31.03.2011
Unruhen in Syrien - »Der Austausch des Kabinetts war nur Show«
Um Kritik gegen die Regierung Baschar al-Assads äußern zu können, bleibt vielen syrischen Künstlern nur der Weg in den Untergrund. Einer von ihnen sprach mit Alsharq über die wahre Macht des Parlaments, geplante Demonstrationen und warum sich viele Jugendliche dem Staat trotzdem verpflichtet fühlen.

Am Dienstag hat der syrische Präsident Baschar al-Assad den Rücktritt seines Kabinetts angenommen und sich am Mittwoch zum ersten Mal nach den den Unruhen an das Parlament und an das Volk gewandt. Hat er den richtigen Ton getroffen?

Er hat sich zu spät geäußert. Das ist ein Affront gegen alle Syrer, die schon seit 2005 auf die dringend benötigten, neuen Reformen warten. Ich denke, dass er die Situation vor allem im Latakia zunächst stabil wissen wollte – was er ja durch die massive militärische Präsenz auch erreicht hat. Wiederholt betonte er, nicht zum Gebrauch von Schusswaffen durch die Sicherheitskräfte aufgerufen zu haben. Wenn er heute die Toten bedauert und Untersuchungen ankündigt, so ist es lächerlich. Wenn ihm wirklich an einer transparenteren Staatsführung gelegen wäre, hätte er heute in einem großen Schritt auf das Volk zugehen können, in dem er das Notstandsgesetz außer Kraft gesetzt hätte. Nun kann weiter verhaftet, gefoltert werden und die freie Meinungsäußerung und die Bildung von Parteien verhindert werden.

Hat der Rücktritt des Kabinetts eine tatsächliche Auswirkung auf seine Politik?

Dass er das Kabinett ausgewechselt hat, war nur oberflächliche Show zur Besänftigung der Bürger, die anhand der anderen arabischen Länder gesehen haben, dass es einen Ausweg aus der Diktatur geben kann. Die Minister sind ohnehin nur Dekoration, er hält die ganze Macht. Vielleicht hat er intern mit einigen alten Seilschaften zu kämpfen, doch die Garde seines Vaters ist auch längst nicht mehr aktiv und gegen ihn. Dass unser ganzes System eine Farce ist, konnte man auch heute im Parlament sehen. Wie aufgezogene Puppen klatschte das Parlament zu jedem seiner nichtssagenden Sätze. Sie können ja auch nicht gegen ihn sein. Wer gegen ihn ist, wird ausgewechselt oder landet im Gefängnis.

Sind die Bürger gegen den Präsidenten eingestellt? Die Millionen, die am Dienstag im ganzen Land auf die Straße gingen – feierten sie al-Assad nur, weil sie keine andere Wahl hatten?

Ganze Stadtverwaltungen und Universitäten haben frei bekommen, um ihre Sympathie zu zeigen. Die Leute sind nicht gegen den Präsidenten an sich, man kennt hier seit Generationen nur die sehr harte Politik seines Vaters, Hafez al-Assad, dessen Machtmissbrauch im Massaker von Hama 1982 gipfelte. Mit Baschar sind einige Reformen erfolgt, die in Syrien so etwas wie einen Mittelstand überhaupt erst entstehen ließen. Privatwirtschaft, nicht-staatliche Banken und die Möglichkeit, Kredite aufzunehmen, haben das Leben vieler Syrer erleichtert. Die jungen Menschen sind ihm für das Internet, für Mobilfunk und private, wenn auch teure, Universitäten dankbar. Es ist absurd: Sie denken tatsächlich, dass das Internet der Verdienst des Präsidenten ist. Schließlich hätte er es auch einfach verbieten können! Die vermeintliche Freiheit, sich im Web bewegen zu können, nehmen viele Junge als echte Freiheit wahr. Der klassische Fall von Zuckerbrot zur Besänftigung der Massen von unterbeschäftigten Jugendlichen. Dabei kann man von Syrien aus nicht einmal im Internet nachschauen, welches Kulturangebot im nur 80 Kilometer entfernten Beirut geboten wird, geschweige denn Seiten von Menschenrechtsorganisationen aufrufen, die über verschwundene Kritiker Buch führen. Dass Facebook und Youtube nach den ersten Protesten freigegeben wurden, ist, denke ich, nur ein Trick, um Kritiker schneller zu fassen und Aufrufe zu Protesten besser überwachen und bekämpfen zu können.

