08.01.2012
Kommentierte Materialsammlung: 10 Jahre 11. September - Teil 5
Liebe Leserinnen und Leser,

unsere kommentierte Materialsammlung zum 11. September und dessen Folgen endet mit der Kontroverse um ein islamisches Kulturzentrum nahe des Anschlagortes in Manhattan. Hier findet Ihr das komplette Dokument im PDF-Format.

Park51 -  Ein Islamisches Kulturzentrum in unmittelbarer Nähe von Ground Zero

Hintergrund:
Im Dezember 2009 berichtete die New York Times vom geplanten Bau eines 13-stöckigen Islamischen Gemeindezentrums in Manhattan - lediglich 2 Blöcke vom Ort entfernt, wo bis zu den Anschlägen des 11. Septembers 2001 das World Trade Center gestanden hatte.

Der aus Kuwait stammende amerikanische Initiator des Projekts, Imam Faisal Abdul Rauf, schreibt dem Gemeindezentrum auf seiner Website unter anderem eine Funktion als „Plattform für den interreligiösen Dialog“ zu. Vorbild für diesen Ort der Begegnung sei das nahe gelegene, renommierte und im kulturellen Bereich äußerst aktive jüdische Gemeindezentrum „92nd Street Y“. Das führende Politik- und Wirtschaftsmagazin The Economist beschreibt in diesem Zusammenhang Abdul Rauf als "einen wohlmeinenden amerikanischen Kleriker, der Jahre damit zugebracht hat, eine interreligiöse Verständigung voranzutreiben.“
Mit etwa sechsmonatiger Verzögerung, nachdem die konservativen Blogger und Gründer der Stop the Islamization of America-Kampagne Pamela Geller und Robert Spencer medienwirksam gegen die „Ground Zero Mosque“ (Zitat Geller) agitiert hatten, löste das Bauvorhaben mit dem Namen Park51 (vormals Cordoba House) eine lebhafte Debatte in den USA aus. Die Gegner des Projekts kritisierten in erster Linie die Nähe des Gemeindezentrums zu Ground Zero. Da die Anschläge vom 11. September von muslimischen Terroristen verübt wurden, sei eine islamische Institution nahe des Anschlagortes provokant und unangebracht, so die Argumentation der Kritiker. In diesem Zusammenhang äußerte die Republikanerin Sarah Palin: (Der geplante Bau) „(…)fühlt sich an wie ein kollektiver Stich ins Herz aller Amerikaner, die noch immer den schwelenden Schmerz des 11. September fühlen.“  Darüber hinaus wurden die Größe des Bauvorhabens und bestimmte Quellen der Finanzierung von Teilen der amerikanischen Öffentlichkeit skeptisch betrachtet.
Die Kontroverse um Park51 überschnitt sich zeitlich mit dem so genannten International Burn a Koran Day, den der christliche Prediger Terry Jones in Florida initiiert hatte. Die Ankündigung wurde zwar nie in die Tat umgesetzt, Berichte über Nachahmer lösten jedoch in Afghanistan, Pakistan und Indien gewaltsame Proteste aus, die einige Menschenleben forderten. Experten bewerteten die Kontroverse um Park51 sowie die (zumindest angekündigten) Koranschändungen als Anzeichen für einen steigenden antimuslimischen Rassismus in den USA, wie er in Europa  bereits bestehe. Vergleiche hierzu exemplarisch Auszüge aus einem Beitrag des ehemaligen pakistanischen Botschafters in den USA und politischen Analysten, Tariq Fatemi, auf Dawn Online:
“Es ist wirklich schade, dass das Cordoba-Projekt (Park 51) den neo-konservativen Medien, angestiftet von der Anti-Defamation League, und den feigen Demokraten eine Möglichkeit geliefert hat eine nationale Hysterie zu entfachen um kurzfristige Vorteile zu gewinnen indem sie Ängste schüren.  (…) Diese Versuche (zur Verhinderung des Bauvorhabens) können nicht abgetan werden als die Handlungen einer Randgruppe. Dies wurde jüngst von einer Umfrage des Time-Mgazins bestätigt, die herausfand, dass 61 Prozent der Amerikaner das Projekt ablehnen. Die Umfrage ergab auch, dass 43 Prozent der Amerikaner eine negative Meinung von Muslimen haben, während 21 Prozent überzeugt waren, dass Muslime in den USA keine patriotischen Amerikaner sind.  Eine weitere Bestätigung für dieses alarmierende Tendenz hat sich in dem wachsenden Widerstand gegenüber dem Moscheebau in anderen amerikanischen Städten, allen voran Nashville, gezeigt. ”
Reaktionen in der „Westlichen Welt“
Zahlreiche Autoren von Leitartikeln weltweit reagierten überrascht und bestürzt ob der offensichtlichen Gleichsetzung von Islam und Terrorismus seitens zahlreicher Kritiker des Bauvorhabens. Auch die Kritik des amerikanisch-muslimischen Kolumnisten Ahmed Rehab an den Protesten zielt in diese Richtung. In einem viel beachteten Artikel in der Huffington Post schreibt Rehab:


"Was ist besonders unanständig oder unsensibel daran, wenn amerikanische Muslime ein Haus des Friedens, der Gemeinschaft und des Gottesdiensts bauen, das nicht mit dem Ney York Dools Gentlemen's Club konform ist?
Lasst es uns klar ausdrücken: Es ist nur unanständig oder unsensibel wenn du daran glaubst, dass amerikanische Muslime irgendwie kollektiv schuldig an 9/11 sind. Das ist die verborgene Botschaft im Herzen des Widerstands gegen das Zentrum. Es ist eine Botschaft die wir klar ablehnen.
(…) Amerikas Muslime tragen keine Kollektivschuld. Es gibt nichts, wofür wir uns entschuldigen müssen und es gibt alles auf das wir stolz sind, einschließlich  unserer Loyalität und unseres hartverdienten Wohlstands.”


Der Kolumnist und ehemalige Vizepräsident von Costa Rica, Kevin Casas-Zamora, vertritt eine ähnliche Ansicht:


„Die zweite, noch unpassendere Annahme der Gegner von Park 51 betrifft die Vorkommnisse im September 2001. Sie behaupten, das Projekt müsse gestoppt werden, weil es ein Tribut an die Täter einer schrecklichen Tat wäre. Implizit steht hinter diesem Argument die Idee, der Angriff sei ein rein religiöser Akt der Gewalt gewesen, der von einer feindlichen Religion ausgeübt wurde, deren Anhänger - auch die, die diese Gräueltat offen verurteilen – davon beschmutzt sind, und es verdienen, dass ihre verfassungsmäßigen Rechte beschnitten werden. Wie sehr der Streit über den Bau an der Park Street 51 mit Symbolmaterial aufgeladen ist, zeigt auch die Namensänderung des Projekts des islamischen Zentrums. Nannte man es bis vor kurzem noch "Cordoba Initiative", wie das gleichnamige Blog dazu, so läuft die Projektbezeichnung jetzt unter "Park 51". Gegner hatten darauf hingewiesen, dass Muslime in Cordoba Moscheen auf ehemaligen Kirchengebäuden errichtet hatten.“
Schließlich zog der für seine polarisierenden Äußerungen bekannte libanesisch-amerikanische Universitätsprofessor As’ad Abu Khalil am 24. August auf Al-Jazeera einen drastischen Vergleich:
 “Wir müssen uns eingestehen, dass es eine Hassideologie gegen den Islam in diesem Land gibt, die sich nicht von anderen Hasskampagnen wie der anti-jüdischen Nazi-Feindschaft unterscheidet.”
Reaktionen in der Arabischen Welt
Die arabische Presse begann sich erst Ende August 2010, nachdem sich sogar Barack Obama zur Park51-Kontroverse geäußert hatte, intensiv mit dem Thema zu beschäftigen. Einige Leitartikel konstatierten eine in den USA vermeintlich aufkommende Islamophobie. Vergleiche exemplarisch Hossam Eitanis Einschätzung in der pan-arabischen Dar al-Hayat, der den Protagonisten der Kampagne gegen das Islamische Gemeindezentrum vorwirft, generell gegenüber Minderheiten intolerant   aufzutreten:


