09.05.2012
Nuri al-Maliki und die „Rettung der irakischen Kultur“
Ein Beitrag von Ansar Jasim Eigentlich ist es nur eine Säule. Doch diese Stele, beschrieben mit Keilschrift, der uralten Schrift, Völker des Nahen Ostens schon 3000 v. Chr. benutzt haben, spielt dieser Tage eine wichtige Rolle im Prozess des Nation-Building im Irak. Vor etwa zwei Wochen lüftete die irakische Regierung in Bagdad und Umgebung insgesamt fünf Skulpturen. Eine von Ihnen trägt den bedeutungsschweren Titel „Rettung der irakischen Kultur“. Die Rettung der irakischen Kultur wird durch besagte Säule, welche angebrochen ist und nur noch durch einen mehrhändigen starken Mann gehalten wird, symbolisiert. Die unterschiedlichen Hände sollen für die verschiedenen Zivilisationen stehen, aus denen der Irak entstanden ist.

Mit der Keilschrift, welche einst die Sumerer und Assyrer benutzt haben, rekurriert die Regierung klar auf eine fiktive lineare Verwandtschaftsbeziehung zwischen diesen alten Völkern des Zweistromlandes und den Bewohnern des heutigen Iraks. Die Botschaft ist klar: Die Säule droht zu brechen, aber das irakische Volk kann sie noch retten und damit sich selbst.

Fast wirkt das Monument, welches vom bereits 2011 verstorbenen irakischen Skulpturenhauer Mohammed Ghani Hikmat entworfen wurde, als versuche die irakische Regierung sich selbst zu retten. Das Denkmal ist als Versuch gedacht, einen gemeinsamen Identitätspunkts für alle Iraker zu schaffen. Mit dem Bezug auf eine vorislamische Identität, so die Idee der Regierung, wird angeblich keine ethnische oder religiöse Gruppe ausgeschlossen. Zudem spricht aus der Säule der Stolz auf eine Vergangenheit, welche von Stärke und scheinbarer Einheit geprägt war und die sich somit deutlich von der jetzigen Gegenwart unterscheidet abhebt. Die irakische Regierung, im Besonderen Ministerpräsident Nuri al-Maliki, steht seit Jahren wegen seines autoritären Regierungsstils heftig in der Kritik. Massoud Barzani, Präsident der Kurdischen Autonomieregion, drohte ihm jüngst mit einem Referendum über die Unabhängigkeit der mehrheitlich kurdisch bewohnten Gebiete des Iraks. Es scheint, der Irak nach Post-Saddam-Ära einmal mehr vor dem Auseinanderbrechen.

Dass in schwierigen Zeiten auf die glorreiche Vergangenheit gesetzt werden muss, ist nicht neu. Schon Saddam Hussein versuchte durch sein Projekt der „Neuschreibung der Geschichte“, die Identität des Iraks nach seinem Belieben zu definieren: So wechselte er während seiner Regierungszeit die Identitäten, die er dem Irak geben wollte, mehrmals. Mal stilisierte sich Saddam als Führer des Islam, der im 7. Jahrhundert die Schlacht von Qadisiyya, einer Schlacht des frühislamischen Reiches gegen das persische Sassaniden-Reich angeführt habe, mal ließ er sich in sumerischer Tracht abbilden. Saddam förderte damit aber keineswegs eine inkludierende Identität, in dem Sinne, dass Sumerer die Vorfahren aller Iraker gewesen wären. Stattdessen deutete er die Geschichte der Sumerer so um, dass diese eigentlich Semiten seien. Dieser Narrativ führt zum automatischen Ausschluss der kurdischen, turkmenisch oder persisch stämmigen Iraker.

Der Irak-Experte Eric Davis meint polemisch dazu, dass Saddam Hussein, die Kulte auf die er sich bezog, so oft änderte, dass viele Iraker ab 1990 gänzlich verwirrt waren und nicht wussten, worauf sie nun rekurrieren mussten. Der ständige Wechsel zwischen pan-arabischem, mesopotamischem und islamischem Kult habe dazu geführt, dass es die meisten Iraker gar nicht mehr interessiert habe, welcher Kult gerade „aktuell“ sei. Man habe einfach mitgemacht. Womit auch die fragwürdige Annahme der Politikwissenschaft, dass so ein starker symbolischer Kult einem Despoten Legitimität verschaffe, in Frage gestellt ist. Die offensichtliche Absurdität der Vermischung all dieser Kulte hat bei den Irakern dazu geführt- aus Angst vor Repression- wenigstens so zu tun, als würde man an sie glauben.

Der Kult, den die jetzige Regierung unter Nuri al-Maliki bei den Irakern etablieren will, wirkt nicht weniger absurd. Statt auf Symbole zu rekurrieren, die den Narrativ eines in seiner Vielfalt vereinten Iraks fördern würden, wie etwa das Freiheitsmonument, welches nach der Revolution von 1958 auf dem Platz der Befreiung im Zentrum Bagdads aufgestellt wurde, erstellt Maliki lieber einen eigenen Narrativ. Jawad Salim, der Erbauer des besagten Freiheitsmonuments stellt anhand von Bronzefiguren auf einer riesigen Steinplatte die Entwicklung der Menschheit aus der Unfreiheit in die Freiheit - welche damals durch die Revolution von 1958 erreicht worden sei - dar. Seine Bronzefiguren sind Iraker, vielfältig vereint: Kurden, Araber, Assyrer und andere in der Tracht des jeweils anderen. Dies wäre die Botschaft die ein von krisengeschüttelter Irak bräuchte.

Hinzu kommt, das Maliki die Zeichen der Zeit verkennt: Hatten doch im März letzten Jahres vermehrt Proteste im Irak, insbesondere im Großraum Bagdad, stattgefunden. Diese wurden damals vor dem Freiheitsmonument Salims abgehalten. Viele Demonstranten und Koordinationsgruppen auf Facebook bezogen sich zudem direkt in ihrem Namen auf das Monument. Im ganzen Land tauchten Flaggen mit den Bronzefiguren des Freiheitsmonuments auf, fast so als hätten die zeitgleich stattfindenden arabischen Revolutionen das historische Gedächtnis der Iraker geweckt: vor dem Freiheitsmonument wollte man an die Errungenschaften der Revolution von 1958, wie etwa die gesetzliche Gleichstellung von Mann und Frau, sozialen Fortschritt und andere anknüpfen. Maliki jedoch, ebenso wie die kurdische Autonomieregierung, ließ die Demonstrationen, teils brutal, unterdrücken.

Der Versuch des Regierungschefs, nun mit Hikmats Monument auf eine glorreiche Vergangenheit zu verweisen und einem eventuellen Staatszerfall somit entgegenzuwirken, erscheint da nur plump. Droht doch das Freiheitsmonument von Jawad Salim bald einzustürzen aufgrund der jahrelangen gezielten Vernachlässigung. Und schon gibt es auch die ersten Stimmen, die sich über das millionenteure Projekt Malikis beschweren: Hätte Maliki doch lieber das Geld in den Aufbau der Infrastruktur gesteckt, statt in den Versuch sein symbolisches Kapital zu stärken, könnten die Iraker auf ihre Gegenwart stolz sein, statt von einer glorreichen Vergangenheit zu träumen.