Das Wichtigste vorab: Er hat es nicht getan. Vor seinem zweitägigen Staatsbesuch im Libanon hatte Irans Präsident Mahmud Ahmadinejad angekündigt, er wolle einen Abstecher an die israelische Grenze nutzen, um einen Stein auf „das besetzte Palästina“ zu werfen. Auf den Steinwurf über den Grenzzaun verzichtete der Iraner, mit rhetorischen Angriffen auf den jüdischen Staat hielt er sich während seines knapp 40-stündigen Aufenthalts in der Levante aber nicht zurück.
Dabei bot Ahmadinejad in seinen insgesamt vier Reden auf libanesischem Boden die altbekannte Mischung aus Säbelrasseln gegenüber Israel und messianischer Endzeitrhetorik. „Die Zionisten haben keine andere Option als sich den Fakten zu stellen und in ihre Heimatländer zurückzukehren. Palästina wird durch die Stärke und den Glauben des Widerstandes befreit“, erklärte der iranische Regierungschef am Donnerstag während einer Rede in Bint Jbeil, nur wenige Kilometer von der israelischen Grenze entfernt. Über die Art und Weise der Befreiung Palästinas, äußerte Ahmadinejad ebenfalls sehr konkrete Vorstellungen: „Der Mahdi wird kommen um das Heilige Land zu befreien und Jesus wird an seiner Seite stehen.“
Doch diese schwülstige Rhetorik erklärt nicht, warum die Libanesen in Beirut und dem Südlibanon einem Mann einen heldenhaften Empfang bereiten, der im Iran von vielen gehasst, in Israel gefürchtet und vom Westen geächtet wird. Viele Libanesen in den schiitischen Hochburgen sind dem Iran tatsächlich einfach dankbar dafür, dass der Bruderstaat nach dem verheerenden Sommerkrieg gegen Israel 2006 den Wiederaufbau kräftig finanzierte. Straßen, Häuser, Moscheen und Hospitäler wurden seit dem Krieg mit iranischer, genauso wie mit katarischer oder saudischer Hilfe wiederaufgebaut. Das haben die Menschen in Bint Jbeil und Maroun al-Ras, zwei Orte die vor vier Jahren am schlimmsten zerstört und heute von Ahmadinejad besucht wurden, nicht vergessen, auch weil sie große Schilder und iranische Flaggen seither täglich daran erinnern.
Die iranische Frontline verläuft vor Israels Haustür
Hunderttausende Libanesen kamen am Mittwoch und am Donnerstag zusammen, um einen Blick auf den iranischen Präsidenten zu erhaschen und seinen Worten zu lauschen. Sie säumten die Straße vom Flughafen in die Beiruter Innenstadt oder warteten in großer Hitze im Stadion von Bint Jbeil auf die Rede des iranischen Präsidenten. Kein anderer Staatschef ist jemals so frenetisch im Libanon gefeiert worden. Die Hizbullah und ihre Verbündeten hatten den Besuch generalstabsmäßig geplant und das halbe Land mit Willkommensgrüßen für den Mann aus Teheran zugepflastert.
Für Mahmud Ahmadinejad und und seine libanesischen Alliierten lieferte der Besuch eine Win-Win-Situation. Der mutmaßliche iranische Wahlfälscher konnte dem Westen zeigen, dass sein Land in der Region eben nicht isoliert, sondern auf dem besten Wege ist, seine Vormachtstellung in der Region zu festigen. Den Israelis führt der Präsident vor Augen, dass im Falle einer militärischen Konfrontation die iranische Frontlinie direkt an der libanesischen Grenze und damit nur 160 Kilometer von Tel Aviv entfernt verläuft.
Die Hizbullah nutzte den Besuch ihrerseits als Machtdemonstration gegenüber ihren innenpolitischen Rivalen. Im Angesicht einer wahrscheinlichen Anklage von Hizbullah-Mitgliedern durch das Sondertribunal, das den Mord am libanesischen Ex-Premier Rafiq Hariri aufklären soll, führt die Partei Gottes der Welt vor Augen, dass sie den Iran in jedem Fall hinter sich weiß und jeder Gegner der Schiitenmiliz auf verlorenem Posten steht. Die Botschaft der Hizbullah an das politische Lager um Premierminister Saad Hariri und seine Verbündeten, die von diesen zwei Oktobertagen ausgeht, lautet zusammengefasst: Ihr mögt auf die Unterstützung der USA und der EU zählen, aber hinter uns steht mit dem Iran eine Macht, die uns kompromisslos unterstützt.
Viele Christen haben Angst vor einem wachsenden Einfluss des Iran
Und doch wurde Ahmadinejad keinesfalls von allen Libanesen mit offenen Armen empfangen. Ein großer Teil der Christen und die meisten Sunniten lehnten seinen Besuch ab. In der sunnitischen Hochburg Tripoli waren in den vergangenen Wochen Plakate aufgetaucht mit Slogans wie „Nein zum Besuch Ahmadinejad, nein zur Wilayat al-Faqih“. Darin kommt die Angst vieler Libanesen zum Ausdruck, die Hizbullah könne vielleicht doch eines Tages ein schiitisches Herrschaftssystem nach iranischem Vorbild im Libanon installieren.
Genau wegen dieser Sorgen könnten die christlichen Verbündeten der Hizbullah die Verlierer der Ahmadinejad-Visite werden. Viele Christen sorgen sich vor einem wachsenden Einfluss des konservativen schiitischen Iran im kosmopolitischen Libanon und haben noch größere Angst vor einem erneuten Krieg mit Israel, in dem sie wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren haben. Auch deshalb vermied es Michel Aoun, der wichtigste christliche Verbündete der Hizbullah, während des Staatsbesuches gemeinsam mit dem iranischen Präsidenten aufzutreten.
Auch wenn der Libanon sich angesichts Ahmadinejads triumphalen Auftretens einmal mehr gespalten zeigt, so haben sich zumindest die Befürchtungen derer nicht erfüllt, die einen sunnitisch-schiitischen Bürgerkrieg im Zedernstaat aufziehen sahen. Auch der Wunsch eines israelischen Knesset-Abgeordneten, man möge die günstige Gelegenheit nutzen um den Präsidenten zu töten, blieb unerfüllt. Die längerfristigen Auswirkungen der Visite lassen sich derzeit noch nicht abschätzen. Aus den USA hört man jedoch erste Stimmen, die angesichts der Hurra-Rufe für den Amerikafeind ein Ende der Militärhilfe für den Libanon fordern. Mahmud Ahmadinejad würde sich in die Hände reiben, denn sein Einfluss in der Levante würde damit weiter steigen.