Monatelang hat die Formel 1 einen Schlingerkurs gefahren, jetzt ist die Entscheidung gefallen: Sebastian Vettel, Michael Schumacher und Co. werden in diesem Jahr kein Rennen in Bahrain austragen. Es waren jedoch nicht der Weltmotorsportverband FIA oder Formel 1-Boss Bernie Ecclestone, die diesen Entschluss fällten: Die Betreiber des Grand Prix-Kurses in Bahrain selbst verzichten auf die Austragung des für den 30. Oktober angesetzten Rennens und gestatten den Granden des Motorsports damit einen halbwegs gesichtswahrenden Ausweg aus dem peinlichen Possenspiel, das sich seit Februar hinzog.
Nach Ausbruch der Unruhen in dem Zwergstaat am Golf hatte die FIA den ursprünglich für den 13. März geplanten Auftakt zur Formel 1-Saison in Bahrain abgesagt. Nachdem das Königshaus die Proteste mit Hilfe saudischer Truppen niederschlägt und hunderte Oppositionelle einsperrt, stellt der Internationale Automobilverband Ende April eine Neuansetzung des Rennens zu einem späteren Zeitpunkt in Aussicht. Am Freitag vor einer Woche entscheidet die FIA schließlich: Am 30. Oktober soll in Bahrain gefahren werden. Der ursprünglich für diesen Termin geplante Große Preis von Indien wird in den Dezember verlegt.
Die Formel 1 hat keine Scheu vor Diktatoren
Die Umstände, die zu dieser Entscheidung beigetragen haben, werfen kein gutes Licht auf die Verantwortlichen des Motorsports. Im Internet ist ein vertraulicher Bericht der FIA aufgetaucht, in dem zwei Delegierte des Verbandes ihre Reise in das Golfkönigreich schildern, auf der sie erkunden sollten, ob die Austragung des Grand Prix in Bahrain möglich ist. Bei ihrer Visite vor zehn Tagen kamen die beiden Gesandten mit Rennsportfunktionären, Regierungsvertretern und ausländischen Geschäftsleuten zusammen. Außerdem trafen sie Tariq al-Saffar vom Nationalen Institut für Menschenrechte, einer regierungsnahen Organisation, die selbst scharf von Bahrains Oppositionellen angegriffen wird.
Das Fazit des Besuchs: Die Lage im Land sei »total ruhig und stabil«. Einer Austragung des Rennens stehe nichts im Wege. Kein einziges Wort findet sich in dem siebenseitigen Bericht darüber, dass noch immer hunderte Oppositionelle – unter ihnen übrigens mehrere Spitzensportler – ohne fairen Prozess in Gefängnissen sitzen, dass Bürgerrechte eingeschränkt werden. Die einzigen Todesopfer, die in dem Report Erwähnung finden, sind vier Polizisten, die nach Angaben des Innenministers bei den Unruhen ums Leben gekommen sein sollen.
Nun ist die Formel 1 seit Jahrzehnten bekannt dafür, dass man es mit den Menschenrechten im Gastgeberland nicht so genau nimmt, solange die Autobauer neue Märkte erschließen und die TV-Sender spektakuläre Bilder in die Wohnzimmer schicken können. Bernie Ecclestone ließ seine Fahrer schließlich auch im Argentinien unter der Gewaltherrschaft der Militärjunta und im Apartheidsstaat Südafrika im Kreis fahren, solange die Kasse klingelte. Und erst im April durfte sich Lewis Hamilton als Sieger des Großen Preises von China in Shanghai feiern lassen. Der Künstler Ai Weiwei befand sich zu diesem Zeitpunkt übrigens schon seit zwei Wochen an einem unbekannten Ort in Haft.
Nur ein Fahrer bewies Haltung
So verwundert es kaum, dass in Bahrain die Empörung nun groß ist. »Von Lügen überholt?« titelt die englischsprachige Gulf Daily News über ihre halbe Titelseite. Die westliche Welt vermische Sport mit Politik, auch wenn immer wieder anderes behauptet werde. Die Motorsportfunktionäre hätten sich offenbar willentlich von haltlosen Behauptungen der bahrainischen Opposition beeinflussen lassen. Besonders der ehemalige FIA-Präsident Max Mosley wird für die Rennabsage verantwortlich gemacht. Der Brite habe es bis heute nicht verwunden, dass er 2008 auf Anordnung des Königshauses den Großen Preis von Bahrain nicht besuchen durfte. Kurz zuvor waren Mosleys sado-masochistische Sexpraktiken mit mehreren Prostituierten publik geworden.
Tatsächlich waren es jedoch in erster Linie die Formel 1-Rennställe, die die Rennabsage erwirkten. Ferrari, Mercedes und andere sprachen sich vehement dagegen aus, die Saison bis in den Dezember zu verlängern, was mit der Verlegung des Indien-Grand-Prix notwendig geworden wäre. Die Intervention der Teams hatte aber keine politischen, sondern logistische und finanzielle Hintergründe. Dennoch bedeutet die Absage für Bahrains Herrscherhaus einen Imageverlust. Der Formel 1-Zirkus brachte dem Inselstaat einmal im Jahr internationale Aufmerksamkeit, die man im Oktober sehr gern dazu genutzt hätte, der Welt den Schein eines heilen, friedlichen Landes vorzuspielen.
Nur ein Fahrer wollte sich öffentlich aus Gewissensgründen gegen die Austragung des Rennens stemmen. Sebastian Vettels Teamkollege Mark Webber erklärte Anfang der Woche, als die FIA noch an der Austragung des Rennens festhalten wollte: »Der Sport hätte schon Anfang des Jahres eine viel standhaftere Haltung einnehmen sollen, anstatt andauernd seine Entscheidung zu vertagen, in der Hoffnung, den Grand Prix irgendwann später in diesem Jahr austragen zu können. Damit hätte die Formel 1 eine sehr klare Botschaft zu einem fundamentalen Thema wie den Menschenrechten abgegeben.«