25.01.2011
Neuer Regierungschef im Libanon: Die Wutprobe
Der Machtkampf im Libanon ist fürs Erste entschieden. Nur knapp zwei Wochen, nachdem die Hizbullah und ihre Verbündeten die Regierung unter Führung von Saad Hariri zu Fall brachten, hat das Land einen neuen Premierminister. Staatspräsident Michel Suleiman ernannte am Dienstagmittag Nijab Miqati zum neuen Premier und beauftragte ihn mit der Bildung der neuen Regierung. Zuvor hatte sich Miqati die Unterstützung von 68 der 128 Parlamentsabgeordneten gesichert.

Damit ist es der Hizbullah und ihren Bündnispartnern gelungen innerhalb von zwei Wochen ein Bündnis gegen Hariri zu schmieden. Den Ausschlag hierfür gaben sieben Abgeordnete aus dem Parlamentsblock von Drusenführer Walid Jumblatt, sowie vier sunnitische Parlamentarier aus Tripoli, unter ihnen Miqati selbst. Beide Gruppen waren bei der Parlamentswahl im Juni 2009 noch für das „March 14“-Bündnis von Saad Hariri angetreten.

Die libanesische Zeitung „al-Safir“ meldete zuvor, dass Miqatis Nominierung die Zustimmung der Regierungen in Frankreich, Katar, Syrien und Saudi-Arabien erhalten habe. Offenbar sei man in den Hauptstädten zu dem Schluss gekommen, dass ein Kabinett unter Führung von Miqati das kleinere Übel gegenüber einem fortdauernden politischen Stillstand oder einer weiteren Eskalation der lage im Libanon darstellen würde. Andere Töne waren aus Washington zu vernehmen. US-Außenministerin Hillary Clinton erklärte, „eine von der Hizbullah kontrolliere Regierung wird natürlich Einfluss auf unsere bilateralen Beziehungen haben.“ Sie sicherte jedoch zugleich zu, das neue Kabinett an seinen Taten zu messen.

Der reichste Libanese hat die Seiten gewechselt

Gemessen an seiner bisherigen Laufbahn ist der neue Premier in Beirut kein Mann, der den USA Sorgen machen müsste. Najib Miqati ist mit einem geschätzten Vermögen von 2,5 Milliarden US-Dollar der reichste Mann im Libanon. Der 55-Jährige gründete 1982 gemeinsam mit seinem Bruder Taha das Telekommunikationsunternehmen „Investcom“ und verkaufte dieses 2006 für 5,5 Millarden Dollar an die südafrikanische MTN-Gruppe. Seit 1998 sitzt Miqati im libanesischen Parlament. Er war mehrere Jahre lang Transportminister, bevor er 2005 knapp drei Monate lang schon einmal als Regierungschef amtierte. In der schwierigen Übergangsphase nach dem Mord am ehemaligen Ministerpräsidenten Rafiq Hariri und während des syrischen Abzugs aus dem Libanon bereitete Miqati damals die Parlamentswahl im Mai 2005 vor, bevor er dann für den neuen Premier Fuad Siniora Platz machte. Als amtierender Regierungschef drängte Miqati damals auch auf die Hinzuziehung internationaler Ermittler, die den Mord an Hariri aufklären sollten.

Nun wird er in das Amt gehoben, um die Arbeit des inzwischen eingerichteten Sondertribunals für den Libanon (STL) nach Kräften zu torpedieren. Die Hizbullah, aus deren Reihen aller Voraussicht nach mehrere Mitglieder angeklagt werden, erwartet von einem Regierungschef Miqati, dass dieser eine entsprechende Anklage zurückweist, die libanesischen Richter aus Den Haag abberuft und dem STL die finanzielle Unterstützung der libanesischen Regierung entzieht. Doch auch ein solcher Schritt wird das Tribunal nicht stoppen, wie mittlerweile selbst Hizbullah-Generalsekretär Hassan Nasrallah eingestand, weil die andere Staaten, die entstehenden Lücken stopfen würden. Dennoch müsse der Libanon eine Regierung bilden, die das Land vor den Auswirkungen des Tribunals schütze, erklärte Nasrallah, nachdem er Hariri zu Fall gebracht hatte. Ein STL-Sprecher erklärte unterdessen am Dienstag, dass die Namen der Angeklagten in sechs bis zehn Wochen öffentlich gemacht werden sollen.

