Hintergrund
Schon wenige Wochen nach den Anschlägen vom 11. September – die Taliban in Kabul waren gerade gestürzt worden – ließ US-Präsident George W Bush keinen Zweifel daran, dass er schon bald einen weiteren islamischen Staat ins Visier nehmen würde: den Irak.
Die Beziehungen zwischen Washington und Baghdad waren schon seit Ende der 1980er Jahre gespannt. 1990 war das Regime von Saddam Hussein in den kleinen Nachbarstaat Kuwait einmarschiert und hatte die dortigen Ölquellen besetzt. Zuvor war der Irak lange Zeit von den Vereinigten Staaten im Krieg gegen den Iran finanziell und militärisch unterstützt worden. Das gute Verhältnis trübte sich erst mit der irakischen Kuwait-Invasion. In der Folge schmiedete die Regierung von George Bush Senior eine internationale Allianz gegen den Irak, der sich auch die meisten arabischen Staaten anschlossen. Amerikanische Luftangriffe zwangen den Irak schließlich, sich im April 1991 aus Kuwait zurückzuziehen. Saddam Hussein blieb zwar im Amt, sein Regime wurde aber strengen Wirtschaftssanktionen unterzogen. Außerdem musste Baghdad der Entsendung internationaler Waffeninspektoren zustimmen, die verhindern sollten, dass der Irak Massenvernichtungswaffen entwickeln konnte. Nach Angaben von UNICEF verursachten die Wirtschaftssanktionen jährlich den Tod von etwa 90 000 Irakern, die meisten von ihnen Babys und Kleinkinder.
Im Dezember 1998 bombardierten die USA und Großbritannien erneut Ziele im Irak, mit der Begründung damit die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen zu stoppen. Im Zuge des Krieges der USA gegen den Terrorismus verdächtigten diese den Irak erneut der Gefährdung der internationalen Sicherheit. Als sich abzeichnete, dass die von ihnen dafür angeführten Beweise nicht dazu ausreichen würden, eine völkerrechtliche Absegnung einer Invasion zu erwirken, schmiedeten sie eine „Koalition der Willigen“, die der Invasion dennoch internationale Akzeptanz verschaffen sollte. Charakteristisch für die Mitgliedsländer war ihre traditionelle Bindung an die USA oder zumindest eine konservative Orientierung in der Außenpolitik. Als diese Allianz knapp 30 Länder umfasste, bereitete sie unter der Führung der USA die Invasion vor. Der Invasion ging eine weltweite Diskussion über deren Rechtmäßigkeit und Notwendigkeit voraus. Viele Verbündete der USA sprachen sich gegen eine Beteiligung aus. In der Öffentlichkeit der meisten europäischen Staaten wurde eine mehrheitliche Ablehnung des Krieges ermittelt.
Als Hauptgründe für den Irakkrieg führte Colin Powell vor dem UN-Sicherheitsrat an, dass Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfüge und dass er in die Anschläge vom 11. September verwickelt gewesen sei. Schnell sollten sich beide Behauptungen als falsch erweisen, auch wenn der Irak als einziges Mitgliedsland der Vereinten Nationen die Anschläge vom New York und Washington nicht verurteilte.
Die arabische Presse im Vorfeld des Krieges
In der arabischen Presselandschaft war schon Monate vor Kriegsbeginn die Kritik an den amerikanischen Plänen groß. Schon am 19. November 2001, also zwei Monate nach 9/11 prophezeit die in London erscheinende Zeitung „al-Quds al-Arabi“:
„Die Frage ist nicht mehr ob ein Krieg gegen den Irak stattfinden wird, sondern nur noch wann. […] Die Irak sieht sich der Feindschaft der stärksten Weltmacht gegenüber. Es wird diesmal keinen Überraschungseffekt geben. Jede neue Konfrontation wird das Ende für das irakische Regime bedeuten. Die arabischen Opfer werden grenzenlos sein. Der Krieg wird katastrophal und vielleicht das Gesicht der ganzen Region verändern. Der Regimesturz wird nicht auf den Irak begrenzt bleiben.“
Im September 2002, also ein halbes Jahr vor Beginn der US-geführten Invasion am 20. März 2003, schrieb Muhammad Abd al-Fattah Muhsin in der ägyptischen Zeitung „al-Ahram“:
„Der kommende Angriff auf den Irak wird ein Angriff auf die gesamte arabische Welt und wird die Geschichte komplett umformen. Und zwar deshalb, weil tief in diesem Krieg eine Reihe gefährlicher Variablen verborgen sind, die die gesamte Region beeinflussen und die arabischen Gesellschaften in ihren Grundfesten erschüttern werden, mit großen Auswirkungen auf die internationale Gemeinschaft.
