20.10.2012
Anschlag in Beirut: Ziel bekannt
Samstagnachmittag: Ermittler am Anschlagsort in Achrafieh. Foto: Björn Zimprich
Samstagnachmittag: Ermittler am Anschlagsort in Achrafieh. Foto: Björn Zimprich
Aus Beirut berichtet Björn Zimprich
Beirut wurde am Freitagnachmittag von eine schweren Autobombe heimgesucht. Ziel des Anschlages war der Brigadegeneral der ISF Wissam al-Hassan. Das Attentat zielt nicht nur gegen die libanesischen Sicherheitsdienste sondern auch gegen die Oppositionskoalition des 14. März – weckt Erinnerungen an die Anschlagsserie zwischen 2004 und 2008.

14.47 Uhr. Ein dumpfer Knall gefolgt von einem heftigen Windzug. Die Beirutis wissen sofort, was passiert ist, bis in weite Ferne zittert die Erde. Eine Bombe. Die Frage lautet nur: Wo genau ist sie detoniert? Wenig später steigt dichter schwarzer Rauch über der Stadt auf. Menschen laufen im Stadtteil Badaro auf die Straße. Gucken von Balkonen. »Es ist am Sassine«, ruft eine alte Madame von ihrem Balkon. Der belebte Sassine-Platz liegt im Viertel Achrafieh, der Kreisverkehr mit vielen anliegenden Schnellrestaurants und einem großen Einkaufszentrum ist einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte im Osten der Stadt. 

»Wen hat es getroffen?«, fragt der Hausmeister des Gebäudes nach dem Anschlagziel. Die Bombe explodierte in einer Seitenstraße in Achrafieh. Sie töte 8 Menschen und verletzte 78 weitere. Es war der erste Autobomben-Anschlag in Beirut seit dem 25. Januar 2008. Zahlreiche Menschen werden von fliegenden Glassplittern verletzt. Fassaden und Balkone werden zerstört. Das Tatauto fliegt Augenzeugenberichten zufolge bis in die Höhe des 5 Stocks und landet 10 Meter weiter auf einem anderen PKW. Sprengstoffexperten schätzen den verwendeten Sprengsatz auf ca. 30 Kilogramm. Spuren werden durch die Wucht der Detonation vermutlich zerstört.
Nach Bekanntwerden des Bombenanschlags brachen im gesamten Land teils gewaltsame Proteste aus. In sunnitischen Orten und Städten sowie mehrheitlich sunnitischen Stadtteilen in Beirut wurden Straßen blockiert. Betroffen waren im Norden Tripoli und zahlreiche Orte in der Akkar-Ebene, der Küsten-Highway bei Naameh  sowie in Saida und der in Bekaa-Ebene der Highway bei Saadnayel. Alle genannten Orte gelten als Hochburgen der Zukunftsbewegung von Saad Hariri. Bewohner des Stadtteil Achrafieh protestierten am Samstag Nachmittag friedlich gegen den Anschlag in ihrem Stadtviertel.
Der Libanon wurde von 2004 bis 2008 von einer Serie an Anschlägen gegen Politiker geplagt. Nach und nach traf es einen Politiker nach dem anderen. In der Mehrheit galten sie als Kritiker des syrischen Regimes. Das bekannteste Attentatsopfer war der ehemalige Ministerpräsident Rafik Hariri der bei einem Bombenanschlag auf seinen Fahrzeugkonvoi am 14. Februar 2005 starb. In den folgenden anderthalb Jahren wurden dann unter anderem der Verleger Gebran Toueini, der Intellektuelle Samir Kassir, der Chef der libanesischen Kommunisten, George Hawi, und der damalige Industrieminister Pierre Gemayel Jr. ermordet.
Doch diesmal galt die Autobombe keinem Konvoi eines Politikers. Es dauerte Stunden, bis am späten Freitagabend das Ziel des Anschlages bekannt wurde: Wissam al-Hassan, Brigadegeneral der ISF. Die ISF sind die »Interne Sicherheitskräfte des Libanons«, sie nehmen Polizeiaufgaben wahr, sind jedoch auch für Drogen- und Terrorbekämpfung zuständig und unterstehen offiziell dem Innenministerium. Al-Hassan sollte zum Ende des Jahres die Leitung der ISF einnehmen.
