Irans Ex-Präsident Rafsandschani verliert sein letztes Amt von Gewicht: den Vorsitz im Expertenrat. Irans Hardliner säubern weiter die politische Elite – wirklich vermissen wird man Rafsandschani aber nicht. Wurde ihm das zum Verhängnis?
Ali Akbar Haschemi Rafsandschani glitt als Überlebenskünstler durch alle Wellen der iranischen Politik. Nun, so scheint es, ist er politisch erst einmal erledigt. Der 77-Jährige, der dem Expertenrat der Islamischen Republik seit 2007 vorsaß, erklärte am Dienstag während der Sitzung, nicht mehr für den Posten kandidieren zu wollen, wenn sich sein Gegenkandidat, der 79-jährige Ayatollah Mohammad Reza Mahdavi Kani, ebenfalls zur Wahl stelle. Unmittelbar im Anschluss wurde Kani von den 86 Mitgliedern des Expertenrats als deren Sprecher gewählt.
Rafsandschanis Ablösung verlief legal innerhalb der Regularien und er durfte sie sogar selbst – wenngleich ohne weitergehende Begründung – verkünden. Zwar wird der Ex-Präsident politisch immer mehr ins Abseits gedrängt und verliert weiter an Einfluss innerhalb der Führungselite der Islamischen Republik – doch im Vergleich zu Mir-Hossein Mussawi und Mohammad Khatami, den politischen Gefährten der Revolutionszeit, fällt Rafsandschani vergleichsweise sanft. Und immerhin darf er seinen Sitz als einfaches Mitglied im Expertenrat auch behalten.
2009 hatte er die Gewalt gegen Demonstranten nach den mutmaßlich manipulierten Präsidentenwahlen verurteilt, sich aber entgegen vieler Prognosen und Hoffnungen nicht der Opposition um Mir-Hossein Mussawi und Mehdi Karrubi angeschlossen. Stattdessen versuchte er – letztlich erfolglos – über den so genannten Schlichterrat eine Annäherung zwischen konservativen Hardlinern und den Führern der »Grünen Bewegung« zu vermitteln. Zwar bekleidet Rafsandschani in diesem Gremium noch immer die letzte ihm verbliebene Führungsposition, allerdings kam der Schlichterrat seit 2009 auch nicht mehr zusammen und verfügt auch über keinen nennenswerten Einfluss.
»Er wollte sein Superman-Kostüm anziehen, aber er kam nie aus der Umkleide zurück«
Anders sieht das im Expertenrat aus: Dessen wichtigste Aufgaben umfassen die Überwachung und Bestimmung des Revolutionsführers, letztendlich kann er auch dessen Absetzung verfügen. Immer wieder wurde vermutet, Rafsandschani plane eine Umgestaltung des höchsten Staatsamtes hin zu einem repräsentativen Posten – die Abschaffung des von Ayatollah Khomeini geschaffenen Systems »Velayat-e Faqih«, was zumeist mit »Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten« übersetzt wird. Offen gesagt hat Rafsandschani das allerdings nie.
Überhaupt war der Ex-Präsident trotz seiner zunehmenden Entfremdung stets darum bemüht, sich nicht öffentlich vom Regime zu distanzieren. Im Rückblick scherzen viele Iraner lakonisch über den verhinderten Hoffnungsträger: »Er wollte sein Superman-Kostüm anziehen, aber er kam nie aus der Umkleide zurück.«
Früher hätte man das Rafsandschani wohl durchgehen lassen – nicht nur weil er politisch wie wirtschaftlich bestens vernetzt ist. Innerhalb der Führungselite war er über alle Lager hinweg durchaus respektiert: kein Leisetreter, aber auch kein geifernder Demagoge. Rafsandschani musste man nicht mögen, aber man konnte ihn zumindest vorzeigen. Nicht zuletzt hatte sein pragmatisches Auftreten als Präsident in den 1990er Jahren das Image des Iran im Ausland etwas aufpoliert. Doch im aufgeheizten politischen Klima der vergangenen Monate scheint selbst das nicht mehr auszureichen. Als im vergangenen Monat ein wabernder Mob iranischer Parlamentarier die Todesstrafe für Mussawi und Karrubi forderte, schämten sich nicht wenige Iraner für das unwürdige Verhalten ihrer vermeintlichen Volksvertreter. Rafsandschani tat das, was er nach seinem Ausflug in die Superman-Kabine meistens tat: Er schwieg.
Doch welche Optionen hatte Rafsandschani wirklich? Sich auf die Seite der Oppositionellen stellen, die inzwischen als »Feinde der Islamischen Republik« gebrandmarkt werden und demnächst womöglich vor Gericht stehen? Dann hätte er sich gleich eine Zielscheibe auf den Turban sticken können. Nein, die verspätete Rückkehr stand wohl nicht wirklich zur Debatte. Sich den Henkern im Abgeordnetenkostüm anschließen? Das hätte ihm wohl niemand abgenommen, er selbst am wenigsten, und es hätte auch nicht seinem politischen Stil entsprochen.