Die Hizbullah ist trotz allem bestrebt den Eindruck zu vermeiden, dass die Partei dem Libanon ihren Kandidaten aufzwingt. Die Nominierung Miqatis ist daher ein durchaus cleverer Schachzug. Bis dato galt der Geschäftsmann als verlässlicher Verbündeter Hariris und keinesfalls als Freund der Hizbullah. Aus diesem Grund versuchen die schiitische Partei und ihre Verbündeten Miqati als Konsenskandidaten zu präsentieren, der über den beiden Lagern steht. In der ersten Rede nach seiner Ernennung versprach Miqati dann auch allen Libanesen die ausgestreckte Hand zu reichen. Den Schwerpunkt seiner Regierungsarbeit werde er auf das Feld der Wirtschaftspolitik legen.

Hariris Anhänger toben vor Wut

Bei den Anhängern des gestürzten Premiers Saad Hariri verfängt diese Rhetorik bislang nicht. Sie reagierten am Dienstag mit einem „Tag des Zorns“ auf Miqatis Ernennung. Besonders in Tripoli, der sunnitischen Hochburg und zweitgrößten Stadt des Landes kochte die Wut. Wütende Hariri-Anhänger attackierten Journalisten und setzten einen Übertragungswagen des arabischen Nachrichtensenders al-Jazeera in Brand. Im ganzen Land blockierten frustrierte Jugendliche zeitweise wichtige Verbindungsstraßen. In der Hauptstadt Beirut blieb es von einzelnen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften abgesehen bislang weitgehend ruhig.

Die heftigen Ausschreitungen in Tripoli überraschen auch deshalb, weil Najib Miqati bei der Parlamentswahl vor anderthalb Jahren noch mit den zweitmeisten Stimmen gewählt wurde und sein Konterfei in der Stadt allgegenwärtig ist. Die Familie Hariri hingegen wurde lange Zeit in erster Linie als Vertreter der Sunniten in Saida, dem zweiten wichtigen sunnitischen Zentrum im Libanon wahrgenommen. Mit Miqatis Hinwendung zur Hizbullah hat sich das Blatt nun offenbar gewendet.

Trotz der allgegenwärtigen Kontroverse um die Palestine Papers im »Heiligen Land« war der Regierungswechsel im Zedernstaat auch in den Nachrichten des israelischen Staatsfernsehens das Hauptthema. Führende Militärs und Politiker gaben sich jedoch betont gelassen und warnten vor Panikmache. Ein renommierter Analyst bemerkte, dass keine der Konfliktparteien im Libanon momentan Interesse an einer Eskalation der Situation habe. Auch sei die Befürchtung, die Hizbullah werde Scharmützel an der israelisch-libanesischen Grenze provozieren, um von seinen innenpolitischen Problemen abzulenken, unwahrscheinlich. Deshalb sehe die israelische Armee keinen Grund, ihre Truppen im Norden aufzustocken.

Daneben illustrieren die Ereignisse vom Dienstag die Heuchelei in der libanesischen Politik. Denn auf den ersten Blick sind die Entwicklungen der vergangenen Tage Alltag in einer Demokratie. Während der Legislaturperiode verändern sich durch den Seitenwechsel einzelner Abgeordneter im Parlament die Mehrheitsverhältnisse. Daraufhin ändert sich die Zusammensetzung der Regierung und ein neuer Premier wird gewählt. In der libanesischen Konsensdemokratie werden dabei jedoch mehrere sensible Punkte angeschnitten. Denn nach dem Verständnis der meisten Sunniten darf gegen den Willen des populärsten sunnitischen Politikers Saad Hariri kein anderer Sunnit zum Regierungschef ernannt werden. Mit dem gleichen Argument hält sich der Schiit Nabih Berri seit über zwanzig Jahren auf dem Posten des Parlamentspräsidenten, auch wenn das Hariri-Lager 2005 oder 2009 ohne weiteres einen Schiiten aus ihren Reihen in das Amt hätten heben können.

In dieser Gemengelage steht Najib Miqati nun eine schwere Regierungsbildung bevor. Hariris Future-Bewegung hat bereits angekündigt, sich nicht an der künftigen Regierung beteiligen zu wollen. Eine Regierung der Nationalen Einheit scheint damit ausgeschlossen, ein Kabinett, in dem sich alle wichtigen Konfessionsgruppen angemessen repräsentiert fühlen, scheint in weiter Ferne zu liegen.