Im Februar 2010, als der Moskauer Tverskoi-Boulevard schneebedeckt war, trafen sich ihre Blicke im nahe gelegenen Restaurant »Puschkin« das erste Mal. In dem nach dem russischen Nationaldichter benannten Gourmettempel – der die Preise in Dollar angibt und der einen hauseigenen Clown engagiert, bei dem gestresste Eltern ihre Kinder abgeben können – freundeten sich die beiden an, tauschten nach einem intensiven Gespräch ihre Nummern aus und sollen seither mindestens einmal pro Woche miteinander telefoniert haben.
Die Rede ist von Giorgos Papandreou, dem griechischen Ministerpräsidenten, und Benjamin Netanjahu, seinem israelischen Pendant. Die Tageszeitung Haaretz hatte damals über das Treffen der beiden Politiker berichtet, das nun, eineinhalb Jahre später, Früchte trägt. Aus der zufälligen Begegnung ist eine persönliche Männerfreundschaft und eine strategische Partnerschaft ihrer beiden Länder geworden, die sich vor allem in der wirtschaftlichen und militärischen Kooperation zeigt.
Israel verkauft Griechenland moderne Rüstungsgüter und darf im Gegenzug Truppenübungen in dessen See- und Luftraum durchführen. Auch beim Bau einer Grenzmauer zur Türkei, die illegale Flüchtlinge aufhalten soll, hilft Israel – schließlich baut auch der jüdische Staat seit Monaten eine solche an seiner ägyptischen Grenze und bringt das nötige Knowhow mit. Zudem ist Israel mittlerweile der zweitgrößte Importeur griechischer Waren im Nahen Osten und viele israelische Touristen haben das Land als Alternativurlaubsort entdeckt, seitdem die türkisch-israelischen Beziehungen spürbar abgekühlt sind. Doch das war nicht immer so.
»In Athen hatte man lange Zeit eine ausgeprägt pro-arabische Haltung«
»Griechenland hat Israel erst 1990 de jure als souveränen Staat anerkannt«, sagt Amikam Nachmani, Leiter der politikwissenschaftlichen Fakultät der Bar-Ilan-Universität. »In Athen hatte man lange Zeit eine ausgeprägt pro-arabische Haltung.« Nach den Vertreibungen 1920 aus der kemalistischen Türkei und 1956 auf Anweisung Gamal Abdal Nassers aus Ägypten »wollte es sich seither keine Regierung mit den arabischen Staaten verscherzen, in denen große griechisch-orthodoxe Exilgemeinden leben und auf deren Wohlwollen man auch aufgrund des Zypern-Konflikts angewiesen war und ist«, sagt der Experte für die Länder des Mittelmeerraums.
Vor allem der Namen Papandreou stand über Jahre hinweg für diese Politik. Schließlich war es der Vater des amtierenden Ministerpräsidenten, der im selben Amt in Athen regierte, sich als Freund des PLO-Chefs Yassir Arafats gerierte, während dem Zweiten Golfkrieg eine Parteinahme seines Landes für Saddam Hussein gefordert und gegen die diplomatische Anerkennung Israels gewettert hatte.
»Die Türkei kann als geostrategischer Partner nicht ersetzt werden«
Nun aber, nachdem sich die Ministerpräsidenten angefreundet haben, scheint all das wie Vergessen. Die Politiker – die die gemeinsame Liebe zu den USA verbindet, wo sie beide studiert haben – helfen sich getreu dem Motto »Eine Hand wäscht die andere«, wo sie können. »Benjamin Netanjahu betreibt Lobbyarbeit für die Griechen in allen europäischen Hauptstädten, in denen er zu Gast ist. Umgekehrt kann man die jüngsten Bemühungen der Papandreou-Regierung, die Gaza-Flottille aufzuhalten, als Geste des Dankes betrachten«, sagt Nachmani.
Als sich die internationale Gruppe vor wenigen Wochen anschickte, von griechischen Häfen aus den Gaza-Streifen anzusteuern, hatte die Küstenwache ein um das andere Schiff am Auslaufen gehindert; in Jerusalem wurde dies mit Wohlwollen registriert.
Aber: Bei aller Freude über die »Liebes-Affäre«, wie sie die israelische Tageszeitung Jediot Ahronotbenannt hat – auch Israel weiß, dass Athen keineswegs die Türkei ersetzen kann. »Dieses Land ist für uns von solch geostrategischer Bedeutung, dass wir ein großes Interesse an der Aufrechterhaltung der bestehenden bilateralen Beziehungen haben müssen«, sagt Nachmani.
Einen Beweis für die Verbesserung der Kommunikation zwischen Ankara und Jerusalem sieht er vor allem im Verhalten der Regierung Erdogan im Umgang mit der »Gaza-Flottille II«. Denn trotz allem verbalen Säbelrasseln habe sich die Türkei entschlossen, den Pro-Palästina-Aktivisten die eigenen Häfen nicht zur Verfügung zu stellen. Israel werde sich deshalb nicht auf die neue Kooperation mit Griechenland versteifen, sondern insgeheim hoffen, dass sich die alte Allianz wieder zusammenrauft, meint Nachmani.
Gleichwohl ist ein weiteres Großprojekt geplant, das einen alten israelischen Witz nun Lügen straft.
Hoffen auf Griechenlands Stimme im September
Golda Meir, von 1969 bis 1974 Ministerpräsidentin des Landes, hatte einst gescherzt: »Moses schleppte uns 40 Jahre durch die Wüste, um uns an den einzigen Ort im Nahen Osten zu bringen, an dem es kein Öl gibt.«
Nun wurde vor einem Jahr kein Öl in Israel gefunden, aber Gas. Und das in Mengen, die die Binnennachfrage in den nächsten hundert Jahren nicht absorbieren kann und die nach Schätzungen des Finanzministers Juval Steinitz »mehrere hundert Milliarden Dollar« in die Staatskasse spülen könnten, wie die Tageszeitung Jerusalem Post jüngst berichtete.
Sobald eine Einigung mit dem Libanon erreicht wurde, der ebenfalls Ansprüche auf das Gasfeld »Leviathan« erhebt, das nach dem biblischen Meeresungeheuer benannt ist und 130 Kilometer vor der Küste Haifas liegt, wäre es möglich, dass das ressourcenarme Israel zum Gas-Exporteur avanciert. Griechenland soll dann, auf Wunsch der Netanjahu-Administration, Drehscheibe für die Gasverkäufe nach Europa sein. Konkrete Planungen zum Bau von Pipelines werden bereits forciert, berichten israelische Medien übereinstimmend, und auch Griechenlands Wirtschaft könnte ein wenig aufatmen. »Es ist eine Win-win-Situation«, meint Amikam Nachmani. »Die Griechen lachen uns an, wir umarmen sie.«
Der nächste Höhepunkt der neuen Freundschaft könnte im September erreicht werden. Dann wollen die Palästinenser in der UNO-Generalversammlung die Anerkennung als Staat in den Grenzen von 1967 und die Aufnahme als UNO-Mitglied beantragen. Und Israel hofft, dass sich Papandreou Junior bis dato endgültig von seinem verstorbenen Vater emanzipiert hat – und zumindest für ein symbolisches »Nein« votiert.