08.07.2011
Türkisch-Syrische Beziehungen: Erdogans Jein zu Assad

Ein Beitrag von Natalia Gorzawski.

Im Rahmen des Arabischen Frühlings offenbart sich derzeit die Widersprüchlichkeit der türkischen Außenpolitik: Einerseits der Anspruch, Reformen und Demokratie in der Region zu fördern und als gutes Beispiel voran zu schreiten, andererseits aber der Aufbau enger politischer und ökonomischer Beziehungen zu autoritären Regimen vor dem Hintergrund einer „Null Probleme mit den Nachbarn“-Politik. Die arabische Freiheitsbewegung stellt daher eine besondere Herausforderung für Erdogan dar, wobei sich Syrien als Zerreißprobe entpuppen könnte. Bis Anfang des Jahres noch florierten die Beziehungen zwischen Ankara und Damaskus. Mit der Auslieferung des PKK-Chefs Öcalan Ende der 90er Jahre wurde der Höhepunkt der syrisch-türkischen Krise überwunden und die Grundlage zu einer Annäherung gelegt. Die neue außenpolitische Ausrichtung der Türkei hat dabei in den letzten fünf Jahren zu intensiven wirtschaftlichen, kulturellen sowie diplomatischen Beziehungen und laut Medienberichten einer engen Freundschaft zwischen Bashar al-Assad und Recep Tayyip Erdogan geführt.

Beide Seiten fanden in der Annäherung auch auf internationaler Ebene Vorteile. So erhoffte sich Syrien, über den Nachbarn einen Weg aus der internationalen Isolation finden zu können, während die Türkei außenpolitisch und wirtschaftlich an Bedeutung und Unabhängigkeit gegenüber dem Westen gewann. Die guten Beziehungen Erdogans zur iranischen und syrischen Staatsführung wurden dabei trotz einigem Misstrauen durch den Westen als besondere Chance zum Dialog, einer positiven Einflussnahme und als wichtiger Kommunikationskanal zu diesen Staaten bewertet. Syrien mauserte sich zu einem wichtigen wirtschaftlichen Partner der Türkei und ebnete zudem als Transitland den Weg zu den Märkten am Golf. Die diplomatischen Beziehungen wurden immer besser und Photos von vertraulichen Zusammenkünften der beiden lächelnden Staatsoberhäupter schmückten so manches Titelblatt der letzten Jahre.

Trotzdem erscheint Ankara angesichts der derzeitigen Ereignisse machtlos und ohne besonderen Einfluss auf das Regime in Damaskus. Während die türkische Regierung seit Beginn der Proteste mit Nachdruck versucht, Assad zu einem ernsthaften Transformationsprozess zu bewegen, bleibt die syrische Führungselite bei ihrer schwammigen Reformrhetorik und einer brutalen Niederschlagung der Demonstrationen. Angesichts der Erfahrungen Tunesiens, Ägyptens, des Jemen und Libyens sieht sich das Assad-Regime derzeit in einem Überlebenskampf, in dem wirtschaftliche und außenpolitische Themen in den Hintergrund geraten und lediglich als Grundlage für den Machterhalt wieder an Bedeutung gewinnen könnten. Würde sich die syrische Führung nicht in ihrer Existenz gefährdet sehen, könnte die Türkei als Mediator zwischen Opposition und Regierung womöglich vorsichtige politische Reformen anstoßen. Im Rahmen der derzeitigen Alles-oder-nichts-Politik hat ein reformorientierter Einfluss der Türkei jedoch bisher keinen Platz gehabt.

Für Erdogan ist die Protestbewegung in Syrien daher eine besondere außenpolitische Herausforderung. Eine konkrete Positionierung und die weiteren Entwicklungen könnten schwerwiegende innen- und außenpolitische Konsequenzen für die Türkei haben. So bröckelt schon jetzt seine internationale Reputation als Vermittler und reformorientierter Einflussnehmer in der Region. Stellt er sich gegen die syrische Führung und fordert öffentlich einen sofortigen Rücktritt des Assad-Regimes, kommt dies einem Eingeständnis gegenüber dem Westen gleich, dass er trotz des Aufbaus guter Beziehungen und einer Positionierung als Vermittler für die Region, selbst in Syrien keinen politischen Einfluss nehmen kann. Versucht er weiterhin mit diplomatischen Mitteln das Assad-Regime zu einer veränderten Politik zu bewegen, könnten die offensichtliche Missachtung seiner Ratschläge und die andauernde Gewalt gegen Demonstranten auf Dauer ebenso seine Machtlosigkeit beweisen.

Innenpolitisch steht ein Großteil seiner Wählerschaft hinter den syrischen Protesten und vor allem hinter den bisherigen Opfern der gewalttätigen Reaktion durch die Machthaber. So haben sich die bisherigen Militäraktionen des syrischen Regimes vordergründig gegen sunnitische Demonstranten in den entsprechenden geographischen Hochburgen, wie Idlib, Banjas oder Hama gerichtet und über 10.000 Menschen zur Flucht in die Türkei gezwungen. Die Demonstrationen in den kurdischen Regionen im Nordwesten des Landes sowie in der ismaelitischen Stadt Salamiyeh blieben hingegen von einer militärischen Niederschlagung verschont. Gerade Erdogans religiös-konservative Anhängerschaft fordert daher eine konkrete Unterstützung für die syrische Oppositionsbewegung und eine Abwendung vom alawitischen Assad-Regime. Vor diesem Hintergrund muss auch seine scharfe Kritik an dem Vorgehen der syrischen Entscheidungsträger und insbesondere an dem inhumanen Verhalten Maher Al-Assads kurz vor den türkischen Parlamentswahlen im Juli beurteilt werden.