„Einige Schlüsselfiguren in der Republikanischen Partei, wie die ehemalige Kandidatin für das Amt des Vize-Präsidenten, Sarah Palin und der ehemalige Sprecher des Repräsentantenhauses, Newt Gingrich, haben sich hinter die gestellt, die sich gegen den Bau von Moscheen wenden. Die Tea Party-Bewegung unterstützt sie, weil sie die Republikanische Partei unterstützt und darauf zählt, dass eine Mehrheit der Amerikaner den religiösen, sozialen und rassistischen Chauvinismus unterstützt. Die Gruppe fing an Herrn Obama und seine Sozialprogramme anzugreifen. Sie tat alles um seine Gesundheitsreformen zu verhindern. Sie hat später Arizonas rassistisches Einwanderungsrecht unterstützt, dass die Einwanderung von Lateinamerikanern in die USA verhindern soll. Jetzt spielt sie eine aktive Rolle im Kampf gegen den Bau von Moscheen.”

Yasser Abu Halal von der jordanischen Zeitung al-Ghad äußert ob der populistischen Art der Diskussion um Park51 Besorgnis um die amerikanische Demokratie. Amerika müsse darüber entscheiden, welche Symbolkraft von New York ausgehen soll: Die Metropole könne entweder die erfolgreiche Integration der amerikanischen Muslime oder aber eine kriegerische Haltung der USA gegenüber der Islamischen Welt verkörpern. Die Diskussion um Park51 spiegele diese Grundsatzfrage wieder:

“Ein vernünftiger Mensch zieht es vor zu bauen, statt zu zerstören, aber wer hat gesagt, dass die öffentliche Meinung vernünftig und die Demokratie nicht zerbrechlich ist?”

Dagegen hebt Hani Naqshabandi in der Saudi-arabischen Zeitung „Okaz“ die Tatsache hervor, dass die lokalen Behörden von New York das Bauvorhaben genehmigt hätten. Dies verdeutliche, dass in den USA die Möglichkeit, den eigenen Glauben auszuüben, viel eher als in der Arabischen Welt gegeben sei:

„In der Arabischen Welt macht die Freiheit der Sicherheit Platz. Wir sind allem gegenüber paranoid geworden. Schaut auf die Geschichte von dieser Moschee die im Finanzzentrum Amerikas gebaut werden soll. Amerika wurde vom Feuer des Extremismus in seinem eigenen Hinterhof verbrannt, als es von islamischen Extremisten angegriffen wurde. Es ist sowohl das Ziel Nummer Eins für religiösen Extremismus als auch die führende Nation im Widerstand gegen Extremismus. Aber es hat trotzdem seine Ängste überkommen, indem es den Muslimen erlaubte, die Moschee zu bauen. ”

Im Leitartikel der ebenfalls saudi-arabischen Zeitung Arab News vom 26. August 2010 werden Muslime dazu aufgerufen, konstruktiv mit anti-muslimischem Rassismus umzugehen. Der Westen müsse überzeugt werden, dass der Islam eine friedliebende Religion sei. Der Bau des Gemeindezentrums wird ausdrücklich unterstützt:

“Es ist nur ein kleiner Trost, dass die Zahl der Amerikaner, die den Islam als Förderer der Gewalt betrachten, von 38 Prozent im letzten und 45 Prozent vor drei Jahren gesunken ist. Fakt ist, dass sich insgesamt die Meinung der Amerikaner über den Islam in den letzten jahren verschlechtert hat. (…) Noch größerer Aufwand muss betrieben werden um Amerikanern zu erklären, dass der Islam eine Religion des Friedens ist und dass der Islam und al-Qaida genauso wenig dasselbe sind wie das Christentum und die Lord's Resistance Army, die gerade Teile Ostafrikas terrorisiert.  Das ist genau das, was die New Yorker Moschee und das Kulturzentrum tun wollen und der Grund, warum es so eine großartige Idee ist.  (…) Der Krieg um die Herzen und Köpfe muss nicht im Nahen Osten oder Afghanistan, sondern in den Vereinigten Staaten und Europa gewonnen werden. Es gibt eine wirkliche Gefahr, dass Islamophobie zum Mainstream in den USA wird, so wie es der Fall in Europa ist.

Einige bekannte arabische Journalisten wiesen aber auch darauf hin, dass der Ort für den Bau des Gemeindezentrums problematisch sei. In der regierungskritischen, weitgehend unabhängigen ägyptischen Zeitung al-Shourouk schreibt Salama Ahmed Salama über die negativen Folgen für Muslime in den USA:

“Ich glaube aus mehreren Gründen nicht, dass Präsident Barack Obamas Intervention zur Unterstützung des Baus einer Moschee und eines islamischen Zentrums  nahe der Stelle, an der das World Trade Centre in New York stand, gescheit oder weise war. Auch wenn sie auf dem Prinzip der Religionsfreiheit und den Rechten der Muslime, ihre Religion auszuüben, basierte, wird der Effekt der Kampagnen, die den Hass gegen Muslime schüren größer sein, als die symbolische Bedeutung seiner Entscheidung.  (…) Meiner Meinung nach ist es besser für die Muslime in New York ihre Moschee anderswo zu bauen, weit weg von diesem amerikanischen Tumult und Schmerzes. Muslimische Gruppen fangen bereits an, sich über wachsende amerikanische Feindschaft ihnen gegenüber zu beschweren.....”

Zu den Beiträgen aus der Arabischen Welt, die am kontroversesten diskutiert wurden, gehörte Abd Al-Rahman Al-Rasheds Artikel “Eine Moschee oder ein Symbol der Zerstörung?” in der pan-arabischen Tageszeitung „al-Sharq al-Awsat“. Al-Rashed lehnt den Bau des Gemeindezentrums vehement ab:

“(…) Einige Muslime werden den Bau der Moschee dort [am Ground Zero] als Erinnerung und Verewigung dessen betrachten, was die Muslime, die ihr Verbrechen im Namen des Islam verübten, gemacht haben. Ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Muslime ein Symbol oder ein Gotteshaus bauen wollen, dass ein Ort werden könnte, für den Terroristen und ihre muslimischen Anhänger Stolz empfinden.  Oder ein Gebäude, das ein Schrein des Hasses gegen den Islam werden könnte, das die öffentliche Meinung gegen sich aufstachelt, so wie es im Moment den Anschein hat, mit Behauptungen, dass eine Moschee auf den Leichen von dreitausend toten Amerikanern errichtet wird, die lebendig begraben wurden während einige Männer “Allahu Akbar” riefen, den selben Ruf der von der Moschee zu hören sein wird. Es ist eine falsche Schlacht; [...] es gibt keine gläubigen Muslime, die dort ein Gebetshaus errichten wollen.”

Zum Anfang der Serie



Christoph ist studierter Islam-, Politik- und Geschichtswissenschaftler mit Fokus auf Westasien. Der Mitgründer von Alsharq - heute dis:orient - war zwischen 2011 und 2014 bei der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Willy-Brandt-Zentrum in Jerusalem tätig. In Berlin arbeitet er als Geschäftsführer für Alsharq REISE. Christoph hält regelmäßig...