Seitdem die Vereinigten Staaten nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die erste und einzige Weltmacht geworden sind, wird ihre Regierung von Ideen ihrer Außenpolitiker dominiert, die imperialistische Träume umsetzen wollen. Sie sehen eine Welt, in der die USA immer die Oberhand haben, in der die Welt den Wünschen und Bedürfnissen der Amerikaner hilflos ausgesetzt ist. Diese Strategen haben es geschafft, die Ereignisse vom 11. September zu dem Vorwand zu machen, den sie brauchten um endlich die amerikanische Weltherrschaft unter dem Vorwand des „Kampfes gegen den Terrorismus“ zu verwirklichen – indem sie alle strategischen und politischen Vorteile dieses Labels ausbeuten. Diese Kriege, in welche die Vereinigten Staaten die Welt hineinziehen will, werden nicht für Prinzipien sondern für nationale Interessen jenseits von allen Regeln der Moral geführt.“
Die regierungsnahe jordanische Zeitung „al-Ray“ fragt zur gleichen Zeit:
„Wird es wirklich nur einen Krieg gegen den Irak geben? Oder wird es einen umfassenden Krieg gegen die gesamte Region geben, mit mehr als einem Mittel und mehr als einem Ziel? Und stimmt es, dass der Irak an den Anschlägen vom 11. September beteiligt war oder ist es nicht eher so, dass die Ereignisse jenes Tages genutzt wurden, um frühere amerikanische Strategien umzusetzen, indem sie 9/11 als Symbol nutzen, um viele Ziele zu rechtfertigen, die US-Interessen dienen?
Falls bewiesen werden sollte, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen besitzt, dann wird der amerikanische Vorwand für den Krieg so schwach wie ein Spinnennetz. Es würde offensichtlich, dass es nicht um Iraks Massenvernichtungswaffen oder Iraks Drohungen gegenüber seinen Nachbarn ginge, sondern dass es immer um Israels uneingeschränkte Sicherheit und Amerikas komplette Hegemonie über das Öl ginge – ganz zu schweigen von der Rolle, die persönliche Rachegelüste in dieser Krise spielen.“
Mahmoud Belhaymer kommentiert im September 2002 in der unabhängigen algerischen Zeitung „al-Khabar“ unter der Überschrift „Bushs Krieg“:
„Der erste Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 war für Präsident Bush die Gelegenheit, sein Versprechen zu wiederholen, dass er seinen Krieg gegen den Terror gewinnen werde. Dieser Krieg dauert jetzt seit fast einem Jahr an und hat alle Freunde um die Vereinigten Staaten geschart. Trotz seiner guten Vorsätze sind seine konkreten Errungenschaften bescheiden geblieben.
Amerikas Ziele sind alarmierend auf kurze wie auf lange Sicht. Seine Pläne für den Irak und den Nahen Osten haben Ausmaße erreicht, die dazu führen, dass sich selbst die europäischen Partner gegen sie stellen. Sie haben ihren Widerspruch in einer Weise deutlich gemacht, dass es scheint, als stellten sie amerikanische Interessen stärker in Frage als es die Araber selbst tun. Mit großer Klarheit haben sie mehr Beweise und weitere Begründungen für einen Angriff auf den Irak gefordert.“
Der Krieg beginnt
Der amerikanische Angriff auf den Irak, der am 20. März 2003 beginnt, kommt für die arabischen Medien also nicht überraschend. Solidaritätsadressen für den irakischen Diktator bleiben aus, stattdessen rücken die arabischen Zeitungen das Leid der Zivilbevölkerung in den Mittelpunkt.