Aber auch international gefährdet eine Zurückhaltung seine Reputation als Förderer politischer Freiheit und Demokratie in der Region. Im Rahmen der ägyptischen Revolution hatte Erdogan seine besondere Beliebtheit in der arabischen Bevölkerung noch erhöhen können, indem er sich relativ folgenlos gegen Mubarak positionierte. Angesichts der tiefgreifenden wirtschaftlichen Beziehungen mit Libyen gestaltete sich eine konkrete Stellungnahme hier schon schwieriger und erfolgte erst relativ spät. Eine Aufrechterhaltung der Beziehungen zu Assad könnte daher vielen als Beweis gelten, dass er nicht an demokratischen Reformen und Freiheitsrechten in der Region, sondern lediglich an eigenen politischen und wirtschaftlichenVorteilen interessiert ist und war.

Die türkischen Flaggen und Erdogan-Rufe unter syrischen Demonstranten könnten deshalb schnell verschwinden. Erste Anzeichen hierfür konnte man bereits bei den Demonstrationen syrischer Flüchtlinge auf der türkischen Seite der Grenze am 5. Juli beobachten. So forderten sie eine Übergabe der Verantwortung für die Flüchtlingslager durch die türkischen Behörden an die UN.

Gleichzeitig birgt eine klare Abwendung von Assad aber auch diverse Gefahren für die innenpolitische und wirtschaftliche Stabilität der Türkei. Eine instabile Lage im Nachbarland oder sogar ein Bürgerkrieg würden nicht nur mehr syrische Flüchtlinge in die Türkei treiben und einen wichtigen Markt für die türkische Wirtschaft auf Dauer destabilisieren, sondern auch die Wirtschaftsbeziehungen zum Golf aufgrund erschwerter Transportwege belasten.

Als größtes Problem der Türkei könnten sich jedoch die Kurden entpuppen. Einerseits bestehen weiterhin Verflechtungen der PKK in die syrischen Kurdengebiete, andererseits muss Erdogan ein militärisches Vorgehen Syriens in den nord-westlichen Grenzregionen und eine entsprechende kurdische Flüchtlingswelle fürchten. Gerade zum jetzigen Zeitpunkt könnte diese verheerende Auswirkungen für ihn haben. Die 36 Kurden, die als unabhängige Kandidaten ins Parlament gewählt wurden, haben am 23. Juni ihren Boykott der politischen Partizipation bekanntgegeben. Angesichts steigender Spannungen und vermehrter gewalttätiger Zwischenfälle zwischen den türkischen Sicherheitskräften und Kurden in und um Diyabakir im letzten Monat, lässt sich dieser Schritt als klare Unterstützung der gewaltsamen Opposition interpretieren.

Sollten syrische Kurden in der benachbarten Türkei Unterschlupf vor einem repressiven Vorgehen des Assad-Regimes suchen, würde dies innenpolitische Spannungen um ein vielfaches verschärfen. Über die Frage inwieweit dieses Szenario Assad derzeit auch als Druckmittel dient kann nur spekuliert werden. Es scheint jedoch plausibel, dass die türkische Seite mit der von ihr diskutierten Einrichtung einer Sicherheitszone innerhalb Syriens auf einen Ansturm kurdischer Flüchtlinge einstellt. Ein ähnliches Vorgehen hatte Ankara 1991 im Irak gewählt um den kurdischen Flüchtlingsstrom Richtung Türkei zu stoppen.

Bisher scheint daher nicht absehbar wie sich die Regierung um Erdogan genau positionieren wird und welche Richtung die Beziehungen zum Nachbarland einschlagen werden. Grundsätzlich ist zwar eine deutliche Abkühlung der einst so freundschaftlichen Beziehungen zu spüren, aber das konkrete Verhalten beider Seiten bleibt weiterhin ambivalent. Einerseits erlaubte Ankara verschiedene Treffen syrischer Oppositioneller in der Türkei, andererseits werden die syrischen Flüchtlinge nicht als solche anerkannt, sondern als „Gäste“ bezeichnet, denen jeglicher Kontakt zur Presse untersagt wird. Die syrischen Medien wiederum beschuldigten die „erdoganische Regierung“ kurz vor den türkischen Parlamentswahlen, Teil einer internationalen Verschwörung gegen Syrien zu sein und Terroristen in Syrien mit Waffen versorgt zu haben. Nach dem Treffen des syrischen Sondergesandten Hassan Turkmani mit Erdogan und dem türkischen Außenminister Ahmet Davutoğlu Ende Juni wurden diese Artikel aus den bekanntesten Nachrichtenwebsites wieder gelöscht und die bilateralen Beziehungen wurden für einige Zeit wieder in den staatlichen Medien positiv dargestellt.

Inzwischen verharren beide Seiten in einem kritischen Jein zueinander. Positive und negative Nachrichten über die Türkei wechseln sich in Syrien ab, während die türkische Kritik wieder vorsichtiger geworden ist. Es bleibt daher abzuwarten welchen Weg Erdogan einschlagen wird. Grundsätzlich kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die derzeitigen Ereignisse in Syrien ihm sowohl innenpolitisch als auch außenpolitisch eher schaden und ihm noch einiges Kopfzerbrechen in der Zukunft bereiten werden.