Von Natalia Gorzawski
Internationale Aufmerksamkeit und neu gefundenes Vertrauen legen das Fundament für das Abkommen über den Status der philippinischen Insel Mindanao. Doch nur wenn nach Selbstverwaltung Aufbauarbeit folgt, hat der Frieden eine Zukunft.
Seit knapp 40 Jahren kämpfen muslimische Rebellengruppen in den Philippinen für einen unabhängigen Staat im Süden des Landes. Das jüngste Friedensabkommen gibt dabei Hoffnung auf einen Kompromiss, der dem Land die langersehnte Aussöhnung bringen könnte. So erhält die »Moro Islamic Liberation Front« (MILF) durch die Einrichtung einer autonomen Region auf der Insel Mindanao erhebliche Mitbestimmungsrechte und gibt dafür ihre Forderung nach einem unabhängigen Staat auf.
Die Unterzeichnung des Abkommens am 15. Oktober stellt dabei den Anfang eines vierjährigen Prozesses dar, der einen politischen, sozialen und ökonomischen Aufbau dieser Region vorsieht und 2016 in der Unterzeichnung eines finalen Friedensabkommens münden soll. Doch was unterscheidet den jetzigen Versuch von den vielen erfolglosen der letzten Jahre und welchen Gefahren sieht sich das Vorhaben ausgesetzt?
Religiös gesehen, stellen die Philippinen eine Ausnahme in Südostasien dar. Seit der knapp dreihundert Jahre währenden spanischen Kolonialbesatzung ist der Großteil des Landes katholisch-christlich. Lediglich die fruchtbare und ressourcenreiche Insel Mindanao im Süden des Landes blieb weitestgehend muslimisch und wurde seit dieser Zeit gerne vernachlässigt und übergangen.
Zusätzlich wurde unter den Spaniern eine Umsiedlung armer christlicher Bauern in diese Gebiete initiiert, um die religiösen Machtverhältnisse dort zugunsten der Kolonialherren zu verändern. Dieses Vorgehen wurde auch von folgenden Herrschern, insbesondere der amerikanischen Besatzungsmacht, übernommen und erreichte in den 1950er Jahren einen Höhepunkt. Die muslimischen Bewohner sehen darin einen Landraub, der die Vorherrschaft der Christen vor Ort institutionalisieren sollte. Sich daraus ergebende Spannungen erreichten 1968 in dem Jabidah-Massaker, in dem muslimische Armeerekruten von regulären Streitkräften ermordet worden sein sollen, ihren Höhepunkt.
Dominoeffekt gegen Drohgebärden
Bis heute gedenkt die »Moro National Liberation Front« (MNLF) diesem Ereignis und führt ihre Gründung darauf zurück. Jahrelang galt diese Rebellengruppe als wichtigste übergreifende Organisationsstruktur im Kampf der muslimischen Bevölkerung gegen die Zentralregierung Manilas, wurde später jedoch durch Abspaltungen und Neugründungen ergänzt. Insbesondere die seit 1978 bestehende MILF hat die MNLF inzwischen als einflussreichste Gruppierung abgelöst.
Zusätzlich ist der Süden der Philippinen in den letzten Jahren zu einem Nährboden islamistischen Terrorismus geworden. So bildete sich um die Rebellengruppe Abu Sayyaf ein Netzwerk aus Trainingslagern für Al-Qaida-nahe Extremisten aus der ganzen Welt. Diese Entwicklungen erklären auch das Scheitern des Friedensabkommens zwischen Regierung und MNLF 1996 und könnten auch dieses Mal zum größten Risiko eines grundsätzlich verheißungsvollen Abkommens werden.
Denn mit der MILF hat der philippinische Präsident Benigno Aquino zwar den größten Gewaltakteur für das Abkommen gewinnen können, inwieweit sich jedoch andere Gruppierungen dem fügen werden, bleibt ungewiss.
