrscher durch neue zu ersetzen, sondern Basis und Überbau grundlegend neu zuordnen, ist ein langer Prozess. Dieser Kampf ist noch längst nicht zu Ende.

Die wirtschaftlichen Bedingungen und die übergreifenden patriarchalen Verhältnisse bestimmen nach wie vor das Leben der arabischen Frauen, trotz oder neben der neuen Lebensperspektive, welche die Revolution ermöglicht. So wie die Unterdrückung der Frauen die erste soziale Unterordnung in der Geschichte war, wird sich die Gleichberechtigung der Frauen im gesellschaftlichen Sinn als die letzte Emanzipation in einer Gesellschaft vollziehen, die sich auf dem Weg der umfassenden Befreiung befindet. Die arabischen Revolutionen eröffnen den arabischen Frauen neue Lebenswege - auch aufgrund dessen lässt sich dieser geschichtliche Moment als einer der aufregendsten und schwersten in dieser Region bezeichnen. Die Durchsetzung der revolutionären Praxis wird eine neue Freiheitsordnung herausbilden, und die Abweichung von dieser wird unvermeidlich auch zu einer Abweichung von den anfänglichen Zielen und Werten der Revolution führen.

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