Schielen die Revolutionsgarden auf Rafsandschanis Wirtschaftsimperium?
Womöglich bot sich den Getreuen des Khamenei-Regimes einfach die passende Gelegenheit, sich des letzten verbliebenen Wirtschaftskonkurrenten zu entledigen. Gerade den Revolutionsgarden war Rafsandschanis Wirtschaftsimperium ein Dorn im Auge auf dem Weg zur absoluten Vormachtstellung. In den vergangenen Monaten hatten die Unternehmen, an denen die Revolutionsgarden und ihre führenden Kader beteiligt sind, immer mehr Staatsaufträge abgegriffen und Rafsandschanis Betriebe peu à peu an den Rand gedrängt.
Wirklich angreifbar war er an seiner wirtschaftliche Flanke. Dass der reichste Mann im Iran wohl nicht immer ganz sauber und nicht allein mit Pistazien zu seinen Milliarden kam, war nie ein Geheimnis. Und solange sein dubioser Weg zum Wohlstand politisch gedeckt wurde, konnte Rafsandschani auch darüber hinwegsehen sehen, dass er als vermeintlicher Inbegriff von Korruption in weiten Teilen der Bevölkerung verachtet wurde.
Präsident Ahmadinedschad nutzte dieses Negativimage schon 2005 gegen den Prätendenten Rafsandschani, um sich selbst als ehrlichen und bescheidenen Politikertypen zu inszenieren – und als wahren Sachwalter der Islamischen Revolution. Schon damals deutete sich die Polarisierung der Revolutionsprotagonisten an. Auch 2009 schmähten die Hardliner der neuen iranischen Rechten Rafsandschani als korrupten Pistazien-Milliardär.
Wirklich angreifbar machte sich der Unternehmer, nicht der Politiker Rafsandschani
Nun aber scheinen sich Ahmadinedschad und Kollegen ihrer Sache immer sicherer zu sein. Vieles deutet darauf hin, dass die Säuberung der politischen Elite auch vor einem als sakrosankt geltenden Urgestein und Pfeiler der Islamischen Republik nicht Halt macht. Mussawi und Karrubi, die 2009 auch in den kritischsten Phasen der Unruhen öffentlich auftraten, stehen seit Monaten unter Hausarrest. Ihnen droht ein Schauprozess. Könnte das gleiche Schicksal auch Rafsandschani treffen? Ein Korruptionsprozess gegen den reichsten Mann des Landes – der Widerstand aus der Bevölkerung würde sich wohl in Grenzen halten.
Viel wichtiger aber noch ist die Rückendeckung innerhalb der Elite, die Rafsandschani immer mehr eingebüßt hat, was ihm jetzt gefährlich werden könnte. Bisher konnte er noch immer auf die schützende Hand des Revolutionsführers zählen. Früher pflegte er mit Khamenei guten Umgang – kein Wunder, schließlich war Rafsanjani in den Wirren des Umbruchjahres 1989 maßgeblich daran beteiligt, den eigentlich minder qualifizierten Nachfolger Khomeinis ins Amt zu hieven. Das einst enge Verhältnis scheint nun zerrüttet.
Ein Grund dafür könnten auch die aufsässigen Kinder des Ex-Präsidenten sein. Besonders Tochter Faezeh macht kein Geheimnis aus ihrer Sympathie für die »Grüne Bewegung«, erst während der Februarunruhen vor einem Monat wurde sie – nicht zum ersten Mal – festgenommen. Dass ihr nicht ein ähnliches Schicksal wie tausenden politischen Gefangenen in iranischer Haft zuteil wurde, dafür sorgte sicherlich auch der Vater mit seinem direkten Kontakt zum Revolutionsführer. Und nicht ausgeschlossen, dass eine unsanftere Gangart gegen die Tochter nun ein Druckmittel gegen Rafsandschani wäre.
An der Spitze der Justiz wurde mit Sadeq Laridschani 2009 ein Hardliner platziert, der die Aburteilung politischer Gegner quasi zur Hauptaufgabe seines Amtes und öffentliche Schauprozesse wieder salonfähig gemacht hat. Sein Bruder Ali Laridschani, einst Irans Atom-Unterhändler, galt noch vor zwei Jahren als pragmatischer Zentrist – und als möglicher Partner Rafsandschanis für die Gründung einer politischen Kraft zwischen »Grüner Bewegung« und neuer Rechten. Doch Ali Laridschani hat sich inzwischen klar auf Seiten des Präsidenten Ahmadinedschad positioniert – als Parlamentspräsident stand er also jener unwürdigen Darbietung vor, die die Verhärtung der Fronten und Verrohung des politischen Klimas sichtbar machten. Und die vielleicht zur Schicksalsstunde Rafsandschanis wurde.