Welche Reformwünsche sind es, die die Menschen jetzt auf die Straße treiben?

Das Leben ist teurer geworden. Aufgrund der letzten trockenen Winter sind die Grundnahrungsmittel zwar nicht wirklich knapp, aber für rund eine halbe Million Menschen unbezahlbar. Die rund 1,5 Millionen Flüchtlinge aus dem Irak belasten die ohnehin schlechte Infrastruktur zusätzlich. Sie wollen einfach besser leben, und das ohne Angst.

Warum steht die Jugend nicht auf, welche Rolle spielen die Studenten bislang?

Sie sind mit dem System aufgewachsen. Mit dem Bewusstsein, niemandem vertrauen zu können, wenn es um politische Meinungsäußerung geht. Jeder Student wird im Gespräch stundenlang erklären, dass es ihm mit Mobiltelefon und Internet gut geht, besser als den Ägyptern und Libyern. Erst, wenn man ihn vorsichtig nach seinen Wünschen und Träumen fragt, wird er sagen, dass er im Ausland studieren und leben will, dass er in ständiger Sorge um die Zukunft und mit zu wenig Geld leben muss. Zudem kommt die Situation der jungen Männer, die heiraten wollen, aber erst einmal Geld für die Wohnung und die Hochzeit verdienen müssen dazu. Sie wissen, dass es für sie noch schwieriger wird eine Braut zu finden, wenn sie schon aktenkundig und inhaftiert gewesen sind.

Sind Proteste wie in Daraa und Latakia auch in Damaskus denkbar?

Auf Facebook wird zu Demonstrationen am Freitag nach dem Gebet aufgerufen, aber gerade in der Hauptstadt konzentrieren sich mehr Mitarbeiter der Geheimdienste und mehr Polizisten als im Rest des Landes. Und natürlich wird die Sicherheit am kommenden Freitag auch in den anderen Städten – Latakia, Aleppo, Homs und Hama stark aufgestockt werden. Schon während der Demonstrationen an den vergangenen Freitagen wurde beliebig geprügelt, Menschen verschwanden, und wir haben nicht einmal die Möglichkeit zu überprüfen, wer wo und vor allem weshalb in welchem Gefängnis verschwunden ist. Und die syrischen Gefängnisse sind wahrlich kein Vergnügen. Ich denke, die Regierung war geschockt, dass Aufstände tatsächlich auch in Syrien stattfinden können. In Latakia leben hauptsächlich Sunniten. Ich glaube, dass sie keine Lust mehr haben, sich von der alawitischen Minderheit dominieren zu lassen. Vor allem, da ständig Versprechungen gemacht, aber nicht gehalten werden. Wir alle erwarten mit Spannung den morgigen Freitag.

Was wäre Ihr Wunsch für die Zukunft Syriens?

Der Staat sollte die Menschenrechte akzeptieren. Bei uns sitzt eine 19-jährige Bloggerin für fünf Jahre im Gefängnis, nur weil sie Gedichte mit ihren Hoffnungen für Syrien und die Palästinenser geschrieben hat. Ein Staat sollte seine Bürger ermutigen, aktiv an der Gestaltung der Gesellschaft und der Kunst teilzunehmen – und sie nicht dafür einsperren.

Unser Gesprächspartner ist Regisseur in Damaskus. Er produziert zusammen mit ausländischen Filmcrews und -hochschulen Dokumentarfilme über soziale Missstände in Syrien. Insgesamt wurde wurde er fünfmal inhaftiert, zweimal jeweils am Premierentag seiner Stücke. Mittlerweile arbeitet er wie viele kritische Syrer nur noch im Untergrund.