Am vergangenen Montag trat im Libanon ein umfassendes Rauchverbot in öffentlichen Räumen in Kraft. Das Land verliert damit viele potenzielle Krebspatienten, aber auch ein wenig Charme. Ein Nachruf.
Für ein libanesisches Studentenvisum braucht man unter anderem einen Stempel des Bildungsministeriums. Das ist ein eindrucksvoller, 15-stöckiger, moderner Bau in Südbeirut. Man betritt ihn durch eine gläserne Drehtür, passiert die elektronische Sicherheitskontrolle, und meldet sich am Empfang bei jungen, adrett gekleideten Empfangsdamen an.
Aber in dem zuständigen Büro im sechsten Stock standen im Herbst 2010 zwei alte, massive Schreibtische, und darauf zwei randvolle Aschenbecher. Hinter den Tischen saßen Männer Anfang 60, die ohne Unterlass Papiere von einem riesigen Stapel nahmen, stempelten und auf einen anderen ebenso riesigen Stapel legten – mit der Kippe im Mundwinkel. In der Ecke blubberte der Kaffee auf einem kleinen Elektrokocher, und alles wirkte dermaßen gemütlich, als wäre dies ein Straßencafe und kein Ministerium.
Es war einmal ein Libanon, da rauchten alle überall. Nicht nur in den Ministerien, auch in den Bussen, in allen Bars, Restaurants, Wechselstuben, Geschäften… Riesige, aufwändig gestaltete Plakatwände entlang der Autobahnen warben für Zigaretten. In der Universität rauchten die Professoren auf dem Flur beim Gang von einem Seminarraum zum anderen, und die Studierenden rauchten in der Mensa. Tabakfirmen verteilten vor Clubs Zigaretten schachtelweise als Werbegeschenke. Vor allem Light-Zigaretten waren schwer in Mode. In der Einwanderungsbehörde stand an der Wand ein kleines Regal, mit Chips und Knabbereien in den oberen Fächern und hunderten Zigarettenschachteln in den unteren.
Und vor allem – es war einmal ein Libanon, da glühte in jedem noch so kleinen Kebab-Laden eine Nargileh – die arabische Wasserpfeife, die bei uns auch als Shisha bekannt ist. Sie standen zwischen den Tischen in den meisten Cafés und Restaurants, und dufteten in den ungewöhnlichsten Geschmacksrichtungen, von Pfirsich über Minze und Mango bis hin zu Blumen; manchmal steckten Zitronenhälften darin und hängten Melonenscheiben daran. Ein eigens dafür angestellter Kellner lief mit einem Eimer voll glühender Kohlen zwischen den Gästen herum und sorgte dafür, dass der weiße Rauch nicht erlosch.
Diesen Libanon gibt es nicht mehr.
Um eines klarzustellen: Natürlich ist Rauchen schlecht. Es gefährdet die Gesundheit, kann zum Tod führen, es belästigt unbeteiligte Menschen, es verdreckt die Straßen und öffentlichen Plätze und es stinkt. Die Tätigkeit des Rauchens an sich ist widernatürlich und irrational.
In diesem Wissen hat das libanesische Parlament vergangenes Jahr ein Gesetz erlassen, welches Rauchen in allen geschlossenen öffentlichen Räumen verbietet, einschließlich Cafés, Restaurants und Bars. Außerdem verbietet es Tabakwerbung. Dieses Gesetz trat am Montag vor einer Woche in Kraft, und die Libanesen halten sich auch größtenteils daran, denn die Strafen sind saftig: Wer sich erwischen lässt, zahlt eine Geldstrafe in Höhe von 90 US-Dollar, der zuständige Restaurantbesitzer muss mit Strafen von 900 bis 2700 US-Dollar rechnen.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation rauchen im Libanon rund 45 Prozent der Männer und knapp ein Drittel der Frauen, das ist zusammengerechnet die höchste Rate im Mashreq. Die Zahl der Krebserkrankungen, die direkt mit Tabak zusammenhängen, steigt rasant an. Insofern ist das Rauchverbot nur folgerichtig. Nachdem es nur in geschlossenen Räumen gilt, zielt es wohl vor allem auf den Schutz von unbeteiligten Passivrauchern. Wollte die Regierung ernsthaft die Zahl der Raucher verringern, wäre es effektiver, etwa durch Steuern den Zigarettenpreis zu erhöhen; der liegt nach wie vor bei gerade mal rund einem Euro pro Schachtel. Auf den zahlreichen Dachterrassen und in den Bordsteincafés werden die Libanesen also vermutlich weiter qualmen. Die Klagen der Restaurantbesitzer, das Verbot führe zu Umsatzeinbrüchen, sind kaum zu rechtfertigen.
Und dennoch hat das Gesetz noch eine weitere Dimension. Die Wasserpfeife, obwohl ursprünglich persisch, ist eine libanesische Institution wie Zeder und Hummus und aus dem Straßenbild kaum wegzudenken. Das Lied „Retani“des libanesischen Sängers Fares Karam, welches das Verlangen nach einer Frau mit Nargileh-Begriffen beschreibt, lief ein Jahr lang in allen Radiosendern rauf und runter. Die Shisha ist ein Lebensgefühl, ein Gesetz gegen das Wasserpfeiferauchen war lange schlicht nicht vorstellbar.
Insgesamt war der ständige, allgegenwärtige Rauch ein Stück weit ein Symbol dafür, dass der Libanon trotz der oberflächlichen Verwestlichung eben doch im Prinzip seine eigenen Standards hatte – siehe die oben beschriebenen Ministeriumsbeamten. Ausländische Journalisten beschreiben das Leben in Beirut gerne als ständigen „Tanz auf dem Vulkan“. Ihre These lautet: Die Libanesen feiern so exzessiv, weil sie nicht sicher sein können, ob es noch ein Morgen gibt. Das Rauchverhalten passte da ins Bild – nach dem Motto: Die Libanesen rauchen so exzessiv, weil sie das Heute genießen wollen, ohne sich über das Morgen Gedanken zu machen.
Es war einmal ein Libanon, da rauchten alle überall. Wir nehmen von ihm in leiser Nostalgie Abschied und freuen uns auf den neuen, etwas rauchfreieren Libanon. Bleibt nur zu hoffen, dass sich die Ministeriumsbeamten ihre Gemütlichkeit erhalten – auch ohne Zigaretten.