Die Sensation ist perfekt: Katar ist Gastgeber der Fußball-WM 2022. Das Land punktete mit einer emotionalen Bewerbung und versteht sich als Vertreter der gesamten Arabischen Welt. Doch in den nächsten zwölf Jahren liegen gewaltige Aufgaben vor dem Golfemirat
Bis vor wenigen Monaten wirkte es noch wie der Traum ein paar größenwahnsinniger Scheichs, jetzt ist es Wirklichkeit: Katar wird die Fußballweltmeisterschaft 2022 ausrichten. Am Donnerstag erteilte das FIFA-Exekutivkomittee in Zürich dem Golfemirat den Zuschlag. Katar setzte sich damit gegen die Mitbewerber Australien, Japan, Südkorea und die USA durch.
Schon in den Tagen vor der FIFA-Entscheidung hatte sich angedeutet, dass die Bewerbung vom Golf das Rennen machen würde. Bei den englischen Buchmachern avancierte Katar in der letzten Woche zum klaren Favoriten und ließ die hochgehandelten Amerikaner weit hinter sich. Auch die einheimische Presse zeigte sich vorsichtig optimistisch. »Tag der Entscheidung und des Sieges für Katar, so Gott will!«, titelte das Blatt al-Rayah am Donnerstag. Die Konkurrenz von al-Watan verwies auf Pressestimmen aus aller Welt, die Katar die beste aller Bewerbungspräsentationen bescheinigten.
In der Tat zog das Bewerbungsteam am Tag vor der Entscheidung noch einmal alle Register um die 22 stimmberechtigten Mitglieder des FIFA-Exekutivkomittees von sich zu überzeugen. Man werde nicht nur das bestorganisierte Sportereignis der Weltgeschichte sondern ganz nebenbei auch noch Frieden in den Nahen Osten bringen: »Wenn Israel bei der WM gegen ein arabisches Team spielt, dann werden Fans aus beiden Ländern kommen und ihre Mannschaft anfeuern. Die Fans haben dann die Gelegenheit sich kennenzulernen. Der Fußball bringt die Menschen zusammen.«, versprachen die Organisatoren in ihrem Bewerbungsvideo. Die verwiesen zugleich darauf, dass hinter ihrer Bewerbung nicht nur alle 200.000 Kataris, sondern 300 Millionen fußballverrückte Araber stünden, für die der Golfstaat die WM stellvertretend ausrichten wolle.
Muhammad statt Zidane
Besonders emotional verkörperte diesen Anspruch der völlig unbekannte Iraker Muhammad al-Nufal al-Tamim, der überraschend vor dem FIFA-Gremium auftauchte. Allgemein war eher mit einem Auftritt von Katars WM-Botschafter Zinedine Zidane gerechnet worden. Der 24-Jährige Muhammad aus Baghdad erinnerte an den sensationellen Erfolg der irakischen Nationalmannschaft beim Asien-Cup 2007, als das Team den Pokal gewann und Iraker zwischen Erbil und Basra unabhängig von ihrer Religion zumindest für ein paar Stunden gemeinsam feierten.
Vielleicht noch wichtiger war der Auftritt der Trainerlegende Bora Milutinovic, dem es als bislang einzigem Coach gelungen ist, mit fünf verschiedenen Nationalmannschaften an Weltmeisterschaften teilzunehmen. Er umschmeichelte die wichtigen FIFA-Vertreter aus Lateinamerika auf Spanisch und zerstreute zugleich Befürchtungen, im Sommer 2022 könnte es schlicht zu heiß für ein hochklassiges Fußballturnier sein.
In ihrem abschließenden Evaluierungsbericht hatte die FIFA die klimatischen Bedingungen mit Temperaturen von knapp 50 Grad als »hohes Risiko« für die Spieler und Offiziellen bei der WM eingestuft. Mit diesem Makel hatte Katar objektiv die schwächste Bewerbung aller Kandidaten eingereicht, auch wenn der jüngste Bestechungsskandal in Reihender FIFA gezeigt hat, dass sachliche Kriterien bei der Wahl des WM-Gastgebers allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. Die Golfaraber verwiesen immer wieder auf ihre hochmodernen Stadien, in denen es dank moderner Kühltechnologien nie heißer als 27 Grad werde. Doch bislang gibt es diese Stadien nur in Modellen und Computersimulationen, erst eine Arena wurde bislang gebaut. Fünf der insgesamt zwölf Spielstätten werden vom Frankfurter Architekturbüro Albert Speer & Partner konzipiert.
Betrunkene Fußballfans in Doha?
Doch nicht nur in Sachen Stadionbau steht Katar, ein Land das halb so groß ist wie Hessen, in den kommenden zwölf Jahren vor einer Herkulesaufgabe. Ein neuer Flughafen muss fertiggestellt, ein Metronetz von 350 Kilometern Länge errichtet und die Zahl der Hotelbetten verdoppelt werden. Dafür erwartet den Fußballfan eine WM der kurzen Wege, wie es sie seit der Premier 1930 im kleinen Uruguay nicht mehr gegeben hat. Jedes Stadion wird innerhalb von zwei Stunden zu erreichen sein, lange Fahrten von Spielort zu Spielort entfallen.
Und dennoch wird die WM eine Herausforderung für die Gastgeber genauso wie für die Gäste aus aller Welt. Der Großteil der Ausländer kam bislang ins Land um zu arbeiten – die meisten für einen Hungerlohn aus Indien und Pakistan. Eine Tourismusbranche hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt, das 2008 eröffnete Museum für Islamische Kunst zählt zu den größten Anziehungspunkten für Besucher. Doch ob Gastarbeiter oder Kulturreisender – beide unterscheiden sich deutlich von den Besuchern, die zur Fußball-WM 2022 erwartet werden. Zehntausende trink- und sangesfreudige Fans aus England, die bei 50 Grad mit freiem Oberkörper durch die Straßen von Doha ziehen – eine eher merkwürdige Vorstellung. Katars Regierung hat zwar angekündigt, den Ausschank von Alkohol während der WM zuzulassen, dennoch ist absehbar, dass in zwölf Jahren unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen werden.
Aber jenseits aller Stadion-, Infrastruktur- und Kulturprojekte liegt Katars größte Baustelle im sportlichen Bereich. Erst vor wenigen Wochen sorgte Nationalspieler Fahad Khalfan für Gelächter als er beim Länderspiel gegen Usbekistan aus einem Meter Entfernung das Tor nicht traf. Bei der WM 2022 ruhen die Augen der Welt auf dem Gastgeber, der sich mit den stärksten Teams der Welt messen muss. Bis dahin ist noch viel zu tun: In der aktuellen FIFA-Weltrangliste liegt Katars Auswahl auf Platz 113 – zwischen der Zentralafrikanischen Republik und Thailand.