Im konfessionell geprägten politischen System des Libanon werden Ministerien und staatliche Institutionen von bestimmten konfessionell und/oder politischen Parteien dominiert. Die ISF steht dabei politisch der Zukunftsbewegung von Ex-Ministerpräsident Saad Hariri, dem Sohn und Nachfolger von Rafik Hariri, nahe. Bereits 2008 wurde mit Wissam Eid ein sunnitischer ISF-Offizier, der mit den Ermittlungen im Mordfall Hariri vertraut war, bei einem Anschlag im Nordwesten Beiruts getötet. Wissam al-Hassan galt als enger Vertrauter des Hariri-Clans. Pikant an der Personalie ist, dass er zwischenzeitlich verdächtigt wurde, an der Ermordung von Rafik Hariri beteiligt gewesen zu sein. Saad Hariri hat jedoch zu jeder Zeit sein Vertrauen und seine Verbundenheit zu al-Hassan zum Ausdruck gebracht. Möglicherweise war auch diese Episode nur sinnbildlich für den Machtkampf, der in den vergangenen Jahren um Einfluss und Kontrolle der ISF tobte. Der einst hoffnungsvoll gestartete Innenminister Ziyad Baroud warf deswegen im vergangenen Jahr das Handtuch.
Al-Hassan leitete bis zu seinem Tod die Geheimdienstabteilung der ISF, die erst nach dem Attentat auf Rafik Hariri 2005 auf seine Größe als eigenständiger Inlandsgeheimdienst aufgebaut worden war. Der Geheimdienst der ISF stand dabei in Konkurrenz zu Jenem der libanesischen Armee, der christlich geführt und unter starkem Einfluss des syrischen Regimes stehen soll, sowie der »Sûreté Général«, die schiitisch geführt ist und der Hizbullah nahesteht.   
Wissam al-Hassan war maßgeblich an den Ermittlungen gegen Ex-Informationsminister Michel Samaha beteiligt, der am 9. August 2012 verhaftet worden war. Samaha wird vorgeworfen, führender Kopf einer Verschwörung zu sein, die in Zusammenarbeit mit dem syrischen Regime Attentate im Libanon durchführen sollte. Ihm wird der Schmuggel von Sprengsätzen in den Libanon zur Last gelegt – in direktem Auftrag des syrischen Ministers für Nationale Sicherheit Ali Mamlouk, gegen den ein libanesisches Gericht ebenfalls Anklage erhob. Die Verhaftung Samahas wurde von Beobachtern als Indiz für den schwindenden Einfluss des syrischen Regimes im Libanon bewertet. Kritiker aus der Regierungskoalition des 8. März warfen der ISF dagegen eine politisch motivierte Kampagne vor.
Selbst wenn die Vorwürfe gegen Michel Samaha zutreffen sollten, beweist die Explosion auf dem Sassine-Platz, dass seine öffentlichkeitswirksame Festnahme und Anklage das Risiko von Attentaten und Sprengstoffanschlägen keineswegs gebannt hat. Politiker der Oppositionskoalition 14. März sowie PSP-Chef Walid Jumblat beschuldigten einhellig das syrische Regime, hinter dem Anschlag zu stecken. 
Ein Anschlag dieser Dimension ist nur durch geschulte Spezialisten durchführbar. Unentdeckte Routen von geschützten Persönlichkeiten wie Wissam al Hassan aufzudecken, erfordert größeren geheimdienstlichen Aufwand. Platzierung und zeitgenaue Zündung der Autobombe benötigen zusätzliche Präzision und Sicherheitsmaßnahmen. Kleinere Terrorgruppen im Libanon sind zu solch präzisen Operationen nicht in der Lage. Der Anschlag ist damit nicht zu Vorfällen bei Saida und Sur in den letzten Jahren zu vergleichen, die zudem meist auf Soldaten der internationalen UNIFIL-Mission zielten. Die breit geäußerte Vermutung, dass Personen aus der Nähe des syrischen Regimes hinter dem Anschlag stecken, ist naheliegend, wenn auch keinesfalls bewiesen. Wie die unmittelbar folgenden Proteste zeigen, bergen solche Attentate die Gefahr einer weiteren Eskalation konfessioneller Gewalt im Libanon. Aufflammende Gefechte in Tripoli sollen bereits ein weiteres Todesopfer gefordert haben.