Während des Krieges liefert die staatliche irakische Presse Durchhalteparolen. So schreibt die Tageszeitung „al-Qadisiyah“ noch am 29. März 2003:
„Terrormethoden werden sie nicht vor ihrer vernichtenden Niederlage schützen können. Die USA und Großbritannien sind aus der Illusion erwacht, dass die Invasion ein Picknick werden würde.“
Ganz andere Töne waren am gleichen Tag aus Kuwait zu vernehmen, das einst Opfer der irakischen Expansionspolitik war. Dort heißt es in der Zeitung „al-Ray al-Aam“:
„Wir unterstützen ganz eindeutig die Befreiung des irakischen Volkes und wir befürworten den Sturz eines Regimes, das unsere Sicherheit bedroht. Wir unterstützen die Koalition, weil sie uns einst half, als wir sie brauchten.“
Schon am 9. April dringen US-Truppen in die irakische Hauptstadt Baghdad vor, Saddam Hussein muss fliehen und geht in den Untergrund.
Die in der saudischen Hauptstadt erscheinende Zeitung „al-Riyadh“ prophezeit am Tag danach:
„Was gerade in Baghdad passiert – die Plünderungen und der Jubel über den Sturz Saddams - sind nur ein Vorgeschmack darauf, was in den kommenden Tagen und Monaten passieren wird.“
Die jordanische Zeitung „al-Dustur“ schreibt wenige Tage später:
„In diesem Monat fiel Baghdad, eine der führenden Städte der arabischen Welt, in die Hände einer ausländischen Macht. Ihre Bürger wurden terrorisiert und ihre Reichtümer geplündert in einem Krieg, der ihnen von Ausländern aufgezwungen wurde. Der entstandene Schaden muss erst noch ermittelt werden, aber tausende irakische Bürger starben oder wurden verletzt, Baghdads großartiges Museum und die Bibliothek wurden geplündert oder zerstört und seine Infrastruktur wurde verwüstet.
Wie wird zukünftig an diese tragischen Ereignisse erinnert werden? Werden wir dem Fall Baghdads mit einem Ritual oder Jahrestag gedenken oder werden wir es vorziehen zu vergessen?“
Ähnlich äußert sich das Blatt „al-Watan“ aus dem Oman in seinem Leitartikel:
„Baghdad ist in die Hände der neuen Tartaren gefallen, so wie 1258. Dieses Ereignis hat große Auswirkungen auf die gesamte Region. Freie Menschen sollten nicht ruhen so lange es Ungerechtigkeiten gibt und sie sollten auch keine Besatzung akzeptieren.“
Saddam wird gefasst
Ein halbes Jahr später wird der gestürzte Diktator Saddam Hussein in seinem Versteck, einem Erdloch nahe seiner Heimatstadt Tikrit, gefasst. Die arabischen Zeitungen reagieren gespalten. Im Blatt „al-Quds al-Arabi“ aus London heißt es:
„Es war ein Schock für uns und eine Schande für Millionen anderer Araber als sie die TV-Aufnahmen von der erniedrigenden medizinischen Untersuchung des irakischen Präsidenten verfolgten. Wir hatten gehofft, dass er bis zum Schluss Widerstand leisten und schließlich als Märtyrer fallen würde, so wie es seine zwei Söhne und der Enkel taten. Oder dass er Hitlers Weg wählen würde, indem er sich erschießen oder Gift schlucken würde.
Präsident Bush erschien wie ein Pfau auf den Fernsehbildschirmen und feierte seinen großen Sieg und sein Verbündeter Tony Blair tat es ihm gleich. Aber das mag nur ein kurzzeitiger Erfolg sein, genauso wie sich die Feierlichkeiten über den Fall Baghdads bald auflösten wegen der Operationen des irakischen Widerstands.“
In Kuwait hat man wieder einen ganz anderen Blick auf die Situation. „al-Ray al-Aam“ schreibt:
„Große Freude erfüllte das irakische Volk und die ganze Welt als Saddam Hussein in seinem Loch gefangen genommen wurde. Der Geist und die Moral des irakischen Volkes wuchs und sie strömten voller Glück auf die Straßen. Ohne Zweifel ist die Moral von Saddams Anhängern zusammengebrochen, seien es die im Irak, die in ihren Höhlen oder seine arabischen Unterstützer.“
Trotz dieser scheinbaren Erfolge der USA im Irak – die schnelle Eroberung Baghdads und die Gefangennahme Saddam Husseins – gestaltet sich die Lage schwierig. Die ausländischen Truppen geraten ins Visier Aufständischer, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Konfessionen – Kurden, arabische Sunniten und Schiiten – verstricken sich zusehends in einem Bürgerkrieg. Diese Entwicklung wird auch von den arabischen Medien genauestens verfolgt.
Der Irak versinkt im Bürgerkrieg
Zwei Jahre nach dem Krieg, im April 2005, schreibt Nawaf Abu al-Hayja in der jordanischen Zeitung „al-Dostour“:
„Die amerikanischen Besatzer verkündeten am 09. April 2003, dass Baghdad ohne wirklichen Kampf gefallen sei. Die Wahrheit sieht anders aus: Weder Irak noch Baghdad sind einfach gefallen, aus einem einfachen Grund: Der irakische Widerstand setzte sich in Rekordzeit in Bewegung und zwingt die Geschichtsbücher dazu, umgeschrieben zu werden. Der amerikanische Besatzer ist nicht länger in der Lage frei zu atmen, noch kann er sich frei in Baghdads Straßen und Stadtvierteln bewegen.“
In „al-Quds al-Arabi“ aus London heißt es am selben Tag:
„Der heutige Tag markiert den zweiten Jahrestag des irakischen Falls unter amerikanische Besatzung. Der neue Irak ist ein korrupter, rassistischer, sektiererischer Irak, der nichts getan hat außer seine Identität zu untergraben, sein Volk zu teilen, die nationale Einheit zu gefährden und tausende seiner Kinder zu töten. Der neue Irak wurde aufgebaut auf einer Lüge und den Erfindungen rund um die Massenvernichtungswaffen. Alles, was auf einer Lüge aufbaut, wird immer eine Lüge bleiben.“
Schon in diesen Auszügen wird deutlich, dass die Schuld an der verheerenden Lage, die sich nach der US-geführten Invasion im Irak einstellt, einseitig bei den Amerikanern gesucht wird. Die irakischen Regierungen, die in der Folge durch freie Wahlen an die Macht kommen, werden von den meisten arabischen Medien als Marionetten der Amerikaner wahrgenommen. Daran hat sich bis heute wenig geändert, auch wenn die verschiedenen Kräfte in Baghdad heute in erster Linie als Spielbälle der regionalen Akteure betrachtet werden.
Die Pentagon-Protokolle zum Irakkrieg
Für Aufsehen sorgten in den arabischen Blättern noch einmal die Pentagon-Protokolle zum Irak-Krieg, die im Oktober 2010 von der Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlicht wurden - insgesamt knapp 400 000 geheime Dokumente über den Krieg im Irak aus den Jahren 2004 bis 2009. Darin wird enthüllt, dass seit dem Sturz Saddams mehr als 100 000 Iraker gewaltsam ums Leben gekommen sind, der Großteil von ihnen Zivilisten. Die Protokolle aus dem Pentagon belegen zudem schwere Misshandlungen und Folterungen irakischer Bürger durch Sicherheitskräfte. Ernsthaft überrascht über das geschilderte Ausmaß der Gewalt im Irak zeigte sich jedoch fast keiner der Kommentatoren.
Yussuf al-Kuweilit stellt die Enthüllungen aus den Wikileaks-Dokumenten in seinem Kommentar für die in der saudischen Hauptstadt erscheinenden Zeitung „al-Riyadh“ in den historischen Kontext:
„Würden die Verbrechen nach internationalem Recht verfolgt, dann ist das was im Irak passiert nicht weniger schrecklich als das, was in Bosnien & Herzegowina geschah, oder das was über die Vernichtung der Juden und Armenier, über Darfur und anderswo gesagt wird. Das Problem in diesem Fall ist, ganz ähnlich der Verbrechen Israels in Palästina, dass ihre Staatsmänner von der Rechtssprechung der internationalen Gerichte ausgeschlossen sind. Das trifft auch auf Amerika zu, dessen Führer unantastbar hinsichtlich der Verbrechen in Hiroshima, Nagasaki, My Lai und schließlich auch hinsichtlich dessen sind, was die Dokumente über die Ereignisse in Afghanistan und die Entwicklungen im Irak enthüllt haben.“
Das in den Vereinigten Arabischen Emiraten erscheinende Blatt „al-Bayan“ fragt in seinem Editorial nach dem Nutzen, den die Welt aus den veröffentlichten Dokumenten ziehen könnte.
„Einen Nutzen für die Iraker gibt es praktisch nicht. Sie haben seit dem 9. April 2003 dunkle Momente erlebt, die auch von Millionen Dokumenten nicht beschrieben werden können. Es ist zu hoffen, dass die Enthüllungen den Arabern und in erster Linie den Irakern das Ausmaß der Kriegsverbrechen vor Augen führt, die im Namen von Demokratie, Freiheit und für die Errichtung eines neuen Nahen Ostens begangen wurden.“
Issandr El Amrani kritisiert in seinem Kommentar für die ägyptische Zeitung „al Masry al-Yaum“:
„Es läuft etwas falsch, wenn die Veröffentlichung tausender Dokumente, die das routinemäßige Töten und Foltern beschreiben, eine Debatte darüber auslösen, ob die Publikation der Protokolle die richtige Entscheidung war oder ob sie nicht das Leben von Soldaten gefährden könnten. Wir wissen von der Privatisierung militärischer Macht, wir wissen von den Todesschwadronen des neuen irakischen Regimes, wir wissen das zivile Opfer und Friendly Fire die unvermeidlichen Folgen des Krieges sind. Wir kümmern uns nur nicht mehr darum und haben lange aufgehört, uns über die Ereignisse im Irak aufzuregen.“
Die Kontroverse um den Irakkrieg in der akademischen Welt:
In den USA war der Irakkrieg unter Politik- und Nahost-Wissenschaftlern von Anfang an umstritten. Besonders jene Akademiker, die zur sogenannten „neokonservativen“ Denkschule zählten machten sich für einen Krieg gegen das Saddam-Regime stark. Mit Paul Wolfowitz und Richard Perle gehörten zwei ihrer wichtigsten Vertreter zum engsten Beraterkreis um George W Bush. Sie plädierten für einen Krieg gegen den Irak, um andere Feinde Amerikas abzuschrecken und die amerikanische Hegemonie über den Nahen Osten zu sichern. Zu den wichtigsten Anhängern dieser Denkschule in der amerikanischen Islamwissenschaft zählt Daniel Pipes. Ein anderer Befürworter der Irak-Invasion war Fouad Ajami, ein libanesisch-stämmiger Politikwissenschaftler in den USA. Er schrieb in einem Aufsatz vor Ausbruch des Krieges:
„Es sollte keine Illusionen darüber geben, in welcher Umgebung sich Amerika wiederfinden wird, wenn es gegen das irakische Regime in den Krieg zieht. Es gibt keine Herzen und Köpfe, die man in der Arabischen Welt gewinnen könnte, keine Öffentlichkeitskampagne könnte die überwältigende Mehrheit der Araber davon überzeugen, dass dieser Krieg ein gerechter Krieg ist. Ein amerikanischer Militärschlag im Zuge gescheiterter UN-Inspektionen würde von der großen Mehrheit der Araber als imperialer Griff in ihre Welt betrachtet, als Gefallen für Israel, als eine Maßnahme mit der sich die Amerikaner irakisches Öl sichern wollen. Der großen ausländischen Macht würde kein Gehör geschenkt.
