Der innenpolitische Streit im Libanon über den Umgang mit dem Sondertribunal, das den Mord am ehemaligen Regierungschef Rafiq Hariri aufklären soll, hat am Wochenende weiter an Schärfe gewonnen. Im Mittelpunkt des Konflikts steht der ehemalige Direktor des Inlandsgeheimdienstes Jamil al-Sayyed. Er war am Samstag aus Paris kommend auf dem Beiruter Flughafen gelandet und dort von einem Hizbullah-Kommando in Empfang genommen worden, ohne die üblichen Einreisekontrollen zu durchlaufen. Die innenpolitischen Gegner der Hizbullah sprachen hinterher von einer »Invasion des Flughafens«. In der VIP-Lounge des Airports gab Sayyed nach seiner Ankunft eine improvisierte Pressekonferenz, auf der er die libanesische Justiz und die internationalen Ermittler scharf angriff.
Seit Monaten spielt der 68-Jährige die Rolle eines Mannes auf Rachefeldzug. Aus Sayyeds Sicht gibt es gute Gründe für seine Angriffe. Kurz nach dem tödlichen Anschlag auf Rafiq Hariri im Februar 2005 galt er als einer der Hauptverdächtigen. Der damalige UN-Sonderermittler, Detlev Mehlis aus Berlin, veranlasste seine Inhaftierung. Zusammen mit Jamil al-Sayyed wanderten drei weitere hochrangige Mitarbeiter der Geheim- und Sicherheitsdienste ins Gefängnis. Im April 2009 folgte nach fast vier Jahren in Haft die plötzliche Wende. Das Sondertribunal für den Libanon (STL) ordnete die Freilassung der vier Inhaftierten an – aus Mangel an Beweisen.
Sayyed will Gerechtigkeit mit syrischer Hilfe
Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis strengte Sayyed bei einem Gericht in der syrischen Hauptstadt Damaskus einen Prozess wegen seiner fast vierjährigen Haftzeit an. Das Gericht schickte Vorladungen an insgesamt 25 hochrangige libanesische Persönlichkeiten aus Politik und Justiz. Das libanesische Justizministeriums bestreitet jedoch die Zuständigkeit des syrischen Gerichts. Bislang hat keine der 25 Personen in Damaskus ausgesagt. Dass Jamil al-Sayyid mit seinem Anliegen vor ein Gericht in Syrien zog, ist kein Zufall. Seinen Aufstieg in die höchsten Ränge des libanesischen Geheimdienstes hat er besten Verbindungen zum Regime in Damaskus zu verdanken, das bis 2005 die libanesische Politik weitgehend kontrollierte.
Vor wenigen Wochen legte Sayyed verbal nach. Am 12. September beschuldigte er auf einer Pressekonferenz in Beirut den jetzigen Premierminister Saad Hariri und sein Umfeld, mit Hilfe »falscher Zeugen« die Ermittlungen in eine bestimmte Richtung gelenkt zu haben. Dafür müssten der ehemalige Chefermittler Mehlis, sein Assistent Gerhard Lehmann und der libanesische Generalstaatsanwalt Said Mirza zur Verantwortung gezogen werden, so Sayyed. In Richtung des Regierungschefs stieß er die Drohung aus: »Ich schwöre bei Gott, Saad Hariri, dass ich eines Tages meine Rechte in meine eigenen Hände nehmen werde, wenn du sie mir nicht zurückgibst!«
Kurz nach dieser Wuttirade verschwand Sayyed für eine Woche nach Paris. Generalstaatsanwalt Mirza kündigte in der Zwischenzeit an, er wolle den ehemaligen Geheimdienstchef wegen seiner jüngsten Äußerungen erneut verhören. Sayyed tat dieses Ansinnen als »politisch motiviert« ab und bestritt Mirzas Zuständigkeit. Dieser ist nämlich einer der 25 Beschuldigten in dem Verfahren vor dem Gericht Damaskus und daher nicht berechtigt im Namen der libanesischen Justiz gegen ihn tätig zu werden, argumentiert Sayyed.
Jamil al-Sayyed spielt der Hizbullah in die Hände
Offenbar wollte Jamil al-Sayyed bei seiner Rückkehr am Wochenende nichts dem Zufall überlassen. Geschützt von der Hizbullah-Miliz, die ihn bereits auf dem Rollfeld in Empfang nahm, entzog er sich dem Zugriff der Justizbehörden. Für die innenpolitischen Rivalen der Schiitenpartei ein weiteres deutliches Beispiel dafür, dass die Hizbullah keinerlei Respekt vor dem Staat und seinen Institutionen hat. Dabei liegen die genauen Verbindungen zwischen der Partei Gottes und dem Ex-Geheimdienstler bislang weitgehend im Dunklen. Derzeit scheint Sayyed für die Hizbullah jedoch ein nützlicher Kronzeuge zu sein, der die von Hizbullah-Generalsekretär Hassan Nasrallah verfochtene Behauptung stützt, dass das Sondertribunal ein politisches Werkzeug ist, mit dem die Partei geschwächt und diskreditiert werden soll.
Auf Regierungsseite versucht man derweil einen Keil zwischen Sayyed und die Hizbullah zu treiben. Der Parlamentarier Okab Sakr, der in der Zwischenzeit quasi zu einem informellen Sprecher des Regierungschefs geworden ist, beschuldigte Jamil al-Sayyed, für den Spiegel-Artikel aus dem Juni 2009 verantwortlich zu sein, in dem erstmals die Hizbullah für den Mord an Rafiq Hariri verantwortlich gemacht wurde. Sayyed habe sich die darin veröffentlichten Informationen ausgedacht, um von seiner eigenen Verantwortung abzulenken, das Sondertribunal zu stürzen und die Beziehungen zwischen den Libanesen und dem Widerstand, also der Hizbullah, zu vergiften.