Gaza-Flotilla und Flightilla waren unnötige symbolische Aktionen, denen Israel einfache, aber genauso unnötige Realpolitik gegenüberstellte. Am Ende haben alle verloren.
Ein Kommentar von Bodo Straub.
„Ich bin gekommen und habe zum ersten Mal die Wahrheit gesagt – ich möchte Freunde in Israel und Palästina besuchen.“ Der 68-jährige Aktivist aus München steht vor dem Jaffa-Tor in Jerusalem und erzählt von seiner Ankunft am Ben Gurion-Flughafen in Tel Aviv vor einer Woche. Seine ehrliche Besuchsankündigung hatte mehrere Folgen: eine unangenehme Busfahrt, einen Gefängnisaufenthalt und am Ende ein Dokument, in dem er versicherte, nur touristische Orte zu besuchen und Auseinandersetzungen mit dem Militär zu vermeiden. Auf diese Art kann er aber schlecht die seiner Meinung nach „verbrecherische, menschen- und völkerrechtswidrige Politik Israels“ anprangern.
Dabei war der Bayer noch einer der wenigen, die überhaupt nach Israel kamen – die meisten anderen Aktivisten, die letzte Woche dem Aufruf von Welcome to Palestine gefolgt waren, hat Israel direkt nach Hause geschickt – entweder nach ihrer Ankunft in Tel Aviv, oder schon an den Heimatflughäfen in Europa oder Amerika. Ob Gaza-Flotille oder Flightilla – was bleibt, sind bloßgestellte Aktivisten und ein bloßgestellter Staat, eine Menge verschwendetes Geld und die Frage, was das Ganze eigentlich sollte.
Beginnen wir mit der Gaza-Flotille: Schon die Schiffe, die letztes Jahr auf so tragische Art von den Israelis gestoppt wurden, hatten kaum mehr als einen symbolischen Effekt – aber damals haben die Aktivisten wenigstens ihr Ziel erreicht: Sie haben auf spektakulärere Art als ihnen lieb sein konnte gezeigt, dass der Gazastreifen von der israelischen Armee mit allen Mitteln blockiert wird. Aber seit dem arabischen Frühling und dem Sturz Mubaraks ist die Grenze zwischen Gaza und Ägypten mehr oder weniger offen, die Flotille damit überflüssig. Dennoch sammeln die Aktivisten 3000 Tonnen Hilfsgüter und setzen die Segel nach Gaza. Wäre es darum gegangen, dass die Güter ankommen, hätten sie nach Ägypten fahren können. Aber darum ging es hier nicht.
Es ging darum, mit allen Mitteln gegen Israel zu kämpfen und zu zeigen, wie brutal die Unterdrückung ist. Und Israel tat den Aktivisten den Gefallen und blockiert die Flotte – aber im Gegensatz zu den Aktivisten hat es dazugelernt. Jetzt liegen in verschiedenen europäischen Häfen Tonnen von Hilfsgütern, die nicht nach Gaza kommen. Die Aktivisten haben bewiesen, dass sie nicht ernstzunehmen sind, die Israelis haben bewiesen, dass sie immer noch die Bösen sind, und die Einwohner des Gazastreifens buddeln weiter ihre Schmugglertunnel. Hätte Israel als Geste des guten Willens die Flotte durchgelassen, oder hätten die Aktivisten die Route über Ägypten gewählt – so oder so hätte einer von beiden das Gesicht gewahrt. Das einzige Ergebnis jetzt ist, dass beide Parteien blamiert sind − ohne, dass einmal die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Gaza-Blockade ernsthaft diskutiert worden wäre.
Genauso verhält es sich mit der Flightilla, also dem Aufruf von Welcome to Palestine, auf Einladung von palästinensischen Bürgerrechtsgruppen nach Israel zu fliegen und am Flughafen zu sagen, dass man nach Palästina will, um dort gegen die Besatzung zu demonstrieren. Von den 500 bis 700 Aktivisten konnten nach Auskunft von Welcome to Palestine zwischen 15 und 100 überhaupt einreisen, wie eben jener Mann aus München. Die anderen wurden nach Hause geschickt und erzählen Schauergeschichten über israelische Gefängnisse. Und da kann Welcome to Palestine in seinen Presseerklärungen noch so viel gegen die „völkerrechtswidrige Abschiebung“ wettern – es ist Israels Recht als souveräner Staat, potenziellen Unruhestiftern die Einreise zu verweigern, so wie es Deutschlands Recht ist, vor der Fußball-WM ein Einreiseverbot für englische Hooligans auszusprechen. Natürlich sind Friedensaktivisten keine Hooligans, aber das Definitionsrecht liegt bei Israel.
Gleichzeitig beweist Israel, was ohnehin schon alle wissen – nämlich, dass Palästina kein souveräner Staat ist und auch nicht das Recht hat, Besucher zu empfangen. Vor allem ist es lächerlich, einen 82-jährigen deutschen Aktivisten ins Gefängnis zu stecken – so viel Urteilsvermögen, dass dieser wohl nicht eigenhändig die Grenzsperranlage zum Westjordanland einreißen wird, kann man auch von einem israelischen Sicherheitsbeamten erwarten. Hätte Israel stattdessen alle Aktivisten in Busse gesetzt und ins Westjordanland gefahren, hätten sie dort so viel demonstrieren können wie sie wollen. Und hätten sich die Aktivisten an die Spielregeln gehalten, wären sie problemlos ins Westjordanland gekommen und hätten dort medienwirksame Proteste aufziehen können. So war die Fly-In-Aktion schon drei Tage später in Vergessenheit geraten.
In beiden Fällen waren Aktion und Reaktion genauso vorhersehbar wie das Ergebnis – Israel spricht von einem Erfolg, weil es nach eigener Meinung seine Grenzen geschützt und die Sicherheit seiner Bürger bewahrt hat, und die Aktivisten haben einmal mehr den Beweis bekommen, dass Israel für die Aufrechterhaltung des Status Quo fast jedes Mittel recht ist. Wie im Kindergarten schreien jetzt beide: „Die haben aber angefangen!“, und sehen sich als Sieger – und dabei sind beide die Verlierer. Denn: Die Gefahr für die Aktivisten ist, dass wegen solcher Aktionen die israelische Gesellschaft noch weiter nach rechts driftet, als sie es ohnehin schon tut. Umgekehrt ist es möglich, dass die Aktivisten sich beim nächsten Mal offen mit der Hamas solidarisieren, von der sie sich schon dieses Mal nicht eindeutig distanzieren wollten. Schlauer wird dadurch niemand, und am Allerwenigsten hat irgendjemand etwas über die wahre Situation, in der die Palästinenser heute leben, erfahren.
Und was man nicht vergessen darf: Flugtickets für 500 bis 700 Menschen kosten viel Geld. Das gleiche gilt für 3000 Tonnen Hilfsgüter. Die Blockade der Gaza-Flottille wird für Israel vermutlich ebenfalls mit großen finanziellen Zugeständnissen an Griechenland, Zypern und die Türkei verbunden gewesen sein, und auch das Großaufgebot an Sicherheitspersonal am Flughafen, um ein paar Hundert Aktivisten abzufangen, war bestimmt nicht billig. Die Frage bleibt: War das wirklich das Sinnvollste, was beide Seiten mit dem Geld machen konnten? War es den ganzen Ärger wirklich wert? Kurz: Hat es Israel oder die Aktivisten – von den Palästinensern redetja schon längst keiner mehr – weitergebracht?