Amerika sollte aber in der Lage sein, mit diesem Misstrauen und dem Anti-Amerikanismus der Arabischen Welt zu leben – einer Kulturregion die noch nicht die volle Verantwortung für die Schäden übernommen hat, die sich selbst zufügt. Es gibt keinen Grund auf die politischen Befindlichkeiten und Gegebenheiten in der Region Rücksicht zu nehmen. Tatsächlich ist dies einer der Umstände, in denen die einfacheren Richtlinien einer äußeren, reformerischen Macht besser funktionieren, als die jahrhundertealten Verbote der Region.“
Zu den akademischen Kritikern des Irakkriegs zählte Juan Cole, der sich zwar einen Sturz des Saddam-Regimes wünschte, gleichzeitig aber vor den absehbaren Folgen des Feldzugs warnte.
In Deutschland war die Ablehnung des Irakkriegs in akademischen Kreisen nahezu einhellig. Die von den USA angeführten Kriegsgründe wurden angezweifelt, eine weitere Destabilisierung des Nahen Ostens befürchtet. Anders als im Falle des Afghanistanskriegs anderthalb Jahre zuvor gab es in Deutschland mit Kriegsbeginn aber keinen Boom an Literatur, die sich mit dem Irak und seiner Geschichte befasste. Das Thema Irak war seit mehr als einem Jahrzehnt latent in den Medien vertreten, zumindest ein Grundwissen über das Land war also weit verbreitet. Außerdem wurden anders als in Afghanistan keine deutschen Soldaten im Irak stationiert, so dass die Empathie mit der Situation vor Ort allgemein geringer war.
Der Erfurter Politikwissenschaftler Dietmar Herz verbrachte Ende 2006 mehrere Wochen mit amerikanischen Soldaten in Baghdad. Über diesen Aufenthalt schrieb er anschließend das Buch: „Die Amerikaner im Krieg: Bericht aus dem Irak im vierten Kriegsjahr“. Im Vorwort schreibt Herz:
„Im Frühjahr 2003 hatte ich, wie viele Beobachter amerikanischer Politik und der Situation im Nahen Osten, den Entschluss der Bush-Administration zum Krieg kritisiert. Die realpolitischen Einwände waren die folgenden: Die USA gründeten ihre Strategie nicht auf einer realistischen Einschätzung der Lage, sondern auf Versatzstücken einer wenig durchdachten Ideologie. Es wurde behauptet, die irakische Bevölkerung strebe wie alle Menschen nach Freiheit und Demokratie westlichen Typs, nach der Befreiung werde daher ein freier, demokratischer Staat errichtet werden. Dieser Annahme entsprach die Vorstellung, dass eine solche Demokratie Umwälzungen und den Sturz anderer Regime in der Region nach sich ziehen würde und dass dann, entsprechend der Theorie des „Demokratischen Friedens“ der Nahe und Mittlere Osten zu einer friedlichen Region werden würde. Für ein solches Szenario gab es aber meiner Ansicht nach weder in der jüngsten Geschichte des Irak noch in der Geschichte der Region Anhaltspunkte. Ein Sturz Saddams – dessen Herrschaft bestimmt nur wenige Iraker nachtrauern würden – wäre keineswegs eine Garantie für eine demokratische Entwicklung. Eher für eine lang andauernde Besatzung des Landes oder einen Bürgerkrieg.“
Dietmar Herz ist einer von ganz wenigen westlichen Wissenschaftlern, die seit 2003 den Irak bereisen und so etwas wie Feldforschung betreiben. Die noch immer fragile Sicherheitslage macht auch auf absehbare Zeit eine wissenschaftliche Arbeit vor Ort nahezu unmöglich.
Literaturhinweise:
Dietmar Herz: Die Amerikaner im Krieg: Bericht aus dem Irak im vierten Kriegsjahr, Verlag C.H. Beck, München 2007
Friederike Kuntz: Der Weg zum Irak-Krieg: Groupthink und die Entscheidungsprozesse der Bush-Regierung, Wiesbaden 2007
Noha Mellor: Iraq War in the pan-Arab press: a quantitative and qualitative analysis of Iraq War coverage using Arab, Danish and American newspapers, Kopenhagen 2005
Christopher Cerf, Micah L. Sifry (Hg.): The Iraq War Reader: History, Documents, Opinions, New York 2003
Frederic M. Wehrey, Dalia Dassa Kaye, Jessica Watkins: The Iraq effect: the Middle East after the Iraq War, Arlington 2010