Ein Kommentar von Judith Althaus
Das Gesetz zum Loyalitätseid in Israel ist an Absurdität kaum zu überbieten: Die Regierung Netanjahu schiebt die eigene innergesellschaftliche Identitätsdebatte auf die Palästinenser ab – und gibt jenen, die der Eid an Israel binden soll, zu verstehen, dass sie nicht willkommen sind.
Am 10. Oktober verabschiedete das Kabinett der Regierung um Premierminister Benjamin Netanjahu einen Gesetzentwurf des Justizministers Yaakov Neeman, der die zukünftigen Bürger des Staates Israel in zwei Gruppen teilt: jene, die unter dem Gesetz der Rückkehr nach Israel einreisen und damit automatisch ein Recht auf die israelische Staatsangehörigkeit haben und jene, deren Antrag auf Einbürgerung nur dann Erfolg hat, wenn sie in einem Eid ihre Loyalität zu Israel als jüdischem und demokratischem Staat beschwören.
Nicht zufälligerweise bedeutet dies gleichzeitig eine Trennung in Juden und Nicht-Juden. Nur Nicht-Juden, also zum Beispiel Araber, die im Rahmen des Familiennachzugs zu ihren israelisch-palästinensischen Partnern nach Israel übersiedeln, müssen sich demnach zum jüdischen Staat Israel bekennen. Von jüdischen Immigranten hingegen nimmt das Gesetz eine inhärente Loyalität an – also auch von ultra-orthodoxen Juden, die den Zionismus und damit wohl auch die Loyalität einem explizit jüdischen Staat gegenüber zu Teilen ablehnen.
Nicht nur deshalb könnte der Gesetzentwurf umstrittener kaum sein. Der Dissens zieht sich von Netanjahus eigener Regierungsbank über die Knesset bis in die israelische Zivilgesellschaft. Im Kabinett brachte der Entwurf es auf acht Gegenstimmen, fünf davon aus dem Lager der Arbeiterpartei von Verteidigungsminister Ehud Barak und drei weitere aus Netanjahus eigenem Likud.
Das Loyalitätsgesetz spaltet die Gesellschaft – und selbst die Regierung
Während die Koalitionsparteien Yisrael Beitenu, nationalistisch-rechtspopulistische Plattform von Außenminister Avigdor Lieberman, und Shas, politisches Sprachrohr der ultra-orthodoxen Gemeinschaft, den Gesetzentwurf als ersten Schritt in der Loyalitäts-Gesetzgebung priesen, sprach Sozialminister Isaac Herzog von einer Entscheidung, die »an Faschismus grenzt«.
Knesset-Sprecher und Likudnik Reuven Rivlin nannte den Entwurf »provokativ« und »eine Waffe für die Feinde des Zionismus«. Unter dem Motto »Juden und Araber weigern sich, Feinde zu sein« und der Führung der Oppositionsparteien Hadash und Meretz, sowie mehrerer Menschenrechtsorganisationen demonstrierten am Samstagabend Tausende in Tel Aviv. Angesichts der lauten Proteste ist mehr als unklar, ob das Gesetz in dieser Form und mit den Stimmen von Likud (27) und Labor (13) von der Knesset verabschiedet werden kann. Erste Änderungen sind bereits auf dem Tisch, nach denen der Loyalitätseid nun auch von jüdischen Einwanderern abgeleistet werden soll.
Unabhängig vom Ausgang der Debatte um den Eid bleibt der Vorstoß der Regierung Netanjahu ein Teil des großen Ganzen – der Frage nach dem »jüdischen Charakter« des israelischen Staates, der Stellung der palästinensischen Minderheit, der Zukunft Israels als demokratischer Staat.
Diskriminierung gesetzlich verankert
Allein 17 Gesetzesentwürfe, darunter viele, die der Meretz-Abgeordnete Chaim Oron als »nach Rassismus riechend» und »anti-demokratischen legislativen Angriff« bezeichnet, liegen laut der israelischen Menschenrechtsorganisation ACRI der Knesset zur Beratung in der nächsten Sitzungsperiode vor. Neben dem Verbot von Gedenkveranstaltungen zur »Nakba« und dem Verbot des Boykottaufrufs gegen Israel zählt hierzu auch die Pflicht von NGOs zur Offenlegung ausländischer Fördergelder.
Ein Großteil der Initiativen der Regierung Netanjahu richtet sich ganz klar gegen die palästinensische Minderheit innerhalb Israels, die etwa 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Sie zeugen mit der größten Deutlichkeit von dem Willen der Regierung, die Diskriminierung der arabischen Israelis gesetzlich zu verankern, eine Position, zu der sich sonst nur Lieberman offen bekennt – sei es, wenn er in der Jerusalem Post die »politische Trennung von Arabern und Juden« fordert oder in einer Rede vor den Vereinten Nationen den »Austausch von bevölkertem Gebiet« propagiert.
Mit ihrer Politik entfremdet die Regierung Netanjahu wissentlich und willentlich genau jene, die sie mit dem Loyalitätseid zu einem offenen Bekenntnis zum demokratischen und jüdischen Staat Israel zwingen will. Palästinensische Israelis sollen Verbundenheit zu einem Staat fühlen und per Eid belegen, dessen Regierung ihnen klar zu verstehen gibt, dass sie in ihrer Andersartigkeit nicht willkommen sind. An Absurdität ist so ein Vorgehen wohl kaum zu überbieten.
Netanjahu will kein Vertrauen, sondern Tatsachen schaffen
Den Bogen zu den Friedensverhandlungen mit der PLO hat Netanjahu zuletzt selbst geschlagen, als er forderte, die palästinensische Führung habe Israel vor einer möglichen Ausweitung des eingeschränkten Baustopps in den Siedlungen der Westbank als »jüdischen Staat« anzuerkennen.
Grundsätzlich spricht er damit wohl vielen Israelis aus dem Herzen, die in einem jüdischen Israel die Erfüllung eines jahrzehnte-, wenn nicht jahrhundertealten Traumes sehen. Allein der Zeitpunkt scheint vielen unglücklich gewählt. Dabei bleibt die Forderung Netanjahus selbst in der Annahme, Israel dürfe sich nennen, wie es selbst beliebe, paradox.
Da fordert ein Besatzer in Friedensverhandlungen von einem besetzten Volk, es solle den Status des Besatzers ein für alle Mal bestätigen, damit dieser im Gegenzug seine völkerrechtswidrige Besatzung über den Zeitraum weniger Wochen nicht ausdehnt. Ganz nebenbei würde man damit erwirken, dass die PLO-Verhandlungsführer eine der letzten ihnen verbliebenen Karten, die Frage nach der Rückkehr von Flüchtlingen in israelisches Kernland, ausspielen, und damit das Ergebnis der Verhandlungen vorweg nehmen, noch bevor diese richtig begonnen haben.
Mit seiner Forderungen schafft Netanjahu alles andere als Vertrauen bei seinen palästinensischen Verhandlungspartnern, ebenso wenig wie er mit dem Loyalitätsgesetz die Herzen seiner palästinensisch-israelischen Mitmenschen zu gewinnen vermag. Aber das ist wohl auch kaum in seinem Interesse, mag man den Plakaten der Tel Aviver Proteste am Samstag Glauben schenken, mit denen Demonstranten bekundeten »Die Stimme ist die Stimme Liebermans, aber die Hände sind die Hände Netanjahus«.