25.08.2010
Parkplatzmangel in Beirut und die libanesische Gewaltdynamik

Von Björn Zimprich und Robert Chatterjee
Am gestrigen Abend sind bei bewaffneten Auseinandersetzungen im Beiruter Stadteil Burj Abi Haidar vier Personen getötet wurden, darunter ein hochrangiges Hizbullah-Mitglied. Zahlreiche Menschen wurden schwer verletzt. Bei den Auseinandersetzungen zwischen der Hizbullah und Mitgliedern der sunnitischen Al-Ahbash wurden Maschinengewehre und Panzerfäuste eingesetzt. Auslöser für die Kämpfe soll der Streit um einen Parkplatz gewesen sein. Zurück bleiben viele Fragen.

Seit Wochen steigen die politischen und konfessionellen Spannungen im Zedernstaat. Seitdem der Hizbullah-Generalsekretär Hassan Nasrallah Ende Juli verlautbart hatte, dass Mitglieder seiner Bewegung vom Internationalen Sondertribunal zur Aufklärung des Mordes am ehemaligen Ministerpräsidenten Rafiq Hariri angeklagt werden könnten, schwebt wieder das Schreckgespenst bewaffneter Auseinandersetzungen über der libanesischen Hauptstadt. Eine mögliche Täterschaft oder auch nur Mittäterschaft der schiitischen Hizbullah am Attentat vor knapp fünfeinhalb Jahren könnte den schwelenden konfessionellen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten neu entfachen.

Gestern kam es nun zu den schwersten bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten in Beirut seit den bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Mai 2008. Die Kämpfe brachen um ca. 19 Uhr Ortzeit im Stadtteil Burj Abi Haidar zwischen Hizbullah-Mitgliedern und Anhängern der sunnitischen al-Ahbash aus. Auslöser soll der Streit um einen Parkplatz vor einer Moschee der al-Ahbash gewesen sein. Demnach verweigerten al-Ahbash-Anhänger einem Hizbullah-Mitglied vor Ihrer Moschee zu parken. Der Streit eskalierte in eine bewaffnete Auseinandersetzung. Insgesamt 13 Panzerfäuste sollen zum Einsatz gekommen sein. Unter den Toten ist mit Muhammad Fawwaz auch ein hochrangiger Hizbullah-Kader.

Im weiteren Verlauf griffen die Kämpfe auch auf andere Stadtteile über. Augenzeugen berichteten gegenüber al-Sharq, dass versucht wurde, eine Al-Ahbash-Moschee im Stadtteil Zokak-el Blat mit Molotowcocktails anzugreifen. Die Auseinandersetzungen dauerten insgesamt ca. vier Stunden. Nach 23 Uhr waren keine Gefechte mehr in der Stadt zu hören.

Al-Ahbash ist die gängige Kurzbezeichnung der „Vereinigung der Islamischen Wohlfahrtsprojekte“, einer transnationalen sunnitischen Bewegung, die aber vor allem im Libanon auch als politische Kraft auftritt. In Deutschland ist die Vereinigung noch am ehesten als Träger der Umar-Ibn al-Khattab-Moschee in Berlin-Kreuzberg bekannt. Im Libanon werden sie meistens in der der Kurzform al-Ahbash bezeichnet – ein Hinweis auf ihren äthiopischen (al-Ahbash heißt so viel wie „die Äthiopier“) Gründer, den Rechtsgelehrten Abdullah al-Harari, der im September 2008 98-jährig in Beirut verstarb.

Seit den 1950er Jahren hatte al-Ahbash im Libanon ein Netz karitativer Einrichtungen aufgebaut, insbesondere in sunnitischen Vierteln. Anfang der 1980er Jahre gewannen die Ahbash in dem Maße an Zuspruch, in dem die sunnitischen Notabeln West-Beiruts ihre Position einbüßten. Ideologisch unterschieden sie sich jedoch gravierend, etwa von den wahhabitisch inspirierten Islamisten der „Tawhid“ in Tripoli oder der Murabitun-Miliz. Seit den 1990er Jahren treten die Ahbash auch politisch in Erscheinung; 1992 und 1996 entsandten sie jeweils einen Abgeordneten ins libanesische Parlament. Seitdem machte ihr vor allem der aufstrebende Rafiq al-Hariri Konkurrenz. Seit Gründung der Partei Mustaqbal 2005 konkurriert al-Ahbash mit Saad al-Hariri um die Gunst der sunnitischen Einwohner. Einen ähnlich charismatischen Kopf wie ihren Gründer al-Harari hat die Organisation allerdings nicht hervor gebracht, wenngleich sie in einigen Stadtvierteln Beiruts noch immer sichtbar präsent bleibt. Ob ihrer Organisationsstruktur und ihrer anti-salafistischen Positionen, werden die Ahbash oft als moderate, sufische Bruderschaft gesehen. Andererseits gelten sie in ihren gesellschaftspolitischen Ansichten als konservative Organisation, die über ihre sozial-karitative Arbeit eine gesellschaftliche Islamisierungsagenda verfolgt.