Insbesondere die MNLF fühlt sich derzeit übergangen und droht laut Manila Times mit einer Rückkehr zu den Waffen. Ob diese Drohgebärden lediglich einen Versuch darstellen, in die Machtstrukturen der neuen autonomen Region aufgenommen zu werden, ist gegenwärtig noch unklar. Die Zentralregierung um Präsident Aquino gibt sich jedoch hoffnungsvoll, dass ein Abkommen mit der größten Rebellengruppe eine Art Dominoeffekt haben könnte. So wird wohl schon an ähnlichen Kompromissen mit weiteren Gruppierungen gearbeitet. Die größte Hoffnung liegt dabei auf einer erfolgreichen Umsetzung der ökonomischen und politischen Vorhaben. Sollte der Friedensprozess zu einer befriedeten und weitestgehend selbstbestimmten Region führen, in der insbesondere ein ökonomischer Wiederaufbau gelingt, könnte die Zustimmung der Bevölkerung andere Akteure dazu zwingen, das Abkommen aktiv zu unterstützen.
Nicht zufällig tat sich Malaysia als Vermittler hervor
Sicher ist hingegen, dass Al-Qaida-nahe Gruppen wie Abu Sayyaf und die Jemaah Islamiyah den Prozess nicht akzeptieren werden. Einerseits erfüllt die Errichtung einer autonomen Region keineswegs ihre Vorstellung von einem islamischen Gottesstaat, andererseits fürchten sie, dass die MILF das Vorgehen ihrer Gruppen nun nicht mehr nur verurteilen, sondern aktiv bekämpfen wird. Gerade die extremistischen Gruppierungen stellen daher einerseits wohl die größte Gefahr dar, haben andererseits aber auch zu einem wichtigen Vorteil dieses Friedensprozesses gegenüber früheren Versuchen geführt.
So wird der internationalen Komponente bei diesem Anlauf eine besondere Bedeutung zuteil. Ohne die extremistischen Entwicklungen in der Region wäre wohl kaum anzunehmen, dass regionale und internationale Akteure den Philippinen eine solche Aufmerksamkeit und Unterstützung bieten würden. Gerade Malaysia ist zu einem wichtigen Vermittler in den Friedensverhandlungen geworden, sieht sich das Land doch durch den aufkommenden islamistischen Extremismus in der Region ebenfalls gefährdet.
Aber auch das bisherige internationale Engagement durch die Einrichtung der Internationalen Kontaktgruppe, eines Zusammenschlusses aus Diplomaten verschiedener Länder und NGO- Repräsentanten, und dem Engagement des »International Monitoring Teams«, das sich ebenfalls aus Repräsentanten verschiedener Länder zusammensetzt, sind von Bedeutung für die positiven Entwicklungen. So gelten diese Organisationen beiden Seiten als unparteiische Mediatoren der Verhandlungen, die eine Umsetzung von Abkommen und Vereinbarungen garantieren können. Analysten hoffen außerdem darauf, dass ein Gelingen des Friedensprozesses zu einem Vorbild für andere Länder der Region avancieren könnte.
Hoffnung macht das ehrliche und intensive Engagement beider Seiten
Angesichts dieser positiven Signalwirkung legte auch die UN eine gesteigerte Hilfsbereitschaft an den Tag. Generalsekretär Ban Ki-moon gab inzwischen bekannt, dass die internationale Gemeinschaft eine Implementierung des Abkommens aktiv unterstützen wolle. Sollte diese Unterstützung humanitäre und finanzielle Hilfe für den Wiederaufbau umfassen, könnte dies tatsächlich von Bedeutung sein.
Hoffnung macht vor allem das ehrliche und intensive Engagement beider Seiten. So setzte sich Aquino im vergangenen Jahr über ungeschriebene Gesetze hinweg und traf Murad Ebrahim, den Führer der MILF, persönlich in Tokio. Obwohl es seit 15 Jahren immer wieder zu Friedensbemühungen zwischen Zentralregierung und MILF kam, war dies das erste Mal, dass ein philippinischer Präsident einem Vertreter der MILF-Spitze von Angesicht zu Angesicht gegenübersaß. Aber auch der erste offizielle Besuch Murad Ebrahims in Manila zur Unterzeichnung des Abkommens gilt als historischer Schritt und wird als Zeichen eines ernsthaften Bemühens gewertet.
Vor diesem Hintergrund erscheint ein vorsichtiger Optimismus berechtigt. Wichtig ist dabei weniger der konkrete Inhalt des Abkommens, als die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen, die den Entstehungsprozess und seine geplante Umsetzung begleitet haben und wohl auch weiterhin begleiten werden. Dies darf jedoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass es nicht einfach wird, eine Region, die seit vierzig Jahren von Konflikten und Gewalt beherrscht wird, in nur vier Jahren in ein friedliches Wirtschaftswunder zu überführen.