Obwohl die Konfliktlinie der gestrigen Kämpfe entlang konfessioneller Linien zwischen Sunniten und Schiiten verlief, passt die Konstellation nicht in die politischen Spannungen im Libanon. Beide Gruppen, Hizbullah und al-Ahbash, standen seit 2005 auf Seiten des March 8-Bündnisses.

An dieser Stelle lohnt sich ein Blick auf die spezielle Stadtteilgeografie von Beirut, insbesondere West-Beirut. Konfessionelle Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten traten in den letzten Jahren öfter zu Tage, allerdings in bestimmten Vierteln zwischen ganz bestimmten Gruppen. Besonders im Gebiet der südlichen Vororte setzte ab 2005 solch eine Dynamik in Gang. Im sunnitischen Viertel Tariq al-Jdeideh, das unmittelbar an die schiitischen Viertel Chiyah und Haret Hreik grenzt, trat etwa die militante Jugendorganisation „Fuhud Tariq al-Jdeideh“ (die lose mit Mustaqbal affiliiert sind) auf, die stetig auf eine konfessionelle Homogenisierung hinarbeitete – wenngleich auch aus der schiitischen Dahiye immer mehr Sunniten wegzogen.

In den zentralen Vierteln von West-Beirut sind solche konfessionellen Entmischungen hingegen bisher ausgeblieben. Dennoch kommt es sunnitisch-schiitisch gemischten Vierteln, wie Basta, Ras an-Nabaa, Mussaitbeh, Burj Abi Haidar, ja bis nach Zokak el-Blat, das nur wenige hundert Meter vom neu aufgebauten Downtown entfernt liegt, immer wieder zu gewalttätigen Eskalationen. Oft liegt der Grund in der symbolischen oder auch physischen Inbesitznahme von Vierteln, Straßen, Häusern - oder eben Parkplätzen. Meist wird die Eskalation durch eine gefühlte oder tatsächliche Provokation ausgelöst, ihre zerstörerische Dynamik entwickelt sie aber erst, sobald mehr Personen involviert sind, die den eigentlichen Auslöser gar nicht mitbekommen haben. Dem gestrigen Vorfall mag keine explizite Provokation vorausgegangen sein. Fällt aber im Verlauf eines Streits eine religiöse Bemerkung oder gar Beleidigung, kann genau das der Auslöser – gerade wenn das in direkter Nachbarschaft zu einem religiösen Zentrum, wie einer Moschee, geschieht. Oft reichen schon Gerüchte aus, um wie aus dem Nichts eine Reihe junger, bewaffneter Männer auf den Plan zu rufen. Die Sicherheitskräfte sind darauf meist gar nicht vorbereitet. Die familiären Bindungen im Viertel gepaart mit den technologischen Mitteln von Handy und Internet lösen eine Dynamik aus, die bewirkt, dass aufmerksame Twitter-Leser scheinbar schneller von solchen Eskalationen erfahren, als Soldaten, die nur ein paar hundert Meter weiter stationiert sind. Genauso schnell machen aber auch Gerüchte die Runde, die eine Gewaltdynamik lokal noch weiter anheizen können und Nachrichtenagenturen wie Sicherheitsorganen Kopfschmerzen bereiten.

Eben jener öffentlichen Wirkung waren sich wohl auch die Funktionäre von Hizbullah und Ahbash bewusst, die sich eiligst bemüht sahen, Stellung zu beziehen und die Wogen zu glätten. So machte am gestrigen Abend das Gerücht die Runde, die Hizbullah habe der Ahbash ein Ultimatum von drei Stunden gestellt, um den Mörder von Muhammad Fawwaz zu überstellen, anderenfalls werde man militärisch ins Viertel einrücken. Obwohl das die Hizbullah umgehend dementierte, machte das Gerücht die Runde, ließ Familien sich in Sicherheit und junge bewaffnete Männer in Stellung bringen. Al-Ahbash, Hizbullah und die Armee machten bei alledem keine gute Figur, umso mehr waren sie bemüht den Eindruck zu erwecken, dass sie die Situation im Griff hätten. Schon ein paar Minuten, nachdem die Waffen um 23 Uhr schwiegen, ließen sie über die Ticker vermelden, dass sich Offizielle von Ahbash und Hizbullah unter Vermittlung der Armee getroffen und umgehend und gemeinsam an der Aufklärung der Ereignisse arbeiten würden.

Für die Zukunft ist zu hoffen, dass die Absprachen zwischen den beteiligten bewaffneten Gruppen schneller erfolgen. Andernfalls besteht in den betroffenen Stadtteilen immer die Gefahr, dass eigentlich harmlose Streitigkeiten in militärische Konflikte ausarten. Den Konflikt vom Dienstag hätte man aber auch durch eine andere libanesische Tradition lösen können: das so genannte Valet Parking. Hierbei gibt der Fahrer an Orten mit Parkplatzmangel seinen Schlüsseln an spezialisierte Dienstleister ab, die dann das Auto auf entfernten Parkplätzen abstellen und bei Bedarf wieder holen. Offensichtlich eine sehr praktische Erfindung in diesem Tagen. Hätte Muhammad Fawwaz hiervon Gebrauch gemacht, wäre er sicher